Gut 20 Besucher sind nach dem Geschmack von Olaf Wübbe ‚ein bisschen wenig‘. Der Kandidat zur Oberbürgermeisterwahl steht an der Türe der ehemaligen Wartehalle im Bahnhof Therme und empfängt seine Gäste. Die Damen werden mit Küsschen bedacht. Die Regionalbahn rollt über die Gleise, das Gebäude vibriert, Wübbe macht Wahlkampf. Dazu reicht er Sekt und Häppchen.
Buntes Publikum im alten Bahnhof
Dies ist der Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, in denen der Jurist Olaf Wübbe seine Ideen von Überlingen dem Wahlvolk nahebringen möchte. Als Ort für den ersten Teil hat er die Hautarztpraxis seiner Frau gewählt, die im renovierten Bahnhof angesiedelt ist. Unter den Besucherinnen sind Bekannte des Ehepaars, sowie Patientinnen. Man kennt und herzt sich. Die drei in Überlingen aktiven AfD-Politiker interessieren sich für den Rechtsanwalt aus Immendingen. Gemeinderatskandidatin Jutta Thomann-Schilpp, sowie die beiden Gemeinderäte Hans-Dieter Roth und Thorsten Peters sind unter den Besuchern. Thomann-Schilpp wird am Ende Wübbe loben, „weil er das Thema Windkraft bringt“. Holger Schappeler, geschasster Vorstand der politischen Gruppierung BÜB+, hat sich im Bahnhof ebenso eingefunden wie Einzelhändlerin Sabine Müller (“Shoes and More“ und „Style and More“), die noch unschlüssig ist, wo sie am 10. November ihr Kreuzchen setzt. Erst macht sie sich ein Bild von allen Kandidaten. So wie auch die alteingesessenen Bürgerinnen Claudia Fuchs und Sigrid Hornstein. „Ich will mir ein persönliches Bild von allen Kandidaten machen“, begründet Claudia Fuchs ihren Besuch.
Barkeeper, Kassierer und Jurist
Kandidat Wübbe ist einer von sechs. Er stellt sich vor als Barkeeper, Kassierer einer Tankstelle, Bankkaufmann, Jurist und Rechtsanwalt, seit 1993 verheiratet mit der Dermatologin Katharina Wroblewska, wohnhaft in Immendingen. Sein Wahlplakat verspricht ein Angebot „für Jung und Alt“. Im Stakkato nennt er Themen, die ein Stück weit erklären sollen, „wie ich ticke“. Laut seinen Wahlkampfversprechen suche er „Partner“ und „Investoren“ für den Bau einer Diskothek, für bezahlbares und betreutes Wohnen. Er wolle „Großelternpatenschaften“ anschieben und Kindern kostenlos eine Ferienbetreuung organisieren. In seiner „Bestandsaufnahme“ stellt er fest, dass Überlingen nicht Rollstuhl- und Rollator-gerecht sei, und dass „Senioren nicht auf einen Berg verfrachtet werden dürfen“, womit er den Bau des neuen Pflegeheims am Härlen meint.
Reizthema Poller an der Kapuzinerkirche
Ein Thema in seinem „Sechs-Punkte-Plan“ lautet: „Die Rettung der Innenstadt.“ Zunächst diagnostizierte er nach diversen Besuchen in Überlinger Geschäften vorsichtig, „dass es wohl eine gestörte Kommunikation zwischen der Stadt und seinen Bürgern gibt“. Konkreter wird er nicht. Er verweist auf die Jakob-Kessenring-Straße. Er sagt, dass er die Straße von Besuchen in früheren Jahren kenne, als es dort nach seiner Erinnerung mehr Geschäfte gab, „jetzt aber bringt sie nicht mehr den Spaß“, und er frage sich: „Wie soll ich da hinkommen?“ Damit kommt er auf das globale Thema Verkehrsführung zu sprechen, das sich wiederum mit einem einzelnen Reizwort zusammenfassen lässt: Poller!
Wübbes Vorschlag lautet, den Poller nur am Wochenende hochzufahren, und überhaupt, den Einheimischen sollten – gegenüber den Touristen – „besondere Zufahrtsrechte gewährt werden“. Wie er das als Rechtsanwalt begründen würde, ließ Wübbe offen, wobei er ab diesem Punkt der Debatte ohnehin kaum mehr zu Wort kommt. Die Pollerdebatte stellt nämlich einen Kipppunkt in seinem Wahlkampfauftritt dar. Fortan spricht nicht mehr der Kandidat, sondern erklären ihm die anwesenden Bürger ihre eigenen Ansichten.
Hitzige Debatte um den Poller
Holger Schappeler weiß: „Der Poller rettet die Altstadt vor dem Verkehr. Wir befinden uns mitten im Prozess, der mit dem Poller einen vorläufigen Abschluss gefunden hat.“ Ziel sei es, die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Dem hält Sigrid Hornstein entgegen: „Überlingen ist eine Stadt, und eine Stadt gehört befahren und belebt.“ Schappeler: „Man sollte die Änderungen vielleicht erst mal wirken lassen.“ Darauf Sabine Müller: „Wir können auch eine tote Stadt feiern.“ Sie blickt mit Zorn auf den Poller, man müsse ihn „absägen“, so Müller: „Wir brauchen Kurzzeitparkplätze. Das hören wir von unseren Kunden.“ Wübbe versucht, die Gesprächsführung wieder an sich zu ziehen und beendet die Verkehrsdebatte mit den Worten: „Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind.“

„Jetzt haben Sie aber ein Fass aufgemacht“
Wübbe hat noch weitere Themen im Katalog. Die Zweckentfremdungssatzung, findet er, müsse man abschaffen. „Wir sind hier ja nicht im Sozialismus.“ Umweltschutz findet er auch gut, weil er „sicherheitsrelevant“ sei, gerade dann, wenn der Bodenseepegel steigt. „Wir müssen die Bürger vor dem Hochwasser schützen“, sagt er. Allerdings findet er, dass Windenergie nur in seiner Heimat, in Schleswig-Holstein, „genial“ ist. Hier in der Bodenseeregion, so seine Frage: „Reicht da der Wind?“
Nach diesem Stichwort zieht ein Besucher, der seinen Namen am Ende der Veranstaltung nicht verraten will, die Debatte an sich und hält einen Vortrag über Windkraftanlagen, die er als „Totgeburt“ betrachtet. „80 Kilo Karbonstaubabrieb“ habe jeder Rotor zu verantworten. Er zeichnet ein Bild von Tod bringenden Windrädern, denen Wübbe tapfer entgegenhält: „Im Norden sind sie schon interessant.“ Woraufhin Schappeler eine Art Schlusswort des Wahlkampfabends spricht: „Jetzt haben Sie aber ein Fass aufgemacht – die Windkraft wäre eine eigene Veranstaltung wert.“