Ende Mai 2002 war es so weit: Fünf neue Häuser wurden im Pfahlbaumuseum im Rahmen eines Museumsfests mit Experimentalarchäologen aus Italien, Österreich und Deutschland ihrer Bestimmung übergeben. Es handelt sich um den Nachbau bronzezeitlicher Häuser, die mithilfe des Projektes „Archeolive“ im Programm Raphael der Europäischen Union erstellt worden waren. Seit 2000 hatten Fachleute aus ganz Europa am Nachbau dieser Pfahlbauhäuser der im Flachwasser vor dem Uhldinger Hafen gelegenen spätbronzezeitlichen Siedlung „Unteruhldingen-Stollenwiesen“, die bei Unterwassergrabungen erforscht worden sind, gearbeitet. Der Uhldinger Gemeinderat hatte im März 2000 den entsprechenden bau- und wasserrechtlichen Antrag des Museums verabschiedet.

Grundlagen für den Bau der Häuser waren die Tauchausgrabungen des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, die von 1981 bis 1989 im Gewann Stollenwiesen vorgenommen waren sowie die anschließende wissenschaftliche Auswertung. Erstmals entstand hier eine Rekonstruktion von Häusern, wie sie einmal unmittelbar vor Unteruhldingen gestanden haben. Nach dendrochronologischer Datierung bestand hier im Zeitraum von 975 bis 850 vor Christus ein zwei Hektar großes und bis zu 87 Häuser umfassendes Dorf, das im angegebenen Zeitraum von rund 500 Menschen zwei Mal verlassen und drei Mal neu aufgebaut wurde. Durch die Dokumentation des Pfahlfeldes aus der Luft und unter Wasser ließen sich mehrfache Umfassungspalisaden und Hausgrundrisse aus Eichenpfählen fixieren.
Lehren aus Hochwasser 1999 gezogen
Die Pfahlbautengruppe wurde nordwestlich der vorhandenen Dörfer errichtet und an diese mittels eines Steges angebunden. Die Häuser mit einer Größe von knapp zehn mal sieben Metern erhielten eine stabile Eichenstammkonstruktion, dazu kamen noch gängige Flechtwände mit Lehmbewurf und Schilfbedeckungen. Gegen Hochwasser und Stürme hatte das Museum aus den Erfahrungen von 1999 Vorsorge getroffen: Die neuen Häuser wurden einen halben Meter höher, die Dachdeckung stabiler gebaut. Die Bauten stehen einzeln auf Pfählen und sind mit Stegen und angehängten „Plattformen“ miteinander verbunden. Sie stehen nicht auf einer gemeinsamen Plattform wie das alte Dorf von 1931, aber je nach Jahreszeit am Ufer (Winter) oder im Wasser (Sommer), „und sind somit echte Pfahlbauten am, im und über dem Wasser“, wie Museumsdirektor Gunter Schöbel 2003 in der Plattform, der Zeitschrift des Vereins für Pfahlbau- und Heimatkunde, Ausgabe 11/12, schrieb.
Am 9. September 2000 wurden mit dem Rammschiff Bär aus Fussach die ersten Eichenpfähle etwa zwei bis drei Meter tief eingeschlagen. Bis zum 4. Oktober waren die Pfähle der nördlichen drei Häuser und im Frühsommer 2001 die restlichen der insgesamt 126 Tragpfähle eingeschlagen. Weitere 150 Pfähle für den Steg und die zusätzliche Abstützung der Verbindungsplattformen wurden von Hand eingearbeitet. Insgesamt arbeitete die Handwerksabteilung des Pfahlbaumuseums von März 2000 bis zur Fertigstellung im Mai 2002 in 26 Monaten etwa 11.790 Stunden für die Häuser und ihre Einrichtung.

Über 10.000 Bund Schilf für die Dächer
Für das Decken der ersten drei Dächer wurden im August und September 2001 durch Dachdecker aus Neetze bei Lüneburg und Museumshandwerker in wenigen Wochen 6300 Bund gleichmäßig gewachsenes Schilf aufgebracht. Das aus dem ungarischen Nationalpark Hortohagy in der Nähe von Debrecen in Ostungarn stammende Schilf war zuvor von zahlreicheren Helfern über die Stege zu den Häusern transportiert worden. Insgesamt lag der Verbrauch für die sogenannte Reetdeckung bei allen fünf Häusern bei mehr als 10.000 Bund. Im August 2001 erfolgte das Richtfest der ersten drei Häuser, ab Oktober wurde mit der Inneneinrichtung begonnen. Nach und nach gelangten mehrere 100 Fundnachbildungen in die Häuser.


Am 31. Mai 2002 wurden die Häuser schließlich unter Beteiligung von Vertretern aus Politik, Kultur und Wissenschaft der Öffentlichkeit übergeben. Bei der Eröffnung sagte Schöbel: „Auf 400 Quadratmetern zusätzlicher Fläche ist ein lebendiges Bild aus der späten Bronzezeit entstanden, das dem Besucher überraschende und neue Einblicke in das Leben vor fast 3000 Jahren vermittelt.“ Im Mittelpunkt der damals neuen Bronzezeit-Schau standen originalgetreu nachgebildete Szenen mit 27 täuschend echt wirkenden Figuren, die ein Team um den renommierten englischen Künstler Gery Embleton angefertigt hatte.

So war mithilfe des Projektes „Archaeolive“ der EU ein neues Schaufenster für die Pfahlbauarchäologie entstanden. „Es ist eine zusätzliche Attraktion für die Gemeinde und die Region und es vermittelt einen weiteren Teil Kulturgeschichte des Bodenseeraums“, schrieb Schöbel in der Plattform 11/12. Ein Drittel der Kosten wurde vom Programm der EU abgedeckt, die restlichen zwei Drittel stammten aus Eigenmitteln des Pfahlbaumuseums.

Die fünf Häuser werden dem Museumsdirektor zufolge jetzt auch im „Archaeorama“ im Neubau oder an verschiedenen Stellen im Museum dargestellt. Beim 2013 in Betrieb genommenen „Archaeorama“ handelt es sich um eine Multimediaeinheit zur Vermittlung der Inhalte des Weltkulturerbes mit 360 Grad Projektionen in drei Sprachen. „Die Häuser ergänzen nicht nur unseren Präsentationsbestand der insgesamt 23 Häuser aus Stein- und Bronzezeit am Bodensee, in Oberschwaben und in der Schweiz“, erläutert Schöbel, „sondern sie nehmen direkt Bezug auf das etwa 500 Meter entfernte originale Pfahlfeld des Unesco-Weltkulturerbes und illustrieren es mit modernsten museologischen Mitteln.“