Die Caritas Hochrhein geht davon aus, dass der demografische Wandel in Zukunft die Aufgabe der ambulanten Pflege zu Hause immer schwerer machen wird. „Eine immer größere Zahl von Menschen wird immer älter und die Generation der Babyboomer geht bald in Rente. Die Systeme, mit denen bisher gearbeitet wird, werden angesichts der demografischen Entwicklung nicht in der Lage sein, das zu leisten, was benötigt wird“, sagt Rolf Steinegger, Geschäftsführer des Caritasverbandes Hochrhein.
Pflegekräfte sollen nicht nach Arbeitsschritten, sondern wie Handwerker nach Stundensätzen bezahlt werden
Um den wachsenden Bedarf der Pflege Zuhause bewältigen zu können, habe die Sozialstation St. Martin in Bad Säckingen daher als Pionier über Jahre hinweg die sogenannte Ist-Zeit-Pflege entwickelt und erprobt, führt Steinegger aus. Konkret bedeute dieser bundesweit viel beachtete Ansatz, dass die Sozialstation nun nicht mehr nach einzelnen Arbeitsschritten wie Anziehen oder Hygienemaßnahmen abrechne, sondern wie ein Handwerker nach Stundensätzen. Nach langen Verhandlungen hätten die Krankenkassen dieses Modell akzeptiert.

„Mit diesem neuen Modell können wir passgenau das leisten, was der Patient oder die Angehörigen benötigen und nicht, was irgendwelche Module als Arbeitsschritte vorgeben“, erläutert der Caritas-Geschäftsführer. Die Caritas vereinbare im Gespräch, was ein Patient für ein eigenständiges Leben benötige und schule auch seine Angehörigen. „Im Idealfall können wir uns sogar aus der Pflege wieder zurückziehen, wenn ein Patient seine verloren gegangene Selbstständigkeit wieder erlernt hat.“
Dieses Modell ermögliche den Caritas-Mitarbeitern auch, sich wieder mehr Zeit für die wichtigen Gespräche mit den Menschen nehmen. Steinegger: „Oft geht es in der Pflege auch darum, einfach nur da zu sein.“ Die Ist-Zeit-Pflege bedeute einen zentralen Schritt zum Umbau des Pflegesystems, um den Patienten wieder ein selbstbestimmtes Leben ohne Hilfe von außen zu ermöglichen. „Wenn wir auf diesem Weg erfolgreich sind, dann haben wir unseren Auftrag in der ambulanten Pflege erfüllt“, betont Steinegger.
Die Aufgabe der Caritas hat sich seit 2000 Jahren nicht verändert
Für Steinegger hat sich die Aufgabe der Pflege seit 2000 Jahren nicht verändert: „Wir kennen im Christentum aus dem Evangelium die Armenfürsorge und die Werke der Barmherzigkeit. Diese bilden seit 2000 Jahren den Kern der Pflege für die Menschen. Schon vor Jahrhunderten hat die Kirche Hospize und Spitäler mit Kapellen für die Armen und Kranken errichtet – später kamen die Ordensschwestern, die Pflegevereine und die Pflegedienste hinzu“, erklärt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER.
Die Würde des Einzelnen steht im Mittelpunkt der Pflege
Diese Fürsorge habe sich stets an die Veränderungen der Zeit angepasst, um ihren Auftrag der Barmherzigkeit zu erfüllen – eine Notwendigkeit, die Steinegger auch für die heutige Zeit betont. „Dabei gelten für uns jedoch immer drei Kernelemente des christlichen Menschenbildes“, führt er weiter aus. „Jeder Mensch ist eine von Gott gewollte Persönlichkeit, die ihre Würde aus sich selbst heraus bezieht. Diese Würde kann man einem Menschen niemals nehmen und sie steht deshalb auch zu Recht als Artikel 1 in unserem Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Bei der Umsetzung dieses Anspruchs setze der Staat zunächst zurecht auf die Familie oder das persönliche Umfeld des einzelnen Menschen – erst, wenn diese den Ansprüchen der Pflege nicht gerecht werden könnten, kämen die kirchlichen oder privaten Pflegedienste in Spiel, „der Staat hingegen hat von dieser Aufgabe die Finger zu lassen“, erklärt Steinegger deutlich. Denn nur so könne das dritte Prinzip Wirklichkeit werden – der Anspruch, dass die Menschen solidarisch miteinander umgehen und sich gegenseitig in allen Fragen des menschlichen Seins unterstützen. Dies beginne bei der Kindererziehung und reiche bis zur Pflege der Alten und Kranken.
Hilfe für den Nächsten ist immer auch ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit
Auf die Bedeutung des christlichen Menschenbildes weist Steinegger angesichts der um sich greifenden Fremdenfeindlichkeit noch einmal mit Nachdruck hin: „Wir unterstützen Menschen in allem, wo sie für andere da sein wollen oder selbst Hilfe benötigen und unterscheiden die Bedürftigen nicht nach ihrer Herkunft oder Religion – uns sind alle Menschen gleich wichtig. Genau deshalb hat die Caritas auch an der langen Nacht der Demokratie in Rheinfelden und Waldshut teilgenommen und sagt zu allen ausgrenzenden Kräften der Gegenwart, dass unser Kreuz keine Haken hat. Rassismus und Ausgrenzung finden bei uns keinen Platz. Doch das Gift der Vergangenheit wirkt immer noch und wer die Vergangenheit vergisst, muss sie noch einmal erleben.“

Steinegger wünscht sich daher, dass die Gesellschaft die im Grundgesetz formulierten Werte der Nächstenliebe und Toleranz verteidige und sieht hierin auch einen politischen Auftrag für die Caritas: „Auf der Grundlage unseres christlichen Menschenbildes sagen wir zu jedem Menschen, dass er ein Teil von uns ist. Es darf niemand ausgegrenzt werden, nur weil er nicht einer Norm entspricht und es ist uns egal, ob er Ausländer oder Muslim ist. Wir wollen die Solidarität von Mensch zu Mensch bewahren und fördern, denn es entspricht der Seele unseres Auftrages, dass jeder einzelne Mensch gleich wichtig ist. Rassismus hat bei uns deshalb keinen Platz.“