„Es ist für uns alle eine außergewöhnliche Situation“, beschreibt Manfred Schrenk von der Caritas Hochrhein. Als Geschäftsführer des Referates „Eingliederungshilfe“ weiß er, dass es für Menschen mit Behinderung noch schwieriger ist, den Verlust des gewohnten Tagesablauf zu verstehen und zu akzeptieren. Und genau hier liegt für sein Team die Herausforderung, sagt Schrenk. Die Caritas Hochrhein betreut knapp 120 behinderte Menschen stationär, hauptsächlich im Haus St. Elisabeth in Gurtweil. Auch die fünf Werkstätten der Caritas gehören zu Schrenks Geschäftsbereich, hier finden rund 550 Menschen Arbeit auch aus anderen Einrichtungen wie etwa der Diakonie in Öflingen. „Es ist schon herausfordernd“, beschreibt Schrenk die aktuelle Situation. „Denn unsere Ziel ist doch Integration, wir wollen Begegnung stiften“, fügt er hinzu, „und genau diese Grundidee fällt jetzt komplett weg.“ Denn Begegnung bedeute Nähe und Kontakt.

Das Einhalten des Abstandsgebot innerhalb der Einrichtungen sei derzeit die zentrale Aufgabe für sein Team. Schrenk: „Und das ist schon herausfordernd.“ Nach außen sind Einrichtung wie das Haus St. Elisabeth in Gurtweil isoliert, es herrscht Besuchsverbot. In den fünf Behindertenwerkstätten laufe der Betrieb eingeschränkt. Von den ansonsten 550 Mitarbeitern können derzeit nur 100 zur ihrer täglichen Arbeit, in Wallbach sind es 20 von üblicherweise 130. Diese Grundlast in den Werkstätten werde vor allem deshalb aufrecht erhalten, um jenen Behinderten ein Angebot zu geben, die derzeit keine feste Tagesstruktur haben.

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In der Öflinger Diakonie werden 68 Menschen mit Behinderungen betreut, weitere 14 in einem zweiten Standort in Rickenbach-Hottingen. Viele der Diakoniebewohner arbeiten in der Behindertenwerkstatt Wallbach und sind sowohl vom reduzierten Betrieb in der Werkstatt wie auch von der Kontakt- und Besuchssperre getroffen. „Jede Familie, die ihre Kindergarten- und Schulkinder über Wochen daheim hat, hat zumindest eine kleine Idee davon, wie die Situation gerade ist“, sagt Heimleiterin Ulla Krug.

Ulla Krug strahlt Professionalität und Zuversicht aus. Alle Mitarbeiter seien voller Motivation, den Bewohnern einen neuen und gangbaren Alltag in dieser quasi isolierten Umgebung zu bieten. Zwei Dinge betont sie dabei besonders: zum einen „das Erklären“. Es sei wichtig, die Gründe für Situation immer und immer wieder zu erklären. Denn die Betreuten fragten natürlich, warum jetzt plötzlich alles anders ist und wie lange das noch dauere. Ob die Erklärung aber nachvollzogen werde, sei letztlich auch eine Frage des Behinderungsgrades, beschreibt Ulla Krug nüchtern. Hier könne es dann auch mal schwierig werden.

So gewinnt der zweite Punkt an Bedeutung: Die Beschäftigung. „Wir spielen, machen Spaß, wir bastel, wir malen, wir schicken Post nach Hause oder wir telefonieren“, erzählt die Heimleiterin.

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Sie kennt ihre enorme Verantwortung. Viele der Betreuten seien Risikopatienten, gerade jene mit Downsyndrom. „Bis jetzt seien aber alle, sowohl Bewohner und Betreuer symptomfrei“, berichtet sie. Doch sie ist Realistin: Allerdings gebe es keine 100-prozentige Sicherheit, trotz aller Schutzmaßnahmen.

Die größte Einrichtung der Behindertenhilfe in der Region ist das Josefshaus in Herten. Stationär werden 720 Menschen an acht Standorten begleitet, in den Werkstätten des St. Josefshauses sind 571 Beschäftigte (342 im Arbeitsbereich, 229 im Förder- und Betreuungsbereich). „Die Trennung von den Angehörigen, Familien und Freunden fällt auch den Menschen mit kognitiven Einschränkungen schwer, aber wir alle versuchen das Beste daraus zu machen“, berichtet Birgit Ackermann, Vorständin des Josefshauses. Manchmal habe man sogar das Gefühl, es falle den Eltern und Geschwistern schwerer, ihre Angehörigen nicht zu sehen. Gerade in diesen Zeiten steige der Einsatz digitaler Mittel: „Skypen gehört zum Teil zu den neuen Kompetenzbereichen der Bewohner und der Angehörigen“, so Birgit Ackermann. Dennoch: Der Faktor Zeit mache das Problem leider nicht kleiner, bedauert sie: „Wir haben sehr disziplinierte Angehörige, aber uns ist bewusst, wie viele Tränen, Gedanken und schlaflose Nächte damit verbunden sind.“

Sehr vereinzelt seien auch Bewohner von ihren Angehörigen nach Hause geholt, berichtet Vorständin Ackermann. Man hoffe sehr, dass die Familien die Kraft und Kapazitäten haben diese Entscheidungen bis zum Schluss zu tragen. Das Josefshaus stehe im anderen Fall stets zur Unterstützung bereit.

Die Herausforderungen des neuen Alltages sind auch im Josefshaus, den Menschen weiter eine Tagesstruktur zu geben. Das sei sehr wichtig für Stabilität. „Unsere größte Sorge war hier eine Ausgangssperre, die bislang ja so nicht gekommen ist.“ Das habe bei allen große Ängste ausgelöst und leider in Einzelfällen auch zu herausforderndem Verhalten geführt. Mit vertrauter Tagesstruktur und bekannten Betreuern sei die Situation aber derzeit recht stabil.

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Die Behindertenwerkstätten hätten seit Corona einen sehr eingeschränkten Betrieb, das habe erst zu vielen Verunsicherungen geführt. Auch hier gehe es um Beruhigung und Organisation des Alltags. Mehr Sorgen mache der Förder- und Betreuungsbereich, erklärt Vorständin Ackermann. Die Angehörigen kämen ohne das Angebot zum Teil an Belastungsgrenzen. Daher sei jetzt aktuell eine kleine Gruppe zur Entlastung besonders belasteter Familie geöffnet worden.

Aber bei all der schwierigen Situation kann Birgit Ackermann auch eine anrührende Geschichte erzählen: „Menschen mit kognitiven Einschränkungen können sich besonders gut an kleinen Dingen erfreuen, einer Blume, einem Lied, Fotos und einem Stück Schokolade – da können wir alle wohl von ihnen lernen. Und die tollen Osterpäckchen der Angehörigen haben geradezu emotionale Freudenfeuer entzündet.“

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