Bonndorf – Wenn man Fred Mbogning Tenkeng zusieht, wie er lässig am Küchentisch von Karen Schnellbach seinen Kaffee trinkt, ahnt man nicht, was ihm in den vergangenen Jahren alles widerfahren ist. „Es gab Momente, in denen ich nur nach Hause wollte“, sagt der 30-Jährige aus der Hafenstadt Douala in Kamerun, er spricht fließend Deutsch. „Aber ich musste an meine Familie denken. Die wollte ich nicht enttäuschen.“ Seine Geschichte will er erzählen, um anderen Mut zu machen. „Vielleicht hilft das anderen dabei, schwierige Situationen durchzustehen“, sagt er.

Von schwierigen Situationen hat Fred Mbogning Tenkeng jedenfalls einiges zu erzählen. Er hatte in seiner Heimatstadt eine Ausbildung als Elektroniker abgeschlossen, fand Arbeit in einer Brauerei und war unzufrieden: „Mein Chef konnte viel weniger als ich – wurde aber besser bezahlt. Nur weil er im Ausland studiert hatte.“ Da war für Fred klar: „Das will ich auch.“ Sein Ziel war Frankreich, weil Französisch seine Muttersprache ist. Doch dort bekam er kein Visum. Da gab ihm ein Freund den Tipp: „Versuch es in der Ukraine.“ Gesagt, getan. „Ich wusste nichts über die Ukraine“, gibt Fred zu, „aber die Zulassung fürs Studium bekam ich innerhalb einer Woche.“ Seine Eltern, nicht eben begütert, halfen ihm, die notwendigen 4000¦Euro zusammenzukratzen – sehr viel Geld für die Familie.

Am 21. August 2017 reiste Fred Mbogning Tenkeng nach Charkiw. Zunächst musste er Russisch lernen, später Ukrainisch. Sein Alltag: morgens Elektrotechnik studieren, nachmittags Ukrainisch pauken, abends jobben im Call-Center, wo seine Französisch-Kenntnisse gefragt waren. Die kurze Freizeit am Wochenende genoss er sehr: „Ich hatte tausend Freunde.“ Die Ukrainer seien sehr zugänglich gewesen, oft sei er auf der Straße angesprochen und spontan eingeladen worden. Ein großer Kontrast zu Deutschland, sagt er. „In meinen zwei Jahren in Hamburg hat mich nie jemand angesprochen.“

Als Freds Studium auf der Zielgeraden war, kamen die Russen. Die erste Bombe fiel am 24. Februar 2022 um 23¦Uhr auf Charkiw. Etliche Einschläge später stand für Fred Mbogning Tenkeng und seine Studienkollegen aus Kamerun fest: „Wir müssen hier weg.“ Sie quetschten sich in einen völlig überfüllten Zug nach Kiew. „Und da“, sagt Fred, „war es noch viel schlimmer als in Charkiw.“ Raketen flogen vom Himmel, es gab Detonationen, Feuer, Rauch und Sirenen heulten. Die „Bande“, wie Fred Mbogning Tenkeng seine Freunde nennt, beschloss, die Ukraine zu verlassen – so schnell wie möglich.

Doch die ukrainischen Beamten an der Grenze zu Polen bei Lwiw ließen nur Frauen und Kinder ausreisen. Nach langem Warten und mittlerweile 25 Stunden ohne Schlaf und Essen waren die elf Studenten ausgehungert, unterkühlt, müde – am Ende. „Wir waren verzweifelt, da sind wir einfach über die Absperrung gesprungen“, berichtet er . „Wir dachten, die schießen. Aber keiner reagierte.“ Als seien sie Touristen, versah danach der polnische Grenzbeamte die Pässe der Studenten mit Stempeln. „Polen war locker“, sagt Fred Mbogning Tenkeng. Busse mit verschiedensten Zielen standen bereit. Die Freunde entschieden sich für Berlin.

Sie landeten aber in einem Lager im brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Zu essen gab es stets Brot und Käse. Einer der Freunde hatte eine Bekannte aus Kamerun, die in Bonndorf wohnte. „Kommt her“, riet sie. „Die Leute sind nett, das Dorf ist gut.“ So reiste zunächst Fred Mbogning Tenkengs Freund Jeremy nach Bonndorf und wurde an Karen Schnellbach und Roland Eisele vermittelt, die abgelegen in der Sommerau wohnen. Sie hatten sich bereit erklärt, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, waren aber ebenso mit Studenten aus Kamerun einverstanden. „Wir helfen jedem“, sagt Karen Schnellbach.

Nach Jeremy wagte Fred Mbogning Tenkeng die Reise nach Bonndorf. Er kam nachts an, ein Flüchtlingsbeauftragter fuhr ihn durch den Wald zur Sommerau. Das wurde ihm unheimlich, er ballte die Fäuste, als er am Küchentisch erzählte: „Ich war sicher, dass ich gleich kämpfen muss.“ Am Haus angekommen, weigerte er sich, aus dem Auto zu steigen. Jeremy redete ihm gut zu: „Komm rein, es gibt viel zu essen. Und du kannst warm duschen.“

Fred Mbogning Tenkeng akklimatisierte sich schnell und nannte die freundliche Karen Schnellbach bald „seine Mutter“. Er verfolgte von der Sommerau aus online die Vorlesungen in Charkiw – wenn sie nicht wegen Bombenangriffen unterbrochen wurden – und schrieb Klausuren. Nach wenigen Wochen schlug die deutsche Bürokratie zu. Er müsse zurück nach Eisenhüttenstadt, teilten ihm die Behörden mit, dem Ort der Erstregistrierung. Der Kameruner gehorchte, zog aber weiter nach Hamburg. „Denn nur dort hatte ich damals einen Aufenthaltsstatus“, berichtet er. Alle anderen Bundesländer hätten ihn ausweisen können.

In Hamburg lebte er mit drei anderen Flüchtlingen in einem Zimmer: „Das war schwierig.“ Unterhalt zahlte ihm die Otto-Benecke-Stiftung, die ihm auch einen Deutsch- und einen Englisch-Sprachkurs vermittelte. So brachte er sein Studium zu Ende. In der engen Unterkunft wäre das nicht gegangen. „Die Hamburger Stadtbibliothek war meine Wohnung“, berichtet Fred Mbogning Tenkeng. Hilfsbereite Mitarbeiter dort besorgten ihm einen Computer-Arbeitsplatz, als es darauf ankam. Im Juli 2023 erhielt er von der Hochschule in Charkiw den Bachelor-Abschluss. Jetzt wollte er in Deutschland den Master-Grad erreichen. Dazu aber wurde ein Praktikum verlangt. Mindestens 80 Bewerbungen habe er geschrieben, berichtet er – erfolglos. Nachdem die Unterstützung der Otto-Benecke-Stiftung auslief, verdingte er sich in Hamburg als Küchenhelfer.

Er hatte die Hoffnung fast aufgegeben, als eine Bewerbung zum Erfolg und ihn zurück nach Bonndorf führte: Bei Eliquo Stulz in Grafenhausen tat sich 2024 eine Möglichkeit auf – Karen und Roland Schnellbach hatten Bekannte auf ihn aufmerksam gemacht. Der Rest ist schnell erzählt: Das Praktikum war noch nicht beendet, da fragte ihn sein Chef: „Willst du bei uns bleiben?“ Die Antwort war: „Ja.“ Man müsse eben immer weiter hoffen, sagt Fred Mbogning Tenkeng, Karen Schnellbach ergänzt scherzhaft: „Und einfach mal aus dem Auto aussteigen.“ Er freue sich, dass er jetzt Steuern zahle, sagt er: „Viele Menschen hier haben mir sehr geholfen. Vielleicht kann ich etwas davon zurückgeben.“