Südöstlich von Görwihl liegt der kleine Ort Tiefenstein. Hier findet sich, etwas abgelegen und im Wald versteckt, das ehemalige Café Schlossberg. Über die Jahre hinweg trug der einstige Kultladen im Hotzenwald schon die verschiedensten Namen: Schlossberg Dancing, Coco Loco und auch als „Gnickschuss“-Bar war die Gaststätte lange Zeit bekannt. Seinen wohl kuriosesten Beinamen hat das Tanzlokal dabei einer Tragödie zu verdanken.

Keine Veranstaltungen im „Schlossberg Dancing“ kündigt dieses Hinweistafel an, die im Görwihler Ortsteil Tiefenstein steht.
Keine Veranstaltungen im „Schlossberg Dancing“ kündigt dieses Hinweistafel an, die im Görwihler Ortsteil Tiefenstein steht. | Bild: Anna-Lena Lauber

In der Nacht vom 4. auf den 5. August 1967 hatte ein damals 38-jähriger Spielautomatenunternehmer im Schlossberg-Café offenbar aus Eifersucht den 31-jährigen Tanzpartner seiner Frau nach einer Familienfeier mit einer Pistole erschossen.

Die Musikbox spielte gerade den Walzer „Wunderbar“, als der tödliche Schuss von außen durchs Fenster kam. Um etwa 2 Uhr morgens streckte der damals 38-jährige Täter aus Tiefenstein sein Opfer, einen verheirateten Kran- und Kraftfahrer aus Niederwihl, durch das geschlossene Fenster der Gaststätte nieder.

Der Täter traf mit seiner tschechischen Pistole mit einem „perfekten Genickschuss“, wie der damalige SÜDKURIER-Berichterstatter schrieb. Lange trug das Tanzlokal aus diesem Grund den Übernamen „Gnickschuss-Bar“.

Täter stand unter Alkoholeinfluss

Etwa ein Jahr nach dem Tötungsdelikt, im Juni 1968, begann der Mordprozess vor dem Schwurgericht Waldshut. Vier Tage dauerte die Verhandlung unter Vorsitz des Waldshuter und später Konstanzer Landgerichtspräsidenten Dr. Alfons Beising. Laut den damals getätigten Zeugenaussagen standen Täter und Opfer wohl schon längere Zeit auf Kriegsfuß.

Der Angeklagte wollte sich an den Tathergang in jener Nacht allerdings nicht mehr genau erinnern können. Ein medizinisches Gutachten erfasste den möglichen Grund für dessen angebliche Amnesie: Über zwei Promille sollte der Täter zur Tatzeit im Blut gehabt haben.

So berichtete der SÜDKURIER über den Beginn des Mordprozesses vor 55 Jahren.
So berichtete der SÜDKURIER über den Beginn des Mordprozesses vor 55 Jahren. | Bild: Südkurier

Auch die Gäste im Lokal erfassten die Situation nach Zeugenaussage des Wirtes erst, als das Opfer nach dem Vorfall „wie ein gefällter Baum“ zu Boden stürzte und der 38-jährige Täter mit der Pistole in der Hand durch das eingeschlagene Fenster einstieg, wie es im SÜDKURIER hieß.

Der Schuss an sich wurde aufgrund des geschlossenen Fensters und der laufenden Musikbox von der anwesenden Gesellschaft nicht wahrgenommen.

Täter rief die Polizei – von zu Hause

Nach dem Tathergang fuhr der Täter mit dem Auto zu seiner Wohnung, um von dort aus die Polizei zu verständigen – das Café Schlossberg hatte damals noch keinen Telefonanschluss.

Schließlich kehrte der Täter zum Tatort zurück, wartete auf das Eintreffen der Polizei und ließ sich festnehmen.

Angeklagter nach Urteilsverkündung frei

Nach dem viertägigen Prozess konnte der des Mordes angeklagte 38-Jährige als freier Mann nach Hause gehen. Das Schwurgericht verurteilte ihn wegen eines Vergehens des fahrlässigen Vollrausches und zwei Vergehen gegen das Waffengesetz zu zwei Jahren und vier Wochen Gefängnis.

Der Haftbefehl wurde aufgehoben, die Untersuchungshaft angerechnet und der Täter auf freien Fuß gesetzt. Die Reststrafe sollte der Angeklagte zu gegebener Zeit verbüßen müssen, wie der SÜDKURIER am 1. Juli 1968 berichtete.

Weltberühmtheit auf der Bühne im Hotzenwald

Rund 25 Jahre später schaffte es die Lokalität in Tiefenstein abermals in die Schlagzeilen. 1993 trat im Schlossberg Dancing eine Weltberühmtheit auf: Die Sängerin La Toya Jackson, Schwester von Superstar Michael Jackson, lieferte eine Darbietung ab. Allerdings, so hieß es, muss ihr Kurzkonzert wenig begeisternd gewesen sein. In den Jahren darauf unterlag das legendäre Tanzlokal jedoch einem stetigen Wandel: Statt fetziger Discomusik stand Mitte der 90er Techno und später Black Music auf dem Musikprogramm. Das Publikum wurde immer jünger, ältere Hotzenwälder blieben eher fern.

Nach einigen Pächterwechseln stellte das Lokal, das sich über die Jahre zu einer echten Institution im Hotzenwald entwickelte, im Jahr 2005 den Betrieb ein. 2006 wurde die Diskothek wieder aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und mit einem neuen Konzept betrieben. Es sollte alles wieder so werden wie früher – jung und alt sollten zusammen die Tanzfläche stürmen. Doch auch dieser Plan ging nicht ganz auf. Einige Jahre später wurde der Betrieb abermals eingestellt.

Wo einst Tanzwütige ausgelassen feierten, regional bekannte DJs auflegten und sogar ein Weltstar auftrat, herrscht heute gähnende Leere. Ob hier wohl jemals wieder das Tanzbein geschwungen wird? Eher unwahrscheinlich.

Der Ort des Geschehens

Tiefenstein ist eine kleine Siedlung in der Albtalschlucht. Verwaltungspolitisch bildete der Ort stets ein Kuriosum: Da es zu keiner Zeit eine Gemarkung Tiefenstein gab, konnte sich nie eine Gemeinde bilden. Die Bewohner des Tales waren aufgeteilt nach den von ihnen bewohnten Gemarkungen Rüßwihl, Niederwihl, Schachen und Buch, die hier zusammenstießen.

Die Tiefensteiner zählten demgemäß zu vier politischen Gemeinden. Da die Alb Grenzfluss war, teilten sie sich außerdem auf die zwei ehemaligen Landkreisen Säckingen und Waldshut auf. Erst bei der Gemeindereform 1975 wurde dieser Situation ein Ende gesetzt. Heute gehören die vier ehemaligen Ortsteile von Tiefenstein komplett zur Gemeinde Görwihl.

Dieser Artikel wurde erstmals im Juni 2023 veröffentlicht.

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