Jestetten Während die Quellenlage zu den Ereignissen des 14. und 15. Mai 1945 noch erfreulich ist, liegen die Ursprünge der Einsiedelnwallfahrt der Bewohner des Jestetter Zipfels weitgehend vom Nebel der Vergangenheit. Sicher ist nur, dass die jährliche Wallfahrt im Spätsommer oder Frühherbst in dankbarer Erinnerung an die Rückkehr in die Heimat begangen wird. Denn die deutschen Bewohner durften nach der Vertreibung im Mai ab dem Juli schrittweise wieder zurückkehren. Bis zum Jahresende waren alle Vertriebenen wieder in ihrer Heimat.

Zum Dank für die Heimkehr legten die Menschen das Gelübde ab, jährlich eine Wallfahrt zur schwarzen Madonna nach Einsiedeln zu machen. Umgesetzt wurde dieses Gelübde federführend vom Lottstetter Pfarrer August Hilser, der das Geschehen zum Kriegsende gut dokumentiert hat und Helmut Buchter, senior. Die Gemeinden Jestetten und Altenburg sowie die schweizerische Gemeinde Rheinau, zu der eine historisch gewachsene besondere Verbindung besteht, schlossen sich den Lottstettern an.

In Jestetten soll es andere Pläne gegeben haben – man war sogar gegen eine Wallfahrt oder die Idee, mit den Lottstettern gemeinsam zu pilgern. Dagegen wabert der Bau einer Kapelle zum Dank an die Rückkehr als Gerücht durch den Äther, allerdings sind die Zeitzeugen, die seinerzeit in Verantwortung standen, inzwischen gestorben. Seltsamerweise gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen aus der Zeit der frühen Bundesrepublik über diese Wallfahrt – jedenfalls wurde bislang nichts dazu gefunden.

Letztlich haben sich die Jestetter dem Pilgerzug angeschlossen. Doch wann die erste dieser Pilgerfahrten stattgefunden hat, lässt sich heute nicht mehr genau ermitteln. Weder in alten Zeitungsausgaben konnte etwas gefunden werden, noch geben die alten Chroniken aus der Zeit von Bürgermeister Ernst Abend darüber Aufschluss. Die Befragung alter Zeitzeugen gibt ein diffuses Bild. Einige behaupten, die erste Pilgerfahrt habe im Jahr 1949 stattgefunden, andere sind sich sicher, dass dies 1950 der Fall war, nachdem Auslandsreisen wieder möglich waren. Wieder andere sind der Meinung, dass es noch später gewesen sei.

Wie auch immer, die Pilgergruppe aus dem Jestetter Zipfel war sehr groß: Mehr als 400 Teilnehmer fuhren im Sonderzug von Jestetten bis nach Einsiedeln, wo die Pilger durch einen Priester und Ministranten am Bahnhof abgeholt wurden und dann in einer Prozession bis zur Klosterkirche zogen. Der Sonderzug war vom örtlichen Vorstand der SBB, einem Herr Sütterlin, organisiert worden. Bis in die späten 80er-Jahre fuhr man im Zug – eine Fahrt, die durch Rosenkranzgebete und das Singen geistlicher Lieder geprägt war. Offenbar waren die frühen Pilgerfahrten stressig, denn nach der intensiven Zugfahrt und Prozession begab man sich zur Beichte, bevor der Gottesdienst begann. war Für die Menschen der jungen Bundesrepublik war es ein ganz besonderer Anlass, ins Ausland zu reisen, denn zur damaligen Zeit kamen die Menschen kaum aus dem vertrauten Umfeld heraus. Bis heute fahren Reisebusse nach Einsiedeln, in diesem Jahr am 27. September.