Am Fuße der Nacker Weinberge liegt das Gasthaus zum „Kranz“, und man könnte glauben, hier im postkartenidyllischen Dorf sei die Zeit stehen geblieben – doch weit gefehlt. Hier, am südlichen Ende des Jestetter Zipfels, findet sich ein Restaurant, das erfolgreich den Spagat zwischen Tradition und Moderne meistert und längst über den Status eines Geheimtipps hinausgewachsen ist. Nur was ist das Geheimrezept für die Langlebigkeit des Gasthofs zum „Kranz“ im Lottstettener Ortsteil Nack?
Seit 255 Jahren im Besitz der Familie Rieger
Seit dem Jahr 1769, also seit 255 Jahren, befindet sich das Gebäude im Besitz der Familie Rieger. Damals, so jedenfalls die Quellen, hatte Martin Rieger das Anwesen übernommen, das seinerzeit schon eine Schankerlaubnis hatte. Vermutlich besteht der „Kranz“ in Nack schon viel länger, doch genaue Aufschlüsse bleiben im Nebel der Vergangenheit verborgen.
Fakt hingegen ist, dass Josef Rieger (1802–1884) die Verantwortung für den „Kranz“ im Jahre 1835 übernommen hat. Die Gastwirtschaft spielte freilich nur eine Nebenrolle, die Riegers waren Winzer, die ihren Wein natürlich im eigenen Lokal anbieten konnten. In Zeiten des Vormärz (Märzrevolution 1848) waren Gasthäuser die Orte des politischen Diskurses. So blieb es nicht aus, dass auch im Nacker „Kranz“ politisiert wurde und der Wirt – wie an vielen anderen Orten auch – im Zentrum der verbalen Attacken auf die undemokratischen Zustände stand.

Als Major der Bürgerwehr und Teilnehmer an der Revolution wurde Josef Rieger im Jahr 1850 zu einer einjährigen Arbeitshausstrafe verurteilt. Dieses Urteil zeigt, welchen Stellenwert Wirtsleute Mitte des 19. Jahrhunderts hatten, denn Arbeitshäuser dienten in erster Linie dazu, Obdachlosen, Landstreichern und „arbeitsscheuem Gesindel“ den Weg vom Müßiggang zur Rechtschaffenheit zu weisen. Wie auch immer, Josef Rieger und der „Kranz“ überstanden auch diese Zeit, und im Jahre 1870 ging das Zepter schließlich an seinen Sohn Fridolin (1844–1929) der die Land- und Gastwirtschaft fortan führte.

Nach der Jahrhundertwende übernahm dessen Sohn Rudolf Rieger (1879–1917) den „Kranz“. Am Ende des Ersten Weltkriegs erlebten die Familie Rieger und der „Kranz“ schwere Zeiten; Rudolf Rieger fiel im Februar 1917 und ein Jahr später brannte der Gasthof ab.
Rudolf Riegers Witwe, Melida, baute das Gasthaus wieder auf und damit wurde der Grundstein für den heutigen Erfolg gelegt. 1922 heiratete Melida ihren Schwager Ernst Rieger (1883–1959) und führte mit ihm zusammen das Lokal bis es Rudolf Rieger jun. (1905–1973) übernahm. Er war in der Mitte des 20. Jahrhunderts für den Weinbau und die Gastwirtschaft verantwortlich und übergab den traditionellen Betrieb dann an seinen Sohn Theo Rieger (1939–2022).
Im Jahr 1968 ging das Gebäude erneut in Flammen auf. Das Feuer vernichtete den Ökonomie-Teil. Jetzt stand der „Kranz“wirt Theo Rieger vor einer schweren Entscheidung – Landwirtschaft oder Gastwirtschaft? Theo entschied sich für Letzteres, baute mit seiner Frau Hilde den Gasthof wieder auf und führte ihn an die gastronomische Spitze der Region. Zwar gab es weiterhin den hauseigenen Wein, doch der Schwerpunkt liegt seit gut 50 Jahren eindeutig auf der Gastronomie.
Anfang der 1990er Jahre pachtete die Flughafenregion Zürich (FRZ), das Netzwerk für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in der Flughafenregion Zürich, den „Kranz“ in Nack. Am Ende dieser Pachtphase kündigte die FRZ in einem Brief an alle Stammkunden an, dass ab Ende 1998 wieder die Familie Rieger das Zepter übernehme.
„Ich war überwältigt,“ sagt Gerd Saremba heute, „als die ganzen alten Kunden meines Onkels, mit diesem Brief in der Hand wedelnd, in den „Kranz“ kamen.“ Es war ein fulminanter Neustart und für Gerd Saremba eine Herausforderung. Nach seiner Ausbildung zum Koch absolvierte Saremba ambitionierte Lehr- und Wanderjahre in namhaften Hotelküchen, beispielsweise im Grand Hotel Palace in St. Moritz und im Grand Hotel Dolder in Zürich.
Er war gerade im Mosimann‘s in London, als ihn sein Onkel fragte, ob er zurück nach Nack kommen möchte, um den „Kranz“ zu übernehmen. Seine Mutter, Renate Saremba, unterstützte ihn bei dieser Entscheidung. Sie war lange Jahre im Gasthaus ihres Bruders Theo tätig und war in den Anfangszeiten, wie die gesamte Familie Rieger, eine große Unterstützung beim Neuanfang des Gasthofs zum „Kranz“.
Seit 25 Jahren führen Gerd Saremba und seine Lebensgefährtin Manuela Fritz inzwischen die Familientradition fort, der gemeinsame Sohn Leon wurde 2001 geboren. Doch für das Lokal bedeutet Tradition nicht etwa Stillstand, sondern Weiterentwicklung. Das gilt nicht nur für die Küche, sondern auch für das Ambiente. Der Chic der 1970er Jahre war in den 2000ern nicht mehr zeitgemäß, und so wurde 2011 zunächst die Küche umgebaut und drei Jahre später die Speisesäle renoviert.
Die historische Bausubstanz sollte jedoch erhalten bleiben. Das alte Holztäfer und die Deckenbalken wurden in einem warmen Grauton gestrichen, die Bänke mit edlem Loden im gleichen Farbton bezogen, passende neue Stühle beschafft und die alte Eichenholzdecke im Nebenraum durch Sandstrahlen aufgefrischt. Der alte Klinkerboden wurde durch Eichenparkett ersetzt, das mit dem alten Kachelofen harmoniert.
Platz für die Geschichte
Der Empfang und Thekenbereich war jedoch die größte Herausforderung, er musste komplett ersetzt werden. Dort befanden sich auch keine erhaltenswerten Details. Man entschloss sich, diesen Bereich losgelöst vom Restaurant zu betrachten. Es entstand ein moderner Kubus mit Nussbaumvertäfelung, verspiegelten Wänden hinter den Gläserregalen, Granitarbeitsplatten und als Höhepunkt eine Theke in Zementoptik.
Bewusst wurden im Holztäfer Aussparungen für die Ahnengalerie geschaffen – es wurde Platz geschaffen für die Geschichte – was nochmal die Tradition des Hauses unterstreicht.