Herr Bernhart, Sie sind bekannt als Kenner der lokalen Geschichte. Ihr Interesse an der Historie, ein Hobby oder gar eine Passion?

Ja, die Heimatgeschichte ist meine Leidenschaft. In meinem Beruf als Lehrer habe ich Geschichte und Musik unterrichtet und beide Fächer sehr gerne. Damals wurde Geschichte noch im Fach Heimat- und Sachkunde unterrichtet. Als Schulleiter war es Anfang der 1970er-Jahre noch ein Muss, in der Gemeinde, in der man unterrichtete, zu leben. Das hatte durchaus eine gewisse Berechtigung. Mit meinen Schülern habe ich im Rahmen des Geschichtsunterrichtes regelmäßig Exkursionen unternommen, um ihnen ihre Heimat und deren Geschichte näherzubringen. Und ich denke, es hat allen Spaß gemacht. Ich habe auf das langweilige Dozieren bewusst verzichtet. Noch heute mache ich ab und an Führungen im Rahmen des Klettgauer Themenweges, zu denen sogar interessierte Gruppen aus der Schweiz kommen.

Für die Grießener 900-Jahr-Feier haben Sie die Geschichte des Ortes zusammengefasst. Wie muss man sich die Recherche dazu vorstellen?

Das ist zum einen die Lektüre der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur namhafter Historiker, aber auch die akribische Suche in Archiven. So war ich beispielsweise auf der Suche nach einem Vertrag, in dem Bernhardus von Grießheim dem Kloster Rheinau Grießen übereignet hat. Bernhardus war kinderlos und trat im Alter in das Kloster ein. Das Original der Schenkungsurkunde ist leider nicht mehr erhalten. Das Staatsarchiv Zürich konnte aber eine zeitgenössische Abschrift aus dem 12. Jahrhundert im sogenannten Rheinauer Kartular zur Verfügung stellen.

Von der ersten Besiedlung bis in die aktuelle Zeit, welche Epoche interessiert Sie am meisten? Und warum?

Mein großes Interessensgebiet ist die Reformation und der Bauernkrieg, der bekanntermaßen für die reformierten Grießener Bauern dramatisch und mit fürchterlichen Konsequenzen endete. Nur ein Beispiel: Hunderte Bauern verloren in der Schlacht auf dem Rafzer Feld ihr Leben. Eine Schar von Freischärlern verschanzte sich auf dem Grießener Friedhof, wo sie aber schließlich aufgeben mussten. Deren Anführer, darunter der Grießener Klaus Meyer, wurden drakonisch bestraft und das Dorf wurde niedergebrannt.

Hat sich Ihr Weltbild mit Ihrem Wissen um die Lokalgeschichte verändert?

Nein, mein Weltbild hat sich nicht verändert. Der Spruch „aus der Geschichte lernen wir“ klingt abgedroschen, hat aber nach wie vor seine Gültigkeit. Dennoch, so scheint es, der Mensch hat nichts gelernt. Das ist frustrierend. Die Geschichte unserer Heimat ist eine Abfolge von Kriegen und Gewalt: die Schweizer Kriege, der Bauernkrieg, der 30-jährige Krieg, die Koalitionskriege. Von den beiden großen Weltkriegen ganz zu schweigen.

Zum 900-jährigen Bestehen des Dorfes gibt es ein großangelegtes Festwochenende. Was wird geboten sein?

Es ist ein sehr groß angelegtes Jubiläumsfest, bei dem die Grießener Vereine, aber auch Privatpersonen sich mächtig ins Zeug legen. Der Samstag, 22. Juni, startet mit der Eröffnung der Festmeile um 14 Uhr bei der Linde, mit Fassanstich und Sektempfang mit Schirmherr Bürgermeister Ozan Topcuogullari. Der Sonntag, 23. Juni, beginnt mit dem Festgottesdienst, musikalisch gestaltet mit allen Klettgauer Kirchenchören, nachmittags sind die Höhepunkte der historische Umzug mit 25 Gruppen, der mittelalterliche Handwerkermarkt. An beiden Festtagen wird Musik und Unterhaltung auf den beiden Bühnen bei der Sozialstation und der Linde geboten sein. Kernstück der Feierlichkeiten sind zwei Ausstellungen. Die eine im Obergeschoss der Sozialstation mit Fotos vom alten Grießen sowie Werken des örtlichen Bildhauers Norbert Berger. Die zweite Ausstellung im Obergeschoss des Rathauses zeigt die Geschichte des Dorfes, der Schule und des Marktgeschehens. Das ganze Jahr über finden Vorträge, aber auch geschichtliche Exkursionen und Wanderungen statt und im Dezember eine musikalisch-meditative Abendstunde in der Pfarrkirche. Ein erster Auftakt ist das Jubiläum des Geschichtsvereins Hochrhein am Sonntag, 24. März, 17 Uhr, in der Gemeindehalle. Der Verein wurde vor 50 Jahren im Grießener Gasthaus „Mange“ gegründet. Darüber hinaus wird es über das ganze Jahr zahlreiche Angebote und Aktionen zum Thema Lokalgeschichte geben. Auf der Internetseite www.grießen-feiert.de sind alle Informationen nachzulesen.

Wer organisiert das große Jubiläumsjahr?

Das ist der Zusammenschluss der Grießener Vereine unter dem Dach einer GbR. Die Zusammenarbeit des achtköpfigen Orga-Teams, unter der Leitung von Horst Schmidle, und den einzelnen Gruppen läuft hervorragend. Alle freuen sich auf das Jubiläumsfest. Es sind jedoch auch zahlreiche Privatpersonen dabei, die sich aktiv beteiligen. Es hat sich gezeigt, dass viele Ressourcen vorhanden sind. Durch die Vorbereitungen haben wir erfahren, dass der Zusammenhalt im Dorf überraschenderweise doch vorhanden ist. Es bleibt für Grießen zu hoffen, dass es auch in Zukunft so bleibt.

Fragen: Eva Baumgartner
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