Freunde des 19-Jährigen, der am 26. März im Hohentenger Ortsteil Lienheim seine Mutter, seinen Vater und seinen Bruder getötet und seine Schwester schwer verletzt haben soll, haben Tage vor der Bluttat Wesensveränderungen bei dem jungen Mann festgestellt. Das sagten sie als Zeugen im Sicherungsverfahren vor der Ersten Großen Jugendkammer des Landgerichts in Waldshut.
Darum ist es ein Sicherungsverfahren
Als Sicherungsverfahren und nicht als Strafverfahren wird der Prozess geführt, weil der 19-Jährige zum Tatzeitpunkt nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft schuldunfähig war. Oberstaatsanwalt Christian Lorenz sprach am ersten Verhandlungstag von einer „krankhaften seelischen Störung – einer Art Schizophrenie.“
Zwei Freunde und Polizisten sagen aus
Die Zeugenaussagen zweier Freunde des jungen Mannes und auch die Aussagen von Polizeibeamten, die wegen der Auseinandersetzung in der Wohnung der Familie am Vortag des Blutvergießens nach Lienheim eilten, bestätigten den Eindruck der Staatsanwaltschaft. Auch wenn es in dem Sicherungsverfahren nicht um die Feststellung von Schuld und die Ermittlung eines Strafmaßes geht, so rekonstruieren die drei Berufs- und zwei Laienrichter unter Vorsitz von Martin Hauser doch sehr detailgetreu, was sich am 25. und 26. März in der Wohnung in Lienheim ereignete und wie es dazu hatte kommen können.
Auch Gerichtsmediziner und Kriminaltechniker sprechen
Dazu gehörten die Vernehmung eines Gerichtsmediziners und eines Kriminaltechnikers, der die am Tatort vorgefundenen Spuren erläuterte. Dazu gehört aber auch, sich ein Bild vom Wesen des Beschuldigten zu machen. Da berichteten jetzt zwei Polizeibeamte und zwei Freunde des 19-Jährigen von Auffälligkeiten.
Das ist am Vorabend der grausamen Tat geschehen
Die Polizisten eilten am Vorabend der Bluttat zu der Wohnung in Lienheim, weil der 19-Jährige da seine Eltern bereits mit Faust- und Kopfschlägen verletzt hatte. Ein Beamter der Bundespolizei kümmerte sich vor der Wohnung um den 19-Jährigen, während die Beamten der Landespolizei in der Wohnung ihre Ermittlungen aufnahmen.
Immer wieder liest er Gebete aus einem Büchlein
Der Bundespolizist saß mit dem 19-Jährigen auf einem Sockel vor dem Nachbarhaus. Dort habe er laut Gebete aus einem kleinen Büchlein gelesen. Als er nicht sofort in die Wohnung durfte, habe er sehr aufgebracht reagiert; er konnte sich aber mit dem kleinen Büchlein wieder beruhigen. Auf die Frage des Sachverständigen nach dem Zustand des 19-Jährigen an diesem Abend meinte der Bundespolizist: „Sehr schwankend.“ Nach dem Vorlesen aus dem Buch – es handelte sich wohl um das Gebetsbüchlein von Pater Pio – sei er aber immer „fröhlich, ruhig und geerdet“ gewesen.
Psychische Probleme waren ihm anzusehen
Ähnlich der Beamte der Landespolizei, der derweil mit den im Gesicht verletzten Eltern und dem Bruder des 19-Jährigen sprach. Der Beschuldigte sei die ganze Zeit ruhig gewesen, man habe ihm aber psychische Probleme angesehen, sein Blick sei starr gewesen. Weil der Beschuldigte vollkommen ruhig gewesen sei, habe er keine Rechtsgrundlage sehen können, auf welcher er ihn hätte mitnehmen können, sagte der Polizeibeamte.
Mit dem Hinweis, müde zu sein und ins Bett zu müssen, habe sich der 19-Jährige schließlich in sein Zimmer verabschiedet. Lediglich der Vater hätte es gerne gesehen, wenn der 19-Jährige die Wohnung hätte verlassen müssen. Darauf bestanden aber habe auch der Vater nicht, meinte der Polizeibeamte.
Die Mutter wünschte sich einen Priester
Derweil soll die Mutter dem Polizeibeamten berichtet haben, dass ihr Sohn in den zwei Wochen zuvor immer wieder in dem kleinen Büchlein gelesen und dabei Kontakt mit dem Teufel gehabt habe. Dem Wunsch der Mutter, jetzt doch bitte einen Priester zu holen, der einen Exorzismus ausüben könne, sei er dann aber nicht nachgekommen, sagte der Polizist.
Freunde bemerken die Veränderung
Um den Teufel ging es auch bei den Begegnungen zweier Freunde mit dem 19-Jährigen wenige Tage vor der Bluttat. Einer bezeichnete den Beschuldigten als einen ruhigen Menschen, der aber manchmal eine kurze Zündschnur habe. Als er ihn dann aber etwa eine Woche vor der Bluttat nach mehr als sechs Monaten zufällig im Ort getroffen habe, habe er sofort gemerkt, dass sich sein Freund verändert habe, dass etwas nicht stimme.
Also folgte er ihm an den Bootssteg am Rhein und versuchte, mehr zu erfahren. Der 19-Jährige habe in sich gekehrt gewirkt und immer wieder in dem Gebetsbüchlein gelesen und sich dabei bekreuzigt. Um seinem Freund einen Gefallen zu tun, habe man dann im Wechsel vorgelesen.
Er sei die Brut Lucifers, sagte er dem Freund
Er sei die Brut Lucifers, er sei vom Teufel besessen, habe er dann noch gesagt. Dabei, so der Freund weiter, seien dem Beschuldigten Tränen die Wangen heruntergekullert. Auf dem Rückweg vom Rhein ins Dorf habe er permanent gebetet und vor einem Feldkreuz am Wegesrand sei er niedergekniet und habe sich mehrmals bekreuzigt.
Die ganze Dramatik war freilich für den ebenfalls 19 Jahre alten langjährigen Freund des Beschuldigten nicht erkennbar. „Ich dachte an eine Art depressive Phase“, sagte er auf entsprechende Frage des Sachverständigen.
Sie beschreiben ihn als sonst ruhig und glücklich
Als ein weiterer Freund den Beschuldigten am späten Nachmittag des Tages vor der Bluttat traf, sei dieser zwar anders gewesen als sonst, aber gleichwohl ruhig und glücklich. Später habe dann der Bruder des Beschuldigten bei ihm angerufen und wissen wollen, ob er den 19-Jährigen gesehen habe und ob ihm etwas aufgefallen sei. Der Bitte des Bruders, den 19-Jährigen doch anzurufen und ein Treffen für die nächsten Tage zu vereinbaren, kam er dann auch nach. Zum Treffen kam es dann nicht mehr.
Spielte die Streetparade in Zürich eine Schlüsselrolle?
Eine Schlüsselrolle könnte der Besuch der Streetparade in Zürich einige Monate zuvor gespielt haben. Eigenen Angaben zufolge hatte der Angeklagte dort so viel Alkohol und Drogen konsumiert, dass er nicht mehr nach Hause fand. Seinem Freund berichtete der 19-Jährige später, dass er am Tag nach der Streetparade in Baden „sehr schlechte Stimmen“ gehört habe und sich an schreckliche Tictoc-Videos erinnert gefühlt habe.
Er habe Teufelsstimmen gehört und geglaubt, er sei der Teufel, beschreibt der Freund jene Begegnung mit dem Beschuldigten im Sommer vergangenen Jahres. Er habe ihm dann noch geraten, zu Gott zu beten, dass die Stimmen weggehen und er wieder in Friede leben könne, sagte der Zeuge.
Der Prozess wird am Montag, 2. September, fortgesetzt.
Alle Informationen zur Bluttat von Lienheim:
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