Nicht jeder will diesen Piekser: Alles Wichtige zur neuen Masern-Impfpflicht und zur Situation am Hochrhein
Masern sind eine gefährliche Infektionskrankheit, mit teils schweren Folgen. Ab 1. März gilt hierfür die Impfpflicht, was nicht allen gefällt. Doch wer ist überhaupt betroffen von dem neuen Gesetz? Wie wird das kontrolliert? Und warum ist die Impfung so wichtig? Wir sprechen mit dem Wehrer Kinderarzt Jochen Sperling, sowie mit Schulen und Kindergärten.
Der Wehrer Kinder- und Jugendarzt Jochen Sperling impft 2020 – noch am alten Praxisstandort in Wehr – ein Kleinkind. Derzeit ist seine Praxis geschlossen, soll aber im Mai wieder geöffnet werden.
| Bild: Verena Wehrle
„Die Impfung gegen Masern ist wichtig“ – daran besteht für Dr. Jochen Sperling, Kinderarzt aus Wehr, kein Zweifel. Denn bei Masern handle es sich um eine schlimme Infektionskrankheit. „Die Krankheit kann eine Behinderung hervorrufen, da muss dann auch ein negativ eingestelltes Elternteil hellhörig werden“, so Sperling. Aber der 62-jährige Mediziner glaubt, wie er sagt, dass das Gesetz nicht der richtige Weg ist. Und er plädiert dafür, auch die Meinung der Impfgegner zu akzeptieren.
„Ich selbst hatte als Kind Masern – das war für mich die schlimmste Krankheit“, erinnert sich Sperling. „Ich habe 22 Stunden geschlafen, war wie im Delirium, hatte hohes Fieber und eine Bindehautentzündung.“ Doch ist die damalige Volkskrankheit heute überhaupt noch ein Problem? In den vergangenen drei Jahren sind laut Sperling in Deutschland zehn Kinder an Masern gestorben, 280 waren nach der Infektion schwerstbehindert.
In seiner Wehrer Praxis hatte Sperling seit mehr als 15 Jahren keinen einzigen Masernfall. „Volkswirtschaftlich ist die Grippe – die echte Influenza – unser größeres Problem“, so der Mediziner. „Eigentlich müsste es eher ein Grippeschutz-Gesetz geben als eines für die Masern„, sagt der Wehrer Kinderarzt.
Die Impfquote im Landkreis Waldshut.
| Bild: Schönlein, Ute
Masern-Fälle und Impfquote
Woher kommen die Impfgegner?
Das Gesetz, das am 1. März 2020 in Kraft tritt, sieht vor, dass alle Kinder und Erwachsenen, die in öffentlichen Einrichtungen betreut werden oder dort arbeiten, gegen Masern geimpft werden müssen. Doch nicht jeder ist davon begeistert.
Im Quartal besuchen rund 1800 Patienten aus Wehr und dem weiteren Umkreis die Wehrer Kinderarztpraxis. Rund fünf Prozent davon seien „richtige Hardliner“, also massive Impfgegner. Und jeden Tag komme einer in die Praxis. „Ich denke nicht, dass die Gegner mehr geworden sind, aber sie machen den Mund weiter auf“, so Sperling.
Doch woher kommt die Skepsis? „Womöglich haben sie von Leuten gehört, die nach einer Impfung krank geworden sind oder an einer Entwicklungsstörung litten. Doch dies steht nie im Zusammenhang mit der Impfung, ist keine Folge von ihr“, betont der Mediziner. Eine große Welle an Impfgegnern habe es nach einem Schwindel eines englischen Arztes gegeben. Dieser habe behauptet, dass Autismus durch die Masern-Impfung verursacht werde. „Doch Studien haben das widerlegt“, erklärt Sperling. Das Argument der möglichen Impfschäden zähle für den Mediziner nicht. Diese würden bei 1 zu 1 Millionen liegen. Und die Nebenwirkungen einer Impfung würden lediglich aus einem dicken Arm, kurzzeitigem Fieber oder einem Hautausschlag bestehen, so Sperling.
Ein Kinderarzt impft ein einjähriges Kind in den Oberschenkel mit dem Impfstoff Priorix (Lebendvirusimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln).
| Bild: Julian Stratenschulte
Ein einzelner Masern-Impfstoff als Alternative
„Ich versuche, schon vernünftig dagegen zu argumentieren, etwa mit Statistiken“, sagt der Kinderarzt über seinen Umgang mit Impfgegnern. Nahezu täglich führe er zu diesem Thema Diskussionen. Er betont, wie wichtig die Impfung ist, auch für die Mitmenschen und sagt: „Man entscheidet dabei für ein anderes Individuum, nicht für sich selbst.“
Die Masern-Impfung ist wichtig – aber warum braucht es dafür gleich ein Gesetz?Kinderarzt Jochen Sperling aus Wehr.
| Bild: Jochen Sperling
Aber er hat Respekt vor den Andersdenkenden. Denn: „Wir in Deutschland haben noch keine richtige Aufklärung zur Masernimpfung geführt“, sagt Sperling. Er versucht, seine Patienten aufzuklären. Habe aber in den wenigen Minuten, in denen zudem noch die Untersuchung und Impfung durchgeführt werden sollen, zu wenig Zeit dazu. „Die Schweiz zeigt uns, wie man auch ohne Pflicht und mit guter Aufklärung für eine gute Impfquote sorgen kann“, sagt der Kinderarzt, der zwar für die Impfung, aber gegen ein Gesetz ist.
Manche Impfgegner, die seine Praxis besuchen, wollten von ihm ein Attest, dass sie nicht impffähig seien. „Doch das kann ich nicht machen“, sagt Sperling. Ihnen bietet er aber eine Alternative zur Mehrfachimpfung Masern – Mumps – Röteln. Er schreibt Rezepte für einen einzelnen Masern-Imfpstoff, der nur in der Schweiz erhältlich ist. Der einzelne Impfstoff Measles Vaccine werde in Indien produziert und von der Schweiz importiert. In Deutschland gibt es diesen nicht.
Sperling klärt seine Patienten jedoch auf, dass der deutsche Staat und auch er als Arzt in diesem Fall keine Verantwortung für Nebenwirkungen oder Impfschäden übernehmen können. Dennoch würden die Impfgegner diese Alternative gerne nutzen, damit sie die Stoffe gegen Mumps und Röteln nicht impfen müssen.
Alles Wichtige zur Impfpflicht
Wie gehen Schulen und Kindergärten am Hochrhein mit dem neuen Gesetz um?
Die Anmeldungen der Erstklässler für das kommende Schuljahr laufen derzeit auch am Hochrhein. Und hier gibt es nun eine Änderung. Denn mit der neuen Impfpflicht müssen die Eltern bei der Anmeldung auch die Impfpässe der Kinder vorlegen. So lautet etwa die Information aus dem Sekretariat der Gemeinschaftsschule Rheintal in Hohentengen/Küssaberg. Wenn ein Kind nicht geimpft werde, würde die Schule das sofort an das Gesundheitsamt melden.
Ein Junge zeigt seinen Impfpass.
| Bild: Ute Grabowsky / photothek.net, via www.imago-images.de
Auch die Kindergärten müssen sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. „Wir haben einen Hinweis im Mitteilungsblatt gemacht“, erklärt Claudia Schneider, in der Verwaltung der Stadt Bonndorf für die städtischen Kindergärten zuständig. So müssten in den Kindergärten die ab 1. März neuen Kinder als auch Angestellte die Impfpässe vorlegen. „Für alle anderen, die schon vorher da waren, gilt die Frist bis zum 31. Juli 2021“, erklärt Schneider. Doch, was ist mit denen, die keinen Nachweis bringen? „Impfgegner hatten wir bisher noch nicht. Für diese Fälle ist dann das Gesundheitsamt zuständig“, sagt Schneider.
Im Kinderhaus Rheinau in Bad Säckingen ändert sich mit der Impfpflicht nicht allzu viel. Seit 2018 mussten die Eltern bereits nachweisen, dass sie eine Impfberatung hatten und auch den Impfpass vorlegen, wie Einrichtungsleiterin Corina Gerspach sagt. Hätten Eltern dann den Nachweis über die Beratung nicht erbracht und auch die Impfung abgelehnt, hätten die Einrichtung dies an das Gesundheitsamt gemeldet. „Doch diesen Fall gab es nicht.“ Lediglich vor dieser Zeit hätte sie als Erzieherin schon Fälle von ungeimpften Kindern erlebt. Von den Eltern ihrer aktuellen Schützlinge hätte Corin Gerspach überhaupt keine Reaktionen zur neuen Impfpflicht vernommen. „Denn bei uns sind ja alle geimpft“, so Gerspach.