Gerd Welte, Tobias Kaiser, Juliane Schlichter und Gianluca Brogno

Das geplatzte Interview

Wir sind eben beide Sechziger. Also Jahrgang 60. Jogi exakt zwölf Tage jünger als ich. Deswegen sind wohl auch seine Haare schön. Schön schwarz, während meine eher in der Kategorie „grau meliert mit lichten Ecken“ einzuordnen sind.

Wir spielten als fast Gleichaltrige in derselben Jahrgangsstufe bei den Junioren. Jogi bei den C-Junioren des FC Schönau, ich beim SV Dogern. Wir kannten uns damals nicht persönlich. Für mich war er eben ein Bub vom „Wiiiiiesetal“.

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Schlecht gekickt hat er schon damals nicht. Im Gegenteil. Aber auch ich schaffte es in die damalige Oberrhein-Auswahl. Ich war der Linksaußen, er der Zehner aus dem zentralen Mittelfeld. Gemeinsam spielten wir in Steinbach im Trainingslager und im Turnier der südbadischen Verbände. Für mich war das der Höhepunkt des Leistungshorizonts, für Jogi begann da erst seine internationale Karriere als Spieler und später als Trainer.

Als Spieler referierte er zu Beginn meiner journalistischen Tätigkeit im Sport bei einer Veranstaltung des Südbadischen Fußballverbands in Saig. Beim Smalltalk am runden Tisch tauschten wir einige Erinnerungen an Jugendzeiten aus.

Aufmerksam: SÜDKURIER-Sportredakteur Gerd Welte (links) mit dem heutigen Ex-Bundestrainer Joachim Löw bei einem Termin Mitte der ...
Aufmerksam: SÜDKURIER-Sportredakteur Gerd Welte (links) mit dem heutigen Ex-Bundestrainer Joachim Löw bei einem Termin Mitte der 1980er-Jahre beim Südbadischen Fußballverband im Sporthotel Saig. | Bild: privat

Und viel später, als er gerade als Trainer der Nationalmannschaft für Deutschland im Jahre 2014 den WM-Titel gewonnen hatte, nahm Jogi Löw die Ehrung zur „Mannschaft des Jahres“ im deutschen Sport beim Sportlerball im Kurhaus von Baden-Baden entgegen. Da ich keine Lust auf ein Gespräch mit dem Bundestrainer vor versammelter Journalistenschar hatte, machte ich einen geheimen Treffpunkt ein paar Minuten nach der offiziellen Pressekonferenz aus. Exklusivinterview mit dem Bundes-Jogi für den SÜDKURIER – die Idee war gut, die Ausführung aber mangelhaft.

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Ich wartete und wartete, doch der Herr Löw kam nicht. So packte ich irgendwann zusammen und zottelte Richtung eines eher abgelegenen Aufenthaltsraums. Dort sollte meine Frau auf mich warten. Und wen erblickten meine Äuglein dort? Den Herrn Bundestrainer mit seinem Fahrer und – oha – meiner Frau. Das muntere Trio gönnte sich gerade ein Bierchen und ein Zigarettchen.

Super, dachte ich. Da hätte ich noch stundenlang auf ein Interview warten können. Als ich dieses nachholen und gerade mit meinen Fragen loslegen wollte, stürzten sich massenhaft Autogrammjägerinnen und -jäger auf Jogi. Wieder kein Interview – es war unfassbar.

Vielleicht können wir dieses ja irgendwann mal nachholen. Wenn Du wirklich in Rente bist und mehr Zeit hast. Den Titel des Interviews sehe ich lebhaft vor mir: „Zwei alte Männer unter sich.“ Und das wird dann sicher von „högschdem“ Interesse sein.

Gerd Welte, Redakteur Regionalsport Hochrhein

„Heute isch ein schöner Tag, klar“ – Erinnerungen an einen historischen Empfang in Schönau

Um es vorweg zu nehmen: Nein, an ein Anfassen des Heiligtums des Weltfußballs war auch für Reporter beim historischen Empfang von Jogi Löw in seiner Heimat im beschaulichen Schwarzwald nach dem WM-Triumph von Rio nicht zu denken. Selbst Security-Mitarbeiter wagten sich an das gute Stück nur mit Handschuhen. Doch was ist schon der direkte Kontakt zum goldenen Pokal wert, im Vergleich zu einer denkwürdigen Begegnung mit dem berühmtesten Sohn der Region, die gerade jetzt im Rückblick nach dem aktuellen Scheitern bei der EM 2021 so unbeschwert und besonders erscheint?

Kinder stehen stundenlang an, um den besten Platz in Reihe eins zu bekommen, jubeln mit leuchtenden Augen und schreien aus vollem Hals „Jogi, Jogi“. TV-Anstalten, Rundfunk und Presse aus dem ganzen Land sind in Schönau dabei – als Regio-Onliner der SÜDKURIER-Redaktion am Hochrhein habe ich das als großer Fußball-Fan, der selbst seit der F-Jugend im Hotzenwald die Kick-Schuhe schnürte, das Glück, diesen Tag in Bewegtbild festhalten zu dürfen.

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„Hier bin ich geboren, hier habe ich meine ersten Schritte gemacht, hier habe ich beim TuS Schönau begonnen, hier habe ich meine große Liebe zum Fußball gefunden“, was der Weltmeister-Trainer vor unserem Mikro über seine Rückkehr sagt, zeigt seine tiefe Verwurzelung mit seiner Heimat. Und mehr noch: „Ich bin stolz, einer von Euch zu sein“, ruft er seinen Fans zu. Wer die Herzlichkeit und Überzeugung in seiner Stimme hörte, weiß, dass das keine hohlen Worthülsen waren, sondern echt empfundene Zuneigung und Verbundenheit. Schließlich wohnen hier nicht nur seine treu-verbundensten Fans, auch ein Großteil seiner Familie lebt hier im Schwarzwald.

Die sehr persönlichen Worte in einem Zeit-Interview vor der EM 2021, als er sagte, dass er eigene Kinder manchmal sehr vermisse, lassen erahnen, wie schön es damals für den Familienmensch gewesen sein muss, dass Bruder, Frau und Mutter bei der besonderen Ehrung in Schönau mit dabei waren.

Doch der ganz in sich ruhende Weltmeister-Trainer zeigt an diesem Tag in seiner Heimat nicht nur Emotionen, sondern präsentierte der Öffentlichkeit auch eine ganz lockere Seite, die man so vom sonst recht verschlossenen Schwarzwälder gar nicht kennt. „Oder wollt ihr etwa gar nicht mit mir sprechen?“, fragt er uns Presse-Vertreter beim Pool-Interview mit einem Lächeln, wohl-wissend, dass sich an diesem Tag, an diesem Ort, nach diesem Triumph aber auch wirklich alles um ihn drehte in Schönau.

Juliane Schlichter und Tobias Kaiser (von links) begleiteten den Bundestrainer bei seinem Heimatbesuch in Schönau für den SÜDKURIER.
Juliane Schlichter und Tobias Kaiser (von links) begleiteten den Bundestrainer bei seinem Heimatbesuch in Schönau für den SÜDKURIER. | Bild: Archiv

Mein Eindruck als Augenzeuge dieses besonderen Moments war, dass der sonst so sehr unter Druck stehende Löw, wohl selten so sehr mit sich und der Welt um sich herum so sehr im Reinen war, wie bei diesem Empfang in Schönau.

Im lockeren Plausch mit Weggefährten wirkt er trotz des Rummels in einigen Momenten so, als würde er die Kameras und Fotografen hin und wieder komplett vergessen. Und wer hätte es besser auf den Punkt bringen können als Bürgermeister Peter Schelshorn, als er zum neuen Ehrenbürger sagte: „Einen würdigeren aus der Sportlerriege hätten wir nicht finden können.“

Was er sich als Ehrenbürger seiner Heimat nun für Vorteile versprechen kann? Er habe in der Zeitung gelesen, dass er weiterhin den Eintritt im Schwimmbad bezahlen müsse, schmunzelt er. Auf die Frage einer Sky-Reporterin, ob er im Vereinsheim der TuS nun anschreiben lassen dürfe, verrät er strahlend: „Da zahle ich eh nie.“ Keine Frage, dass er der Heimatzeitung mit großer Freude die Sonderseite signierte, die der SÜDKURIER zum WM-Triumph druckte.

SÜDKURIER-News-Manager Tobias Kaiser (rechts) lässt 2014 den Weltmeister-Trainer auf der historischen Titel-Seite unterschreiben.
SÜDKURIER-News-Manager Tobias Kaiser (rechts) lässt 2014 den Weltmeister-Trainer auf der historischen Titel-Seite unterschreiben. | Bild: Juliane Schlichter

Die Scheinwerfer glitzern, an Schatten und Scheitern denkt an diesem Tag keiner. Im Gegenteil: Der Song der Band auf der kleinen Bühne weckte zum Abschluss der Ehrung deutliche Vorfreude auf weitere Titel der DFB-Elf mit Jogi an der Seitenlinie: „Vielleicht kommt da noch mehr, es liegt noch so viel vor uns, wir freuen uns schon sehr“, lauteten die Zeilen eines Liedes von „Ich und Ich“. Und auch Löw selbst deutete vielsagend an: „Ich hoffe, dass wir uns vielleicht in zwei Jahren…“.

Voller Hoffnung blickten die Fans damals bereits auf die EM 2016 in Frankreich.
Voller Hoffnung blickten die Fans damals bereits auf die EM 2016 in Frankreich. | Bild: Tobias Kaiser

Schade, dass die kommenden Turniere von weiteren Triumphen und glänzenden Pokalen meilenweit entfernt blieben – doch das Stadion in Schönau wird trotzdem weiterhin voller Stolz den Namen des Rekord-Bundestrainers Jogi Löw tragen. Und seine kleinen und großen Fans im Schwarzwald Erinnerungen im Herzen, die sie bestimmt noch ihren Enkeln erzählen werden.

Tobias Kaiser, SÜDKURIER-News-Manager Konstanz

Jogi und die verschwitzte Hand

Staatssekretäre, Minister, sogar der Landesvater und die Bundeskanzlerin – die Mehrheit der Prominenten, die man als Lokaljournalistin trifft, stammen aus der Welt der Politik. Umso aufgeregter war ich, als ich im Oktober 2014 von der SÜDKURIER-Redaktion in Rheinfelden, wo ich damals arbeitete, gen Wiesental fuhr, um jenen Mann zu treffen, der wenige Monate zuvor als Bundestrainer mit seiner Spielern den vierten Fußballweltmeister-Titel in Brasilien gewonnen hatte.

Im Schönauer Gymnasium, wo Joachim Löw selbst die Schulbank gedrückt hatte, wurde der promiente Gast und Sohn der Stadt erwartet, um die Ehrenbürgerwürde zu empfangen. Wo sonst Kinder und Jugendliche durch die Flure sausen, drängten sich an jenem Tag hunderte Menschen, darunter zahlreiche Medienvertreter aus ganz Deutschland.

Die SÜDKURIER-Redakteure Juliane Schlichter und Tobias Kaiser beim Empfang für Joachim Löw im Oktober 2014 in Schönau. Im Hintergrund ...
Die SÜDKURIER-Redakteure Juliane Schlichter und Tobias Kaiser beim Empfang für Joachim Löw im Oktober 2014 in Schönau. Im Hintergrund ist der damalige Bundestrainer von Fans umringt zu sehen. | Bild: Juliane Schlichter

Trotz des Andrangs war es irgendwie auch ein familiärer Anlass. Neben drei Brüdern wurde Jogi Löw von seiner Ehefrau Daniela und seiner Mutter Hildegard begleitet. Steffi und Jack Lais, Cousine und
sein Cousin des Weltmeistertrainers, sorgten bei der Veranstaltung für die Musik.

Bevor Jogi Löw sich nach dem offiziellen Teil ins Bad der Menge auf dem Schulhof stürzte und unter Jogi-Jogi-Rufen ein Autogramm nach dem anderen schrieb, stand er den Journalisten Rede und Antwort. Auch mein Kollege Tobias Kaiser und ich standen im Pulk im Halbkreis um den Bundestrainer, um ihn mit der Videokamera für den Online-Auftritt des SÜDKURIER zu filmen und O-Töne mit dem Mikrofon aufzunehmen.

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Kurz bevor er nach draußen entschwand, nutzten wir SÜDKURIER-Redakteure die Gunst der Stunde und baten Joachim Löw um ein gemeinsames Foto. Eine solche Gelegenheit bietet sich schließlich nicht alle Tage. „Aber natürlich“, sagte der damals 54-Jährige in seinem Schönauer Zungenschlag auf meine eher schüchtern an ihn gerichtete Frage, ob er sich mit mir fotografieren ließe.

Redakteurin Juliane Schlichter traf Joachim Löw im Oktober 2014, als dieser Ehrenbürger seiner Heimatstadt Schönau wurde.
Redakteurin Juliane Schlichter traf Joachim Löw im Oktober 2014, als dieser Ehrenbürger seiner Heimatstadt Schönau wurde. | Bild: Tobias Kaiser

Von diesem kurzen Moment ist mir am meisten Jogis verschwitzte Hand auf meinem Rücken im Gedächtnis geblieben. Noch heute sorgt jene Anekdote im Freundeskreis für große Erheiterung, denn neben Löws sportlichen Erfolgen hat sich auch das sogenannte „Hosengate“ ins Gedächtnis gebrannt, als er beim Auftaktspiel der EM 2016 seine Hand in die Hose steckte, herauszog und an seinen Fingern roch. Die Fernsehaufzeichnung ging anschließend um die Welt. „Wer weiß, wo er vorher seine Hand hatte“, bekomme ich heute noch zu hören, wenn ich von Jogis verschwitzter Hand auf meinem Rücken erzähle.

Juliane Schlichter, Redakteurin Lokalredaktion Waldshut

Jogi, der Krawattenverkäufer

Ein ehemaliger Spieler hat Joachim Löw mal in Basel im Stadion angesprochen, ob er sich noch an Gianluca Brogno erinnere... Löw sagte dann: „Cha Brogno aus Laufenburg. Oh ja – ein Riesen-Fußballer mit einem Mörder-Hammerschuss.“

Gianluca Brogno ist mittlerweile 49 und lebt mit seiner Familie in Laufenburg. Zu seinen aktiven Zeiten war er unter anderem Spieler beim SV 08 Laufenburg, Bahlinger SC und Concordia Basel. Als Trainer wirkte er beim FC Bad Säckingen, beim SV Obersäckingen und bei Amicitia Riehen/CH.

Gianluca Brogno kickte einst mit Joachim Löw beim FC Winterthur.
Gianluca Brogno kickte einst mit Joachim Löw beim FC Winterthur. | Bild: Matthias Scheibengruber

Die Saison 1993/1994 ist Brogno besonders im Gedächtnis geblieben: „Das war mein erstes Profijahr beim FC Winterthur. Damals habe ich mit Jogi Löw in einer Mannschaft gespielt“, erzählte er vor einigen Jahren dem SÜDKURIER.

Trainer war damals Wolfgang Frank, der als Bundesliga-Profi in Braunschweig und Stuttgart gespielt hatte. „Frank hat sehr viel von mir gehalten“, blickt der Laufenburger zurück. Dass ein junger Spieler mit dem Wohlwollen des Trainers im Rücken sich manchmal etwas mehr herausnimmt, musste damals auch Joachim Löw feststellen: „Jogi war Kapitän und bei uns für Freistöße und Ecken zuständig“, deutet Brogno an, dass es bei entsprechenden Situationen keine großen Diskussionen gab. Bis sich eines Tages der junge Brogno nach einem Foul am Strafraum frech den Ball schnappte und dem zwölf Jahre älteren Routinier lässig zurief: „Ich schieß dann mal.“

Eine andere Geschichte im Zusammenhang mit Jogi Löw wird Gianluca Brogno nie vergessen: „Ich war noch nicht lang beim Verein, da zog Löw mich nach dem Training zu seinem Auto“, erzählt Brogno lachend. „Er fragte mich allen Ernstes, ob ich mal was ganz Edles kaufen wollte – und öffnete den Kofferraum.“

Der junge Brogno traute damals seinen Augen nicht: „Der komplette Kofferraum war voller Krawatten!“, muss Brogno heute noch über das Nebengeschäft, das Löw und Stürmer-Kollege Axel Thoma betrieben, lachen: „Was will ein Gianluca Brogno mit einer Krawatte?“

Gianluca Brogno empfiehlt dem scheidenden Bundestrainer, dass er nicht in den Ruhestand geht, sondern Brognos Lieblingsclub Juventus Turin trainiert. Vor dem diesjährigen EM-Finale im englischen Wembley-Stadion schrieb der Laufenburger dieser Zeitung: „Wenn Italien Europameister wird, laufe ich den Jakobsweg.“ Gianluca Brogno kann nun die Wanderstiefel schnüren.

Gianluca Brogno, Laufenburg, ehemaliger Teamkollege von Joachim Löw beim FC Winterthur