Die 15. Verleihung des Alemannischen Literaturpreises kann mit Fug und Recht als ganz besondere Veranstaltung bezeichnet werden. Ungewöhnlich zum einen, weil sie coronabedingt „mindestens drei Mal verschoben werden musste“, wie die städtische Kulturamtsleiterin Kerstin Simon am Sonntagmittag im Tiengener Langensteinstadion anmerkte.
Ungewöhnlich aber auch, weil die Auszeichnung – ebenfalls der Pandemie geschuldet – erstmals in einer Sportstätte überreicht wurde. Und schließlich handelt es sich bei dem Preisträger, dem Schweizer Schriftsteller Christoph Keller, um einen besonderen Menschen, der mit seiner humorvollen und klugen Dankesrede die Zuschauer gleichzeitig zum Nachdenken anregte und zum Schmunzelnd brachte.

„Der Alemannische Literaturpreis ist so etwas wie der ‚Nobelpreis‘ unserer Sprachkultur – und darauf sind wir ziemlich stolz“, sagte Oberbürgermeister Philipp Frank in seiner Rede, wofür ihm das Publikum – auf der Tribüne und unter Pavillons vor der Mittagssonne geschützt – lautstarken Applaus spendete.
Frank erinnerte an die Anfänge des Alemannischen Literaturpreises, der ihm zufolge auf eine Idee des Waldshuter Lehrers und Schriftstellers Armin Ayren zurückgeht und seit 1981 in der Regel alle drei Jahre von der Stadt Waldshut-Tiengen, dem SÜDKURIER Medienhaus und der Sparkasse Hochrhein gestiftet wird.
Den Auswahlprozess der Jury, bestehend aus dem SÜDKURIER-Kulturressortleiter Johannes Bruggaier, dem früheren SÜDKURIER-Kulturredakteur Siegmund Kopitzki, der Waldshut-Tiengener Kulturamtsleiterin Kerstin Simon und Kerstin Knüppel vom Literaturhaus Freiburg, stellte sich der OB „ein bisschen wie eine Papstwahl vor“, bei dem es am Schluss heiße: „Habemus Preisträger“.
Wie Philipp Frank befand auch Heinz Rombach, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Hochrhein, in seinem Grußwort: „Die Jury hat eine exzellente Wahl getroffen.“ Über den Preis sagte er: „Wenn es ihn nicht geben würde, müsste man ihn erfinden.“
Die Auszeichnung und die Preisträger
Bevor Christoph Keller, der von seiner Frau Jan Heller Levi und seiner Mutter Ruth Keller begleitet wurde, den Alemannischen Literaturpreis von Philipp Frank entgegennahm, trug sich der gebürtige St. Galler, der nach fast zwei Jahrzehnten in den USA wieder in seiner Heimatstadt lebt, in das Goldene Buch der Stadt Waldshut-Tiengen ein. Ausgezeichnet wurde er für seinen 2019 erschienen Roman „Der Boden unter den Füßen“.
Dieser handelt, wie Johannes Bruggaier in seiner Laudatio erklärte, von der Sinnkrise eines Brückenbauers, der erfahren muss, dass eine seiner Konstruktionen eingestürzt ist und neun Menschen um ihr Leben brachte. Die Hauptfigur Lion entscheidet sich für eine freiwillige Quarantäne im heimischen Garten und fordert einen einstweiligen Stopp sämtlicher Brückenbau-Projekte wie auch für die kapitalistische Wachstumslogik insgesamt.

Ein halbes Jahr später liegt im realen Leben coronabedingt der internationale Reiseverkehr lahm, und weltweit begeben sich Menschen in häusliche Quarantäne. „Schneller hat die Realität selten einen Roman bestätigt“, betonte Johannes Bruggaier, dessen Laudatio als Nachwort in Christoph Kellers nächstem Roman, der Ende August erscheint, abgedruckt werden soll.
Höhepunkt der Preisverleihung war die zugleich kurzweilige und tiefgründige Dankesrede des 57-jährigen Autors, der aufgrund einer Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt. Christoph Keller hielt darin der Gesellschaft anhand vieler Metaphern einen Spiegel vor. „Immer mehr Brücken stürzen ein, aber wir fahren weiter“, sagte er mit Verweis auf das Brückenthema in seinem Roman, aber auch auf das Verhalten von Entscheidungsträgern diesseits und jenseits des Rheins während der Corona-Pandemie.
Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom Jazz-Duo Henrietta mit der Saxofonistin Nicole Johänntgen und dem Bassisten Jörgen Welander, da sich, so Kerstin Simon, der Preisträger „etwas Schräges“ gewünscht habe. Die aus Singen stammende Autorin Waltraut Liebl-Kopitzki las zum Abschluss eine Passage aus Kellers Roman im Dialekt des See-Alemannischen.