Die Corona-Pandemie hat weltweit Ängste geschürt. Die Pandemie als unsichtbare Bedrohung, die Neuartigkeit des Virus als Verstärker der Unsicherheit: „Bei uns machen sich jetzt die Folgekrankheiten der Corona-Pandemie und des Lockdowns bemerkbar“, erklärt Dr. Andreas Jähne, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist Ärztlicher Direktor in der Bad Säckinger Oberberg Fachklinik Rhein-Jura.
Was hat es mit der Angst auf sich?
Angst zu haben ist für Menschen zunächst nichts Schlimmes: Angst schützt, sie mahnt zur Vorsicht und ist eine normale Reaktion, die bei realen Bedrohungen auftritt. Üblicherweise ist Angstempfinden individuell, die Pandemie führte jedoch zu einer kollektiven Angst. Doch kann die allgemeine Verunsicherung durch die derzeitige Situation auch eine individuelle Angststörung auslösen? Und führen die derzeitigen Lockerungen rund um „Corona“ dazu, dass die Ängste abnehmen?
Denn: „Unser Alltag hat sich durch die Pandemie und auch durch die Schutzmaßnahmen dramatisch verändert. Vieles, was im Alltag als sicher angesehen wurde, musste aufgegeben werden. Viele neue Dinge sind dazugekommen und vieles davon in kurzer Zeit. Dieser Verlust von Routinen kann Unsicherheit auslösen und bei Unsicherheit empfinden viele Menschen Angst.“
Von der Erwartungsangst zur Existenzangst
Jähne beobachtete auch in der Bad Säckinger Klinik, dass sich die anfängliche „Erwartungsangst“ vor der Krankheit selbst verändert hat: „Während es in den ersten Wochen und Monaten vor allem die Sorge vor einer Corona-Infektion und dem Verlust naher Angehöriger war, was die Menschen beschäftigte und ihnen Angst machte, so haben sich die Angstauslöser im Laufe der Zeit verändert.“
Seit Ende Mai sei festzustellen, dass zunehmend Menschen mit wirtschaftlichen Existenzängsten Unterstützung der Klinik benötigen. „Es ist immer öfter die blanke Existenzangst, die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, vor Schuldenbergen und Überschuldung, worauf einige Menschen depressiv und panisch reagieren“, so Jähne. Dabei sei der Grad der Belastung höchst individuell: „Je nachdem, wie gut unsere Fähigkeiten sind, solche Herausforderungen zu meistern, kann der Einzelne damit gut umgehen, während für andere diese Unsicherheit eine große Herausforderung darstellt.“
Burnout und Zukunftsängste
Dies gelte auch beim, laut Jähne nun auffällig gehäuft auftretenden, Burnout-Syndrom. „Es ist eine ganz klassische Erschöpfungssituation, von der vor allem Menschen betroffen sind, die während der Krise Leistungsträger waren und teils weit über ihre Belastungsgrenzen hinausgegangen sind“, erklärt Jähne und nennt als Beispiele: Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Eltern, die mit Arbeit im Home-Office, Kindern im Homeschooling, Haushalt und Alltag auf engem Raum in den eigenen vier Wänden sehr viel leisten mussten.
Darüber hinaus gebe es eine weitere Gruppe Menschen, die Unterstützung der Klinik benötige: genesene Covid-19-Patienten. „Hie beobachten wir große Ängste vor der Zukunft, denn viele kämpfen nach wochenlanger Beatmung mit den körperlichen Folgen, sind schnell erschöpft und kaum noch leistungsfähig. Dies kann zur Resignation und Depressionen führen.“
Zur Angst hinzu kommen weitere Probleme
Die Oberberg Klinik in Bad Säckingen war auch während des Lockdowns für die Patienten erreichbar. Vieles sei auch über Telefongespräche und Videosprechstunden abgelaufen, wie Jähne erläutert. Mit Sorge beobachtete er zwischenzeitlich, dass sich Menschen aus Angst vor dem Virus nicht zum Arzt getraut hätten – sogar in medizinisch dringend notwendigen Fällen, wie beispielsweise leichten Schlaganfällen. Alkoholsucht sei ein weiteres Thema, das gerade während des Lockdowns für einige Patienten zum Problem auch in der Region geworden sei.
„Mit psychischen Erkrankungen ist es ähnlich wie mit körperlichen: Beide müssen möglichst zeitnah behandelt werden, damit die Chancen auf Heilung steigen“, zieht Jähne einen Vergleich. Der Mediziner warnt davor, „so zu tun, als hätten wir alles überstanden und zu denken, nun wäre Corona vorbei.“ Wichtig sei es, sich weiterhin an die geltenden Regeln zu halten.
Zur Person und Klinik
Dr. Andreas Jähne ist seit 2015 Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Sein Medizinstudium und die anschließende Facharztweiterbildung absolvierte er in Freiburg und Kehl. Seit zwei Jahren besitzt Jähne auch eine Lehrberechtigung für die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Nach beruflichen Stationen in verschiedenen Abteilungen des Universitätsklinikums Freiburg, wechselte er 2013 als Oberarzt und leitender Oberarzt in die Oberberg Fachklinik Rhein-Jura in Bad Säckingen.
Die Oberberg Kliniken bieten Unterstützung bei Angsterkrankungen. Erstgespräche können auch mittels einer kostenlosen Video-Sprechstunde stattfinden. Betroffene haben die Möglichkeit, einen Sprechstundentermin vertraulich zu vereinbaren. Weitere Informationen unter: www.oberbergkliniken.de/fachkliniken/rhein-jura