Die Autorin trifft Robbie S. Anfang Januar 2020 in Rheinfelden und spricht mit ihm über seine psychische Erkrankung. Um seine Schilderungen besser einordnen zu können, geht Dr. Andreas Jähne auf die wichtigsten Punkte ein. Jähne ist ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura, eine private Akutklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Bad Säckingen. Seine Aussagen lassen sich an den jeweiligen Textstellen ausklappen.

„Ich war 26, als die Diagnose ‚mittelschwere Depression mit generalisierter Angststörung‘ gestellt wurde. Das ist nun 13 Jahre her.“ Mit diesen Worten beginnt Robbie S. das Gespräch. Er zögert kurz und ergänzt: „Was ich jetzt über mich erzählen werde, weiß kaum jemand. Nicht einmal meine Eltern.“ Der Mann, dessen richtigen Namen wir kennen, aber nicht nennen, ist 39 Jahre alt und lebt in einer Stadt am Hochrhein. Bis heute ist die Krankheit ein Teil seines Lebens. „Mal mehr, mal weniger“, wie er sagt.

Mit seiner Schilderung beginnt er an dem Punkt, an dem sich sein Leben für ihn schlagartig änderte:

„Ich saß an meinem Arbeitsplatz und wurde von einer gewaltigen Panikattacke erfasst. Es fällt mir sehr schwer, zu beschreiben, was ich dabei empfunden habe, aber es war eine absolut existenzielle Angst, ein Zustand, den ich noch nie zuvor erlebt hatte.“
Robbie S.

Nicht einmal bei einem Auslandseinsatz der Bundeswehr, den er noch vor dem Start ins Berufsleben absolvierte.

Robbie S. ist ein intelligenter Mann, aufgeschlossen, gebildet, humorvoll, beruflich erfolgreich. Ein interessanter Gesprächspartner mit einem feinen Sinn für Ironie. Einer, von dem man meinen könnte, dass ihm alles zufällt.

„Die Realität ist aber eine ganz andere: Ich bin fast 40 und habe keine Kinder, nicht einmal eine glückliche Beziehung. Ja, ich verdiene nicht schlecht und lebe in meiner eigenen Immobilie in so etwas, was man ‚geordnete Verhältnisse‘ nennt, aber ich bin ehrlich: Meine Lebensplanung sah ganz anders aus.“
Robbie S.

Vielleicht hätte man Robbie S. einen Karrieristen nennen können: „Ich war 26, hatte mein Studium abgeschlossen. Ich konnte erste berufliche Erfolge verzeichnen und war sehr glücklich, eine vermeintlich tolle Stelle in einer 250 Kilometer entfernten Stadt angeboten zu bekommen. Gutes Gehalt und Aufstiegschancen inklusive. Ich brach also in der Heimat meine Zelte ab und ließ mich darauf ein. Verlagerte meinen Lebensmittelpunkt.“ Robbie S. ist sportlich. Rasch fand er Anschluss bei einem Verein, lernte Menschen kennen, neue Freundschaften begannen sich zu entwickeln. „Auch in der neuen Firma war zunächst alles gut. Die Arbeit war interessant, die Kollegen nett und umgänglich.“

Bald wurde allerdings klar, dass Robbie S. die undankbare Rolle als Spielfigur in einer Intrige zugedacht war. „Es ging nie um mich als Mitarbeiter, sondern um das Konkurrenzdenken meiner Vorgesetzten.“ Er geriet zwischen die Fronten. „Ich erlebte Dinge, die ich mittlerweile ganz klar als Mobbing bewerte. Das diente dazu, mir im Team Respekt und Wertschätzung zu entziehen. Wenn ich heute zurückschaue, ist mir klar: Das hätte ich niemals ausgehalten. Damals wollte ich das aber nicht wahrhaben.“ Doch Robbie S. fehlte der Halt.

„Ich habe die ganze Situation mit mir ausmachen müssen, konnte mit niemandem darüber reden.“
Robbie S.

Die Bekanntschaften in der neuen Stadt waren noch zu frisch, der bewährte Freundeskreis aber zu weit weg.

Nach wenigen Monaten am neuen Arbeitsplatz beobachtete Robbie S. die ersten körperlichen Symptome. „Ich hatte länger Urlaub und war in meiner Heimatstadt. Zunächst war das sehr erholsam und es tat gut.“

„Aber je näher der erste Arbeitstag rückte, um so schlechter konnte ich schlafen, um so schlechter wurde meine Stimmung. Mir war nicht bewusst, dass es an der bevorstehenden Rückkehr an den Arbeitsplatz lag. Rief mich selbst zur Vernunft und trat am Montagmorgen meinen Dienst an.“
Robbie S.

Dann kam die Panikattacke.

Wie Robbie S. reagierte? „Ich rief einen Arzt an, den ersten Psychologen am Ort, den das Internet mir vorschlug. Ich hatte Glück und konnte sofort vorbeikommen.“ Robbie S. bekam angstlösende Medikamente und kurz darauf eine Krankmeldung vom Hausarzt.

„Das war aber keine dauerhafte Lösung. Ich blieb noch ein paar Wochen in der neuen Stadt, dann ging ich zurück an den Hochrhein.“ Robbie S. zog zu seiner damaligen Freundin in deren kleine Wohnung. Der immense Druck am Arbeitsplatz war weg, aber die Depression blieb.

„Mir war bewusst, dass etwas nicht stimmt. Ich wusste, dass ich aufstehen und etwas tun muss. Doch ich konnte einfach nicht. Im Kopf war mir total klar, was ich tun muss, aber mein Körper machte nicht mit. Ich schaffte es nicht.“
Robbie S.

„Ich weiß nicht, ob ich genetisch veranlagt bin, oder nicht. Ich kann auch nicht sagen oder nachvollziehen, ob es ein bestimmtes Erlebnis war, das die Depression ausgelöst hat.“

„Ich erinnere mich noch an eine Situation, die verdeutlicht, was die Depression macht: Ich hob einen meiner Umzugskartons hoch. Blöderweise öffnete sich der Karton am Boden, so dass der ganze Inhalt hinausrutschte und im Flur landete. Es war nichts Zerbrechliches drin, nichts kaputt gegangen. Ein Missgeschick. Normalerweise hebt man die Sachen eben auf und ärgert sich vielleicht kurz.“

„Aber ich stand daneben und konnte nichts machen. Nichts. Das war total verrückt. Ich ging aus der Situation, legte mich auf das Sofa, unfähig überhaupt etwas zu tun.“
Robbie S.

„Meine damalige Freundin hob die Sachen dann auf, als sie nach Hause kam.“ Natürlich sei es, bei allem Verständnis, schwierig für die junge Frau gewesen, mit Robbie S. zusammenzuleben. „Ich mache ihr da gar keine Vorwürfe, sie hat wirklich alles versucht. Es lag an mir.“ Die Beziehung zerbrach wenige Monate später.

„So ging mein Leben weiter und die folgenden Beziehungen liefen nicht besser. Die Depression machte mich handlungsunfähig und die Angst verstärkte sich exponentiell. Ich bekam Angst vor der Angst.“ Aber vor was? „Das kann ich nicht sagen, ich bin normalerweise nicht ängstlich, habe keine Phobien. Die Angst ist diffus, es scheint keinen Auslöser für das Gefühl zu geben.“

Angststörungen und ihre Formen

Der 39-Jährige sagt, dass er mittlerweile für sich einen Weg gefunden hat, mit der Krankheit zu leben.

„Ich nehme Medikamente, mit all ihren Wirkungen und Nebenwirkungen, die sie haben.“
Robbie S.

Robbie S. schmunzelt auf die Nachfrage, welche das seien. „Man nimmt an Gewicht zu und die Libido nimmt stark ab. Wobei es bei der Lust auf Sex auch auf die Dosierung ankommt.“ Die Dosierung richte er nach seinem Befinden aus. „Es gab sogar schon Phasen, da habe ich die Medikamente gar nicht gebraucht. Das war, als ich ganz frisch verliebt war. Leider hat sich das wieder geändert.“ Besteht Suchtgefahr? „Nein, das Präparat, das ich nehme, macht nicht abhängig.“ Was ihm außerdem im Alltag hilft? „Bewegung, Sport, Fitness. Wichtig ist es, tätig zu werden.“

Verschiedene Behandlungsansätze hat Robbie S. in den vergangenen 13 Jahren ausprobiert. „Ein richtiges Konzept gab es aber nicht. Es waren eher punktuelle Versuche. Ich hatte beispielsweise acht oder zehn Sitzungen bei einem Psychologen. Das hat mir aber gar nichts gebracht. Ich fand die Fragen seltsam und konnte mit diesem tiefenpsychologischen Gerede nicht viel anfangen. Ich bin auch kein Typ für Selbsthilfegruppen. Besser gefiel mir der Psychoeducation-Kurs. Das war ein Bildungsangebot in Lörrach, bei dem die Teilnehmer viel über psychische Erkrankungen allgemein lernen konnten. Es ging nicht um mich selbst, aber ich konnte viel mitnehmen. Wissen, mit dem ich mich besser verstehen kann.“

Robbie S. beschäftigt sich mit Depressionen – in medizinischer aber auch gesellschaftlicher Hinsicht. Sein Eindruck: „Seit dem Selbstmord des Torwarts Robert Enke am 10. November 2010 hat sich etwas verändert. Ich habe das Gefühl, dass psychische Erkrankungen nun etwas besser in der Gesellschaft anerkannt werden.“

Die Stigmatisierung sei zwar geblieben, aber die Aufmerksamkeit steige. „Das zeigte sich übrigens aktuell auch an der Videobotschaft Anfang Januar vor der dritten Fußball-Pokalrunde in England. Prinz William wies auf die Relevanz der seelischen Gesundheit hin, bat die Fans, sich eine Minute Zeit für das Thema zu nehmen und die Spiele wurden alle eine Minute später angepfiffen.“

Nur wenige seiner Freunde wissen, dass Robbie S. eine Depression hat. Das soll so bleiben: „Ich bin ganz ehrlich: Bevor ich selbst erkrankt bin, habe ich psychische Erkrankungen bei anderen nicht ganz für voll genommen. ‚Schlechte Tage hat doch jeder mal, da muss man sich eben mal zusammenreißen. Das wird schon wieder‘: Ja, das habe ich gedacht. Und das ist die Grundhaltung, die auch meine Familie hat. Darum möchte ich nicht, dass sie es erfahren. Sie würden es nicht verstehen.“

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