Dieser Mitschnitt eines Notrufs bei der Polizei ist für die Zuhörer im Gerichtssaal des Landgerichts in Waldshut kaum zu ertragen: „Bitte kommen Sie schnell, ich blute sehr stark“, ruft eine weinende Frau. Dann Schreie und auf einen Kampf hindeutende lautende Geräusche aus dem Hintergrund.
Gut 24 Stunden später ist die Frau tot. Einen Tag nach der ersten Auseinandersetzung wurde die 58-Jährige wie auch ihr 61 Jahre alter Ehemann und ihr 34 Jahre alter Sohn in der eigenen Wohnung erstochen – laut Anklage der Staatsanwaltschaft von ihrem jüngsten Sohn, einem 19 Jahre jungen Mann. Von ihrem Bruder schwer verletzt wurde an jenem Abend im März dieses Jahres auch eine 36 Jahre alte Tochter der Familie. Sie überlebte das Blutbad.
Staatsanwalt: Mutmaßlicher Täter ist „seelisch gestört“
Seit Montag wird jene Familienkatastrophe von Lienheim, einem Ortsteil der Gemeinde Hohentengen, vor der Ersten großen Jugendkammer des Landgerichts Waldshut verhandelt. Es ist kein Strafprozess, sondern ein sogenanntes Sicherungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft geht von Schuldunfähigkeit des Beschuldigten aus.
Oberstaatsanwalt Christian Lorenz sprach von „einer seelischen Störung, einer Art Schizophrenie“. So strebt die Staatsanwaltschaft die Unterbringung des 19-Jährigen in einer psychiatrischen Klinik an. Er habe drei Menschen getötet, ohne ein Mörder zu sein und habe versucht, eine weitere Person zu töten, ohne ein Mörder zu sein.
Das ergibt dreimal Totschlag, einmal versuchter Totschlag und eine gefährliche Körperverletzung. Der Prozess ist auf sechs Verhandlungstage angelegt; am Freitag, 6. September, soll eine Entscheidung bekannt gegeben werden.
Schon vor der eigentlichen Tat wird 19-Jähriger gewalttätig

Die Sicherheitsvorkehrungen waren groß am ersten Verhandlungstag in Waldshut. Am Eingang gab es strenge Einlasskontrollen und dem Angeklagten waren Fuß- und Handfesseln angelegt. Letztere wurden ihm während der Verhandlung abgenommen.
Die Fakten waren rasch dargelegt. Am Abend des 25. März kam es in der Wohnung zu heftigem Streit zwischen dem 19-Jährigen und seinen Eltern. Denen versetzte der junge Mann etliche Kopfstöße und Faustschläge, sodass die Mutter einen Nasenbeinbruch und zwei blaue Augen davon trug und der Vater ebenfalls eine lädierte Nase ein blaues Auge. Nach Behandlung durch den Rettungsdienst kamen die gerufenen Polizeibeamten und die Familie überein, den 19-Jährigen in der Familie zu belassen.
Dass sich die 36 Jahre alte Tochter tags darauf, am 26. März, nach ihren Eltern erkundigte, hätte sie fast das Leben gekostet. „Du bist zum falschen Zeitpunkt gekommen“, habe der Beschuldigte noch zu seiner Schwester gesagt. Dann packte er sich ein in der Küche liegendes Messer, ging zunächst in sein Zimmer, später stach er zu.
Opfer mit Messer und Schere angegriffen

Zunächst attackierte er seinen Bruder in dessen Zimmer, dann seine Mutter, dann die Schwester und schließlich den Vater. Der Bruder konnte blutüberströmt fliehen und brach im Treppenhaus eines Nachbarhauses zusammen. Später starb er im Krankenhaus. Auch der Schwester gelang die Flucht; ihr eilte der Beschuldigte noch hinterher, ließ dann aber von ihr ab. Dabei gelang es der Schwester, ihm das Messer abzunehmen.
Als er in die Wohnung zurückkam, lebte der blutüberströmt auf dem Boden liegende Vater noch. Der Beschuldigte ging in die Küche, packte eine Schere und stach mehrmals auf den wehrlosen schwer verletzten Mann ein.
Beschuldigter: „Die waren vom Teufel besessen“
Die Vernehmung des Beschuldigten durch Richter Martin Hauser und dessen Kollegen Häusermann und Fruet gestaltete sich zäh. „Keine Ahnung“ und „Ich kann mich nicht erinnern“, waren die häufigsten Antworten des Beschuldigten, der dann aber auf hartnäckiges Fragen doch Antworten gab.
Warum er mit dem Messer auf seine Eltern und seinen Bruder losgegangen sei, wollte Richter Hauser vom Beschuldigten wissen. „Die waren vom Teufel besessen“, antwortete dieser. Eine Mission Gottes habe ihm dies gesagt. Seine Schwester sei nicht vom Teufel besessen gewesen. Sie sei nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Auf sie einzustechen, sei ein Fehler gewesen, räumte er jetzt vor Gericht an. Deswegen habe er sie auch nicht weiter verfolgt.
„Schlechtes Gefühl“ nach der Tat
Was er denn nach der Tat gefühlt habe, wollte Richter Hauser vom Beschuldigten wissen. Es sei ein schlechtes Gefühl gewesen, „aber irgendetwas hat mir gesagt, dass ich es machen muss“, sagte der 19-Jähriger mit leiser, aber bestimmter Stimme.
Sich selbst habe er als Engel Azrael gesehen. Azrael ist laut Internet-Lexikon Wikipedia ein Engel, der im Islam mit dem Engel des Todes identifiziert wird. Er sei dafür zuständig, die Seelen der Verstorben ins Jenseits zu tragen. Und so ergänzte der Beschuldigte vor Gericht: Azrael kämpfe gegen Luzifer.
Und sein älterer Bruder sei Luzifer, der oberste Teufel, der gegen Gott kämpfe. Jetzt bereue er die Tat und vermisse seine Angehörigen. Er bete jeden Abend zu Gott um Vergebung, sagte der Beschuldigte noch am ersten Verhandlungstag.