Frau Sattler, wie erlebten die Menschen in Jestetten die Schließung der Grenze zur Schweiz?

Bisher gab es im Alltag keine Grenze, ich konnte jederzeit in die Schweiz ein- aus- oder durchreisen ohne Angabe von Gründen. Erst durch die Schließung wurde mir die Grenze bewusst und wie verwoben das Leben geworden ist. Gerade in Jestetten ist die Situation speziell, weil wir geografisch fast ringsum von der Schweiz umgeben sind. Bei uns war es sehr ruhig, wenig Verkehr und viel Platz beim Einkaufen. Das war angenehm, aber auch befremdlich und ungewohnt.

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Die Trennung von Familien, Umwege zur Arbeit für Grenzpendler, insbesondere für Jestetter Einwohnerinnen und Einwohner, die im Landkreis Konstanz arbeiten, die Einstellung des Bahnverkehrs waren besonders schmerzhaft.

Wie wirkte sich die Grenzschließung auf Handel und Gewerbe im Ort aus?

Das Wegbleiben der Schweizer Kundschaft hat zu massiven Umsatzeinbußen beim Einzelhandel, der Gastronomie, Gewerbe aber auch im Dienstleistungsbereich, beispielsweise bei Post, Apotheke, Fußpflege und bei Zahnärzten geführt. Viele Geschäfte haben ihre Öffnungszeiten auf die geringere Kundenfrequenz angepasst beziehungsweise reduziert.

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Teilweise konnte die Qualität an den Frischetheken nicht gehalten werden, weil zu wenig Kunden kamen. Es musste sich erst alles einspielen. Einige Unternehmer haben mich gebeten, mich für eine Grenzöffnung einzusetzen und ich habe mich um Durchreisebewilligungen für Grenzpendler in Deutschland gekümmert.

Wie verliefen die ersten Tage nach der Öffnung der Grenzen am 15. Juni?

Zum Wochenstart hatten wir einen Ansturm auf die Paketshops. Am Wochenende hat der Einkaufstourismus wieder Fahrt aufgenommen und es war fast wie zuvor.

„Ich erwarte nicht, dass die Grenzschließung Narben hinterlassen wird“, sagt Ira Sattler, Bürgermeisterin von Jestetten.
„Ich erwarte nicht, dass die Grenzschließung Narben hinterlassen wird“, sagt Ira Sattler, Bürgermeisterin von Jestetten. | Bild: privat

Ich habe mich am meisten auf das Wiedersehen mit meinem 10-jährigen Patenkind Johanna, die in Zürich lebt, gefreut.

Welche Lehren sollten nach der Zeit der Grenzschließung gezogen werden?

Ich hoffe, dass wir die offene Grenze künftig mehr schätzen. Ich erwarte nicht, dass die Grenzschließung Narben hinterlassen wird. Vielmehr hoffe ich, dass die Verantwortlichen und wir alle aus den Erfahrungen lernen. Mehr Abstimmung und koordiniertes Vorgehen mit den Nachbarländern, klare Kommunikation nach Innen und Außen.

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