Hinweis: Die im Text genannten Zahlen beziehen sich auf den Stand Mittwochabend, 22. April. Der Fall-Verstorbenen-Anteil hat sich im Kreis Waldshut Stand 24. April auf 12,1 erhöht. Alle aktuellen Zahlen und Entwicklungen erfahren Sie in unserem Ticker.
11,1 beträgt der sogenannte Fall-Verstorbenen-Anteil (abgekürzt CFR,von „case fatality rate“) im Landkreis Waldshut. Das bedeutet, dass hier rund 11 von 100 postiv auf den Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Menschen die Infektion nicht überleben. Ein Wert, der den Landkreis Waldshut am vergangenen Mittwochabend im Ranking der Johns-Hopkins-Universität aller baden-württembergischen Landkreise auf den Spitzenplatz katapultierte. Nirgendwo sonst im Land ist dieser Wert höher. Zum Vergleich: Im Landkreis Konstanz lag der CFR am Mittwochabend bei 2,0 (Platz 27), im Schwarzwald-Baar-Kreis bei 3,0 (Platz, 22), im westlichen Nachbarkreis Lörrach bei 5,9 (Platz 7).
Damit hat der Kreis Waldshut eine enorm hohe Quote, die der bisherigen Einschätzung der Wissenschaftler und des Robert-Koch-Instituts (RKI) komplett widerspricht. Doch diese Zahlen, die auf den ersten Blick höchst alarmierend erscheinen, sind trügerisch und dürfen nicht für sich alleine betrachtet werden.
1. Ist der Landkreis Waldshut hinsichtlich der Zahl der Corona-Fälle besonders betroffen?
Nein, eher im Gegenteil: Bei vergleichsweise niedrigen Zahlen der bestätigten Corona-Infektionen – absolut 288 Infektionen, 16,9 je 10.000 Einwohner, ist die Zahl der Verstorbenen mit 32 sehr hoch. Das zeigt der direkte Vergleich mit dem westlichen Nachbarkreis Lörrach. Hier wurden am selben Tag 25,1 bestätigte Covid-19-Infektionen je 10.000 Einwohner und 34 Todesfälle erfasst. Damit liegt hier ein niedrigerer Wert des CFR vor.
2. Wenige Infektionen, aber viele Sterbefälle – wie passt das zusammen?
Klar ist: Die tatsächliche Gesamtzahl der Corona-Fälle ist unbekannt, denn längst nicht jede Covid-19-Infektion wird tatsächlich mittels Rachenabstrich nachgewiesen und geht als bestätigt in die Statistik ein. Im Landkreis Waldshut lag die Testquote am 8. April mit 50,9 Tests je 10.000 Einwohner deutlich niedriger als beispielsweise im Nachbarkreis Lörrach, wo im Schnitt 137,6 von 10.000 Einwohnern auf Covid-19 getestet wurden. Hier kommt eine weitere Unschärfe hinzu, denn wie viele Tests tatsächlich gemacht werden, ist unbekannt. Nicht zur Gesamtzahl der Abstriche zählen Corona-Tests, die von niedergelassenen Ärzten veranlasst wurden. Hier werden lediglich positive Ergebnisse an das Gesundheitsamt gemeldet und dort erfasst. Die Zahl der negativen Ergebnisse sind auch der Kassenärztlichen Vereinigung nicht bekannt, wie eine Sprecherin auf SÜDKURIER-Nachfrage erklärte.
3. Warum wird im Kreis Waldshut so wenig getestet?
Dies liegt zum einen an den beschränkten Testkapazitäten, wie das Landratsamt Waldshut in der Vergangenheit immer wieder betont hat. Hinzu kommt, dass im Landkreis Waldshut die Teststrategie von Anfang an eher restriktiv war. „Wir in Waldshut haben, wie mehrfach berichtet, bereits früh priorisiert und schwerpunktmäßig getestet. Das hat sich auch bewährt“, sagte Landratsamtssprecherin Susanna Heim kürzlich dazu. Ein wichtiger Aspekt sei es hier gewesen, die Kapazitäten der Labore nicht auszureizen, um bei Notfällen, die dringend getestet werden müssten, handlungsfähig zu bleiben. Andere Landkreise, wie Lörrach beispielsweise, testeten dagegen von Anfang an deutlich mehr und schöpften alle Kapazitäten aus, wie Sprecher Torben Pahl kürzlich bestätigte.

4. Was ist über die Todesfälle im Kreis Waldshut im Zusammenhang mit Covid-19 zu bekannt?
Generell werden vom Landratsamt Waldshut keine Informationen über das Lebensalter und Vorerkrankungen von Corona-Verstorbenen kommuniziert. Als die Zahl der Todesfälle am vergangenen Mittwoch auf 32 stieg, erklärte Landratsamtssprecherin Susanna Heim aber auf Nachfrage, dass alle bisher Verstorbenen über 75 Jahre alt gewesen waren, die meisten älter als 80 und einige sogar noch älter. Alle seien mehrfach erkrankt gewesen, so dass die Covid-19-Erkrankung zu einer Verkürzung der Lebenszeit geführt habe.
5. Gibt es weitere Besonderheiten im Landkreis Waldshut?
Wie in vielen anderen Landkreisen sind auch im Kreis Waldshut Senioren- und Pflegeheime von Covid-19 betroffen: In acht der 26 Heime gibt es bestätigte Covid-19-Infektionen und in sechs Einrichtungen sind insgesamt 13 Bewohner verstorben, die positiv auf Covid-19 getestet worden waren. Das entspricht der Hälfte aller Todesfälle. Da die Patienten bereits betagt und vorerkrankt waren, seien sie nicht mehr für eine möglicherweise intensivmedizinische Behandlung in ein Krankenhaus verlegt worden, wie Susanna Heim erläutert: „Im Falle einer Erkrankung im Pflegeheim entscheiden die Angehörigen und der behandelnde Arzt, ob eine Verlegung ins Krankenhaus medizinisch sinnvoll ist und auch durchgeführt werden soll oder ob es nicht besser ist, den Sterbenden in seiner gewohnten Umgebung zu lassen.“
Fazit: Warum die Zahlen so schwierig einzuordnen sind
Je kleiner die Bezugsgröße ist – in diesem Fall die Zahl der bestätigten Covid-19-Patienten – desto stärker fallen einzelne Fälle ins Gewicht, die individuell für sich betrachtet zwar tragisch, aber nicht außerordentlich auffällig sind. Dafür ist der Fall-Verstorbenen-Anteil (CFR) von 11,1 im Kreis Waldshut ein Paradebeispiel: Bedingt durch die restriktive Corona-Teststrategie wächst die Gesamtzahl der Covid-19-Infizierten nur langsam an. Blickt man auf die Entwicklung, wird deutlich: Auch die Zahl der Verstorbenen blieb im Kreis Waldshut lange niedrig und bis 7. April sogar im einstelligen Bereich. Als das Virus aber dann in sensiblen Einrichtungen mit vorerkrankten Risikopatienten auftritt, steigt Zahl der Verstorbenen rasch immer weiter an, während die Zahl aller bestätigten Infektionen immer langsamer zunimmt, in den vergangenen Tagen sogar teilweise stagniert. Und das wirkt sich auf die Verhältnisse der Größen zueinander aus, was den CFR stark steigen lässt.