Rein rechnerisch war die Welt der kinderärztlichen Versorgung im Landkreis Waldshut bislang in Ordnung. Mit der praktischen Erfahrung vieler Eltern deckte sich das allerdings schon lang nicht mehr: Die Suche nach einem Kinderarzt war ein hartes Stück Arbeit. Auch die Kinderärzte selbst sprechen schon seit Jahren von einer äußerst angespannten Situation in der Region. Nun spitzt sich die Lage infolge des Wegfalls zweier Mediziner massiv zu. Bis zu 3000 junge Patienten drohen somit künftig keine Regelversorgung mehr zu haben. Die Sorge bei den Akteuren vor Ort ist groß: Steht nun das System vor dem Kollaps?
Wie stellt sich die Versorgungslage aktuell dar?
Zur Erinnerung: 13 Kinder- und Jugendärzte praktizierten laut Darstellung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) bislang im Landkreis Waldshut. Die berechnete Versorgungsquote lag bei 121,7 Prozent, sei also überdurchschnittlich, weswegen keine weiteren Zulassungen für die Region vorgesehen seien.
Weder die kontinuierlichen Warnrufe der vorhandenen Kinder- und Jugendärzte änderten daran etwas, noch der ebenso statistisch belegbare Umstand, dass inzwischen 60 Prozent der Mediziner älter als 60 Jahre ist,
Nun verschärft sich die kinderärztliche Versorgungssituation binnen weniger Monate drastisch: Der Laufenburger Kinderarzt Matthias Franki hat seine Praxis kürzlich krankheitsbedingt bis auf Weiteres geschlossen. Ende dieses Jahres geht der Tiengener Kinderarzt Michael Zerfass in den Ruhestand. Die Kinderarztpraxis Biberbau wird dann aufgelöst, der zweite dort tätige Kinderarzt Michael Netzhammer verlegt seinen Sitz nach Albbruck, wie die Praxis auf ihrem Internetauftritt informiert.
„Dann werden auf einen Schlag zwischen 2000 und 3000 Patienten jedes Quartal keinen festen Kinderarzt mehr haben“, betont der ebenfalls in Tiengen ansässige Kinderarzt Klaus Rühs auf Nachfrage unserer Zeitung darstellt. Und Experten gehen davon aus, dass es noch dicker kommen könnte, da noch weitere Kinderärzte auf absehbare Zeit in den Ruhestand gehen werden.
Die Folgen dessen, was da gerade im Gange ist, bekommen Rühs und sein Team bereits jetzt zu spüren: „Täglich erhalten wir 20 bis 30 Anfragen nach Übernahme.“ Dabei könne seine Praxis nur noch begrenzt neue Patienten aufnehmen: „Jedes Quartal betreut meine Praxis je nach Jahreszeit zwischen 1400 und 1800 Kinder und Jugendliche. Die Kapazitäten sind nahezu erschöpft.“
Der Fokus liege folglich zunächst bei den Geschwisterkindern der Bestandspatienten und bei chronisch erkrankten Patienten. Doch Wartezeiten ließen sich nicht vermeiden: „Akute Dinge werden möglichst am gleichen Tag oder sofort geklärt, Jugendvorsorgen in vier bis acht Monaten, hier haben wir mehr Spielraum“, so Rühs.
Eltern in Sorge: „Keine kontinuierliche Versorgung mehr“
Die Ratlosigkeit und Besorgnis sei bei vielen Eltern groß, schildern Karin Neumann und Cora Frickmeier von der „Elterninitiative kinderärztliche Versorgung Hochrhein“ darstellen: „Die Eltern machen sich bereits jetzt auf die Suche nach einem neuen Kinderarzt, erhalten jedoch zumeist Absagen, da die weiteren Praxen keine Patienten mehr aufnehmen können.“
Alles andere als hilfreich erweise sich die Kassenärztliche Vereinigung, die stets auf die bundesweite Nummer 116117 verweise – „Mit dem Hinweis, dass der Termin eventuell auch in Freiburg stattfinden könne“, schildern die Vertreter der Initiative in ihrer Stellungnahme. Für Vorsorgeuntersuchungen oder eine Impfauffrischung sei ein solcher Fahrtweg von 140 bis 200 Kilometer je nach Wohnort schwer nachvollziehbar.
Vor allem mangle es aber an einer „kontinuierlichen und verlässlichen Begleitung bei der medizinischen Entwicklung der Kinder im Landkreis“, bemängeln Neumann und Frickmeier. Die sorge für viel Verunsicherung und Belastung bei allen Beteiligten.
KV: „Haben nur begrenzten Handlungsspielraum“
Die KVBW selbst teilt die Sorge um den Fortbestand der ambulanten Versorgung, sieht aber vor allem die Politik in der Pflicht, „bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Kollaps der ambulanten Versorgung zu vermeiden.“ Die Organisation bezeichnet ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten als begrenzt: „Die KVBW sucht in den Regionen mit Versorgungsengpässen den Austausch mit den Akteuren vor Ort, und erfahrungsgemäß finden sich dann auch Lösungen“, schildert KV-Pressereferentin Martina Troescher auf Nachfrage unserer Zeitung.
Wie eine solche Lösung aussehen könnte, bleibt die KV schuldig. Im Fall des Kreises Waldshut eine zeitnahe Abhilfe aber offenbar auch gar nicht in Sicht: „Derzeit gibt es in Waldshut keine Kinderärzte in Weiterbildung.“ Und der Hinweis, „die KVBW hat schließlich keine Ärztinnen und Ärzte auf Lager“ klingt in diesem Zusammenhang fast ebenso patzig wie der schon oft geäußerte Hinweis an die Eltern, sie mögen den „Suchradius“ erweitern – wobei die KVBW selbst die „zumutbare Entfernung für Termine der Terminservicestelle“ mit 30 Minuten angibt.
Dass Eltern da häufig etwas ganz anders zu hören bekommen, dass in Einzelfällen nach Informationen unserer Zeitung Patienten aus Waldshut-Tiengen sogar nach Stuttgart vermittelt werden? Das sei eben Folge eines Problems, das laut KV ebenso flächendeckend sei wie der Hausarztmangel.
Immerhin: Das Sozialministerium des Landes stelle für die ambulante kinder- und jugendärztliche Weiterbildungsförderung bis zu 648.000 Euro zur Verfügung. „Damit können bis zu zehn zusätzliche ambulante Weiterbildungen finanziert werden“, verdeutlicht Troescher. Angesichts der aktuellen flächendeckenden Notlage ist das aber bestenfalls als Tropfen auf den heißen Stein zu sehen.