Im Jahr 1931 ernannte die Stadt Waldshut ihren ersten Ehrenbürger. Es war der damalige katholische Stadtpfarrer, Josef Bieser. Der aus Achern gebürtige Bieser war 1901 als junger Priester von 27 Jahren nach Waldshut gekommen, um dort zunächst als Kaplaneiverweser zu wirken. Fünf Jahre später wurde er Stadtpfarrer und hatte dieses Amt bis zu seinem Ruhestand 1943 inne. Er sollte in der Waldstadt nachhaltig Eindruck hinterlassen.
Rege an der Heimatgeschichtsforschung interessiert
Auf seine Initiative hin entstanden beispielsweise Kolping- und Marienhaus, er ließ Kirche und Kapellen renovieren und baute die katholische Vereinslandschaft in der Stadt auf. Neben seiner geistlichen Tätigkeit war er auch rege an Heimatgeschichtsforschung interessiert.
Ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument wiederum ist seine sehr persönlich gefärbte, über Jahrzehnte geführte Pfarrchronik, die auch seine strikte Gegnerschaft zum Nationalsozialismus belegt. Das Grab des 1946 verstorbenen Pfarrers ist noch auf dem alten Waldshuter Friedhof zu sehen.
Feldpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg
Eine Ausstellung im Waldshuter Museum „Alte Metzig“ beschäftigt sich nun mit einer besonderen Hinterlassenschaft Josef Biesers: seiner Feldpostkarten-Sammlung. Als Pfarrer hatte er sich im Ersten Weltkrieg in besonderer Weise um jene Waldshuter (und Eschbacher) Männer aus seiner Kirchengemeinde gekümmert, die als Soldaten an die Front eingezogen wurden. Vor allem versorgte er sie mit täglichen Nachrichten aus der Heimat.
In einem von Brauereibesitzer Dietsche zur Verfügung gestellten Zimmer der damaligen „Löwenbräu“ hatte er sein sogenanntes „Zeitungsbüro“ eingerichtet. Zwei Frauen und etwa 30 Kinder sammelten jeden Nachmittag mehrere Hundert gelesene Zeitungen (nämlich die katholische NWZ, die Neue Waldshuter Zeitung) in Waldshuter Haushalten ein, falteten sie, versahen sie mit Adressen und trugen sie dann in Wäschekörben zum Bahnhof, von wo aus sie den Soldaten im Feld zugeschickt wurden.
Daneben verschickte Bieser auch Bücher, Broschüren oder Zeitschriften meist religiösen Inhalts sowie persönliche Briefe und Geschenke, etwa Rosenkränze, Zigarren oder Tabak. Sein Adressbuch enthält die Namen von über 400 Männern an den Frontgebieten – fast die Hälfte aller hiesigen Kriegsteilnehmer.
986 Postkarten von der Front
Die freuten sich über die tägliche Post und schickten ihrem Pfarrer dafür eifrig Postkarten von der Front zurück. Bieser bewahrte diese Sendungen sorgfältig in mehreren Alben auf. Insgesamt 986 der Karten sind uns überliefert – eine Sammlung von überaus beachtlicher Größe, und viele Lücken lassen vermuten, dass sie ursprünglich sogar noch wesentlich umfangreicher war. Etwa 200 der Schreiber sind eindeutig identifizierbar, und fast 250 Karten zeigen Fotos von ihnen selbst.
Diese Fotokarten sind das eigentliche Herzstück der Sammlung, denn sie geben den Namen ein Gesicht. Bilder von klar identifizierbaren Einwohnern der Stadt sind aus dieser Zeit ansonsten selten; dank Pfarrer Biesers Sammlung verfügt das Stadtarchiv aber über einen ziemlich reichen Fundus.
Zu verdanken hat die Stadt Waldshut-Tiengen dies der Initiative des früheren Betreuers des katholischen Pfarrarchivs, Dominik Rimmele, der die Übergabe der Postkarten vor einigen Jahren in die Wege geleitet hatte. Nun ist die Sammlung voll erschlossen und bereit, von allen Interessierten betrachtet zu werden.
Zu sehen gibt es Männer (nebst einer Rotkreuz-Schwester), die sich auf individuell sehr unterschiedliche Weise darstellen ließen. Manche sahen sich am liebsten als „harte Krieger“, andere ließen sich als Verwundete im Krankenlager ablichten. Es gibt bekannte Waldshuter Persönlichkeiten zu sehen, etwa Stadtbaumeister Gustav Köpfler, unter anderem für den Bau der Heinrich-Hansjakob-Schule verantwortlich, der in der Ukraine Möbel aus Birkenholz schnitzte und sich als nimmermüden „Macher“ für das Wohlergehen seiner Kameraden inszenierte; andere wählten vor ihrer Abreise bewusst übertriebene Posen und Gestik, parodierten die für sie ungewohnte Rolle.
Neben Porträts auch Bilder aus den Schützengräben
Neben reinen Porträts gibt es aber auch Bilder direkt aus den Schützengräben, die den Alltag der Männer zeigen. Das berüchtigte Grabensystem des zumindest in Westeuropa bereits nach wenigen Monaten festgefahrenen Krieges erstreckte sich von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze. Einige Motive sollten sichtlich beruhigen – man sieht Soldaten in entspannter Runde, beim Kartenspielen oder Musizieren –, andere zeigen die Hässlichkeit des Krieges wesentlich ungeschönter. Es gibt etliche Aufnahmen zerstörter Orte und auch überraschend viele Bilder von Friedhöfen.
Während inhaltlich die Botschaften angesichts der Zensur auf den ersten Blick meist lapidar sind, erkennt man doch häufig den Unwillen, ein Teil des massenhaften Tötens und Verstümmelns zu bleiben – permanent ist der Wunsch ausgedrückt, der Krieg möge doch endlich vorbei sein.
Kirche und Krieg als Teil der Ausstellung
Über 100 Männer aus Waldshut und Eschbach sind im Ersten Weltkrieg gefallen, den meisten Angehörigen überbrachte Pfarrer Bieser selbst die traurige Botschaft. Ein Teil der Ausstellung widmet sich daher dem komplexen Thema Kirche und Krieg; Papst Benedikt XV verhielt sich im Ersten Weltkrieg betont neutral und bemühte sich seit Amtsantritt immer wieder um Friedensverhandlungen, was von den kriegführenden Mächten ausgeschlagen wurde.
Die deutsche Propaganda berieselte die Soldaten permanent mit blutrünstigem Chauvinismus. Die christliche Religion half den Frommen unter den Waldshutern zwar, den Hass auf die Gegner im Zaum zu halten, nur äußerst wenige Postkarten spiegeln die Überheblichkeit der Propaganda wider; das Töten konnte sie jedoch nicht verhindern.
Die meisten Karten kommen aus Nordfrankreich
Der überwiegende Teil der Karten kam aus Nordfrankreich, wo der Großteil der Waldshuter in den beiden Badischen Infanterie-Divisionen eingesetzt war, viele kamen aber auch aus Belgien sowie Polen und weiteren osteuropäischen Ländern. Den weitesten Weg legte eine Karte aus dem fernen Osten Russlands zurück, dem Kriegsgefangenenlager Nikolsk-Ussurijsk. Einige wenige der Männer waren auch bei der Marine.
Neben den Waldshuter Pfarrkindern gab es zudem einige ortsfremde Soldaten, die Pfarrer Bieser Karten schrieben: diese hatte er mit der ihm eigenen Hingabe betreut, als sie sich zur Behandlung ihrer Verletzungen in einem der Lazarette aufhielten, die im Spital, im Kornhaussaal und in der Volksschule eingerichtet waren. Große Erleichterung spricht aus ihren Zeilen, wenn sie freudig mitteilen, als Invaliden nicht mehr an die Front zu müssen.
Fotos als Zeugnis von Verbrechen
Lust auf Krieg macht die Sammlung Pfarrer Biesers definitiv nicht. Was es nicht zu sehen gibt, sind Helden. Eines nämlich ist angesichts der Eindrücke zerbombter Landschaften und zertrümmerter Wohnstätten deutlich: Diese Fotos geben Zeugnis von Verbrechen, nicht Tragödien. Zwar wurde in den vergangenen Jahren verschiedentlich versucht, die deutsche Kriegsschuld zu relativieren – überzeugen konnten diese Versuche nicht.
Man sieht in der Ausstellung die unabänderliche Wahrheit: Fotos deutscher Soldaten, die als Aggressoren in fremde Länder einfielen und Leid und Zerstörung dorthin brachten. Ihnen sei aus heutiger Sicht zugestanden, dass die von der Propaganda stark vereinfachte komplizierte weltpolitische Lage schwer zu durchschauen war und sie subjektiv der Überzeugung waren, für eine gute Sache zu kämpfen, doch wird beim Betrachten der Feldpostkarten klar: so schön es für uns heute ist, diese Sammlung zu haben, besser wäre es für alle Beteiligten gewesen, wenn ihre Schreiber nie am Absendeort gewesen wären.