Ingrid Böhm

Einen guten Klang hat der Name Lothar für die beiden Rheinfelder Revierförster nicht mehr. Gerd Fricker und Thomas Hirner haben vor 20 Jahren am zweiten Weihnachtstag 1999 den Orkansturm hautnah auf dem Dinkelberg erlebt. Sie sahen, wie stattliche Nadelbäume streichholzgleich knickten oder entwurzelt kreuz und quer lagen.

Lothar schlug breite Schneisen in Bestände, fegte ganze Waldstücke kahl, die Forstleute bei guter Pflege auch wirtschaftliche Erfolge versprachen. Hier und da ließ der Sturm einzelne Fichten, Kiefern oder Buchen stehen. Die ragen heute wie Mahnmale über den plattgemachten Flächen von einst und lassen ahnen, was in Windgeschwindigkeit verlorenging.

„Auch 20 Jahre nach Lothar sind die Narben noch nicht verheilt“, bilanziert Revierleiter Gerd Fricker die Lage. Bei einer Tour inspizieren er und sein Kollege Thomas Hirner, die beide für 1300 Hektar Stadtwald im Einsatz sind, wie die verwüsteten Bereiche 20 Jahre danach aussehen.

Revierleiter Gerd Fricker und Forstwirtschaftsstudent Luca Kiener machen Bestandsaufnahme 20 Jahre nach Lothar.
Revierleiter Gerd Fricker und Forstwirtschaftsstudent Luca Kiener machen Bestandsaufnahme 20 Jahre nach Lothar. | Bild: Ingrid Böhm

Und dann kam der Borkenkäfer

Hinter Eichsel geht es durch Wald und Wiese an den Gemarkungslinien von Degerfelden und Adelhausen entlang. Zum Teil kreuzen Wanderrouten, die auf den Westweg hinweisen. Der Dezembermorgen ist neblig und kalt und beschönigt nichts. Im Bereich des Urmeswegs stehen noch alte Buchen und Eichen. Am Ende der Fahrt teilt der Weg zwei Waldstücke, die Geschichten von „Lothar“ erzählen.

Der hat nicht nur über 40.000 Festmeter zerschlagene Stämme zurückgelassen, sondern „den Grundstein für weiteres Übel gelegt“, wie Fricker weiß: den Borkenkäfer. In den heißen und trockenen Sommern 2003 und 2005 fanden die Schädlinge in den geschädigten Waldbereichen ideale Brutstätten.

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Rechts vom Weg stehen dicht an dicht junge Laubbäume, Eichen und Buchen vor allem. Sie wachsen in kurzen Abständen an Stelle der verlorenen gegangenen Nadelbäume. Bis aus dem Nachwuchs ein stattlicher Wald entsteht, dauert es aber noch mindestens 50 Jahre. Am Anfang wurde das Gebiet mit einem Zaun vor Wildverbiss geschützt.

Inzwischen geht es ohne. Auf der anderen Wegseite sind die Stämmchen nicht mal halb so groß und noch umzäunt, was Wildschweine dennoch nicht am Eintritt hindert. Dass hier wieder neuer Wald wächst, sieht Fricker aber auch als „Chance“, um „standortgerecht anzupflanzen“. Der Waldumbau aber kostet viel Geld, die zerflederten und zerstörten Bestände lassen sich somit nur allmählich ersetzen.

Fricker hat dem Orkan damals direkt ins Auge geblickt. Er schaut mit dem Sinn eines Forstmanns für pragmatische Lösungen zurück und kommt dennoch nicht umhin zu sagen: „Ein Notstand war das schon.“ So manches „Lebenswerk geht dahin“, meint er mit Blick nach rechts. Dort wurden als Lothar wütete, erste Holzhiebe möglich, damit sich die besten Bäume weiter entwickeln. Der materielle Schaden war enorm, denn die „Holzmengen waren gar nicht zu verkaufen“.

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Fricker hat 1999 noch im Forsthaus in Eichsel gewohnt und erlebt, wie das Unheil vormittags seinen Lauf nahm. Zuerst flogen die Fenster auf und der Regen prasselte querstehend von Südwest herein. An Weihnachten war da nicht mehr zu denken. „Bei solchen Verhältnissen ist man im Dienst“, erinnert sich der Revierleiter. Solange der Sturm wütete, hat auch er den Wald nicht betreten. Erst als sich die Gefahr legte, zeichnete sich das Ausmaß des Schadens ab. In Eichsel hat es sogar an mindestens 20 alten Eichen die Kronen abgedreht. Stürme hat Fricker schon vorher erlebt, „Wiebke“ zum Beispiel. Doch „Lothar war Extraklasse“ als Einzelereignis.

Hilfe aus Norwegen

Was war zu tun? Alle Waldarbeiter wurden mobil gemacht, Maschinen und Vollernter in Gang gesetzt, international ging es bei den Einsätzen zu. Unternehmer aus Norwegen und Österreich unterstützen, um die Lage in Griff zu bekommen. Fricker ging als versierter Forstmann ans Werk wie bei einem Unfall mit Verletzten. „Natürlich war das alles sehr erschreckend, aber wir sind sehr gut ausgebildet und gewohnt, Lösungen zu finden.“

Die stolze Arbeitsbilanz bei den Aufräumarbeiten nach „Lothar“, über die die Badische Zeitung 2020 berichtete, hat ...
Die stolze Arbeitsbilanz bei den Aufräumarbeiten nach „Lothar“, über die die Badische Zeitung 2020 berichtete, hat Revierförster Thomas Hirner noch in seinem Archiv zur Hand. | Bild: Ingrid Böhm

Die groben Aufräumarbeiten dauerten mehr als ein Jahr. Die Stadt hat damals ein Nasslager bei der Aluminium fürs Nadelholz eingerichtet. Über 10.000 Festmeter wurden mit aus dem Rhein gepumpten Wasser beregnet. „Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das geschafft haben“, räumt Fricker beim Nachdenken über die großen Kraftanstrengungen ein. Auch in diesem Winter sind dramatische Wetterlagen nicht ausgeschlossen, weil warme Luftmassen vom Meer ins Land strömen, die beim Zusammenstoß mit kalten Gefahr bedeuten. Fricker sagt da nur:„Hoffentlich nicht wieder.“

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Revierförster Thomas Hirner schüttelt noch heute den Kopf, wenn er daran denkt, wie verständnislos manche Zeitgenossen bei „Lothar“ auf das ungeheuerliche Schadensmaß reagiert haben und sich gegen jegliche Vernunft Gefahren aussetzten. Trotz massiver Aufräumarbeiten und gesperrter Wege wollten einige einen Waldspaziergang machen.

Eine Joggerin, die sich mehrfach über gesperrte Waldwege hinwegsetzte, kassierte dafür ein Bußgeld. Vielen ging es nicht schnell genug, dabei „haben wir geschuftet“. Selbst der Schwarzwaldverein wurde belehrt, dass eine geplante Tour nicht geht. Obwohl die Waldarbeiter bis Dreikönig Urlaub hatten, waren alle im Einsatz, erinnert sich der Revierleiter.

Viele Bäume fallen Lothar zum Opfer

Der Waldbereich mit dem Trimm-dich-Pfad oberhalb des „Lebküchle“auf Nollinger Gemarkung bietet lebhaften Anschauungsunterricht über Lothar. „Die Schäden waren auf der gesamten Fläche“, beschreibt Hirner das Bild, es handelte sich nicht nur um eine Schneise. Nadel- und auch größere Laubholzflächen fielen dem Orkansturm zum Opfer. Hirner war seit Oktober 1998 im Revier tätig und weiß genau wie es vor Lothar in dem hügeligen Gebiet auf etwa 400 Metern aussah.

Beim Parcourspunkt 15 wachsen inzwischen wieder bis zu zehn Meter hohe junge Eichen. Etwa 4000 Pflanzen wurden zur Wiederbewaldung auf den Hektar gesetzt. Das kostete rund 60.000 Euro. Neu bepflanzt wurden dort zwei Hektar. Zum Teil sogar ein zweites Mal wegen des Eschetriebsterbens. Die Kulturen bringen sie noch lange keinen Ertrag. Um stattliche Bäume zu werden, braucht es weiter Pflege und noch etwa 150 Jahre.

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Ein paar Referenzbäume, denen Lothar standhielt, zeigen, was fehlt. Dennoch sieht auch Hirner Positives im Schaden. Lothar hat den Waldumbau vom Fichten- zum Laubwald beschleunigt. Sogar Kirsche, Ahorn, Linde und andere Arten haben dadurch Zukunft. Schneller als wirtschaftlicher Erfolg stellt sich der Erholungswert und ökologische Nutzen ein.Damit der Sauerstoff-Speicher sich weiter füllt, fördern die Förster „die Besten“ unter den Bäumen, lichten dafür den Nachwuchs aus und lassen das Kleinholz liegen, damit es im Kreislauf der Natur bleibt.