Rheinfelden-Karsau „Mittifaschte fangt de Summer a; do mueß jede Buur en Pflueg ha“, so beginnen Annabell, Roland und Selina, den Spruch vor einer der Haustüren im Karsauer Innerdorf aufzusagen. Fesch sehen die drei Jugendlichen aus mit ihren weißen Hemden, den weißen Zipfelmützen, der Kratte an der Hüfte und den mehr als vier Meter hohen Ruten mit dem farbigen Papierbündel, die sie während der Rezitation des Spruchs hin- und her schwenken. Die drei sind Jahrgang 2010, wie alle 18 Jugendlichen, die am Sonntag – dem Sonntag Laetare in der Mitte der Fastenzeit – einem alten Brauch folgend den Miesme durch Karsaus Straßen begleiten.
Bis zu drei Meter hoch ist die Brauchtumsfigur; sie trägt einen Rock aus Stroh, einen Oberkörper aus Wacholder, Buchs und Efeu, ein großes rotes Herz auf der Brust und eine Hörnerchappe – obwohl Karsau nie zum Markgräflerland gehörte. Getragen wird sie mit Helm und Schulterstützen im Inneren von Christian Wick. Er ist 45 Jahre alt und Vater dreier Kinder. Michael Meister begleitet ihn. Er führt den Miesme wegen seines begrenzten Sichtfelds an einem Seil.
Während der Miesme auf der Straße bleibt, gehen seine Begleiter in Zweier- und Dreiergruppen an die Haustüren und klingeln, um nach aufgesagtem Spruch von den Bewohnern Geld und Eier zu erbitten. Wie es am Ende des 17 Zeilen langen Spruchs heißt, der landwirtschaftliche und christliche Motive, Winteraustreibung und Katechismus, Alemannisch und Standarddeutsch vermischt: „Und b‘schauet d‘r euse Miesme it, so erlebet d‘r de heilig Oschterdaag au it!“
Florian Schmidt ist zufrieden: „Toll, wie synchron ihr den Spruch aufsagt“, lobt er die Jugendlichen. Schmidt gehört zur Gruppe von Erwachsenen, die den Miesme begleiten. Er ist der ehemalige Feuerwehr-Abteilungskommandant von Karsau; bis zu ihrer Auflösung vergangenes Jahr organisierte die Feuerwehr viele Jahre den Miesme-Brauch. Für ihn werde es nach 25 Jahren deshalb der letzte Miesme sein, den er begleite, sagt Schmidt.
Zu seiner Nachfolgerin Michaela Zuti gewandt, sagt er: „Ihr habt Glück, dass ihr für den Übergang einen so harmonischen Jahrgang habt.“ Er habe es auch schon mit aufmüpfigen Jugendlichen zu tun gehabt. Zuti ist Mitglied im Schwarzwaldverein Karsau, der die Organisation von der Feuerwehr übernommen hat, und außerdem die Tochter des gestorbenen Norbert Agster, der den Miesme jahrelang baute.
Während im Hintergrund bei den Organisatoren dieses Jahr ein Generationenwechsel stattfinde, sind die Jugendlichen jedes Jahr neue: Traditionell waren es die Schüler der Abschlussklasse der Karsauer Hauptschule. Am Anfang koste es die Jugendlichen etwas Überwindung, vor fremden Haustüren ihren Spruch aufzusagen. Aber später werde es Wettkämpfe geben, wer in einer Straße am meisten Geld sammeln könne, weiß Schmidt aus Erfahrung. Zumindest Selina widerspricht dem: Sie habe in ihrer Guggenmusik schon viel Bühnenerfahrung und keine Angst vor dem Publikum.
An einem Haus im Innerdorf werden die Jugendlichen von einer ganzen Geburtstagsgesellschaft erwartet: Florian Siebold wird 40. Auch er trug schon einmal den Miesme und hat wegen des Brauchs seine Gäste bereits am Vormittag eingeladen. Am Ende des Innerdorfs biegt der Miesme wieder in die Karsauer Straße ein. „Jetzt geht es bergauf“, sagt Meister in freundlichem Spott. „Ich sehe es“, entgegnet Wick unter seiner schweren Verkleidung. Später werden die beiden Männer tauschen.
Schmidt mahnt immer wieder, die Jugendlichen sollten nicht trödeln: „Nachher fehlt ihnen die Zeit. Es ist seit 25 Jahren immer dasselbe.“ Den ganzen Tag wird der Miesme noch in Karsau, am Kapfrain, in Beuggen und Riedmatt unterwegs sein, bevor er am Abend beim Sportplatz verbrannt wird. Doch kurz vor dem Einmarsch in die Pferdepension Frech-City gibt es eine Zwangspause: Eine junge Stute bekommt auf der Koppel offensichtlich eine solche Panik vor dem großen Miesme und den langen Ruten, dass sie ausbricht. Bis die Reiterinnen auf dem Hof sie wieder eingefangen haben, müssen der Miesme und seine Begleiter warten.