Rheinfelden-Degerfelden „Bei uns gewinnen immer die Mädels, denn die brauchen wir hier vorne“, sagt der Moderator der Tiroler Blaskapelle Gehörstur, wonach sich, dem Brauch von Rockbands entsprechend, zuerst die Frauen und dann die Männer im Publikum lautstark bemerkbar machen sollten. Rock und Pop bot Gehörsturz auf der Bühne am frühen Samstagabend des Drei-Tage-Festivals zur 100-Jahr-Feier des Musikvereins Degerfelden in der Tat: Die Mädels dürfen daraufhin nämlich in einer Reihe nebeneinander zum Evergreen Macarena von Los Del Rio tanzen und danach zu Bellinis WM-Hit Samba de Janeiro die Polonaise durch das Publikum führen. Spätestens jetzt gibt es für einen Großteil des Publikums kein Halten mehr, und der Rasen vor der Bühne wird zur Tanzfläche.

Es war ein großes Ereignis, das dreitägige Geburtstagsfest, das die Veranstalter einfach nur „Das Festival“ nannten – nicht nur für den Musikverein Degerfelden, sondern für das ganze Dorf; das sah man schon seit Wochen an den großen Heckscheibenaufklebern auf vielen Autos. Der Musikverein kleckerte nicht, sondern klotzte drei Tage lang mit einigen der bekanntesten modernen Blasmusikkapellen, die als Gesamtshow auftreten, neben Gehörsturz das Allgäuer Ensemble Quattro Poly sowie Fettes B., die Hip-Hop mit Blasmusik spielen. Der Musikverein gab alles mit der enormen Bühne, die mit ihrem weit ausholenden Muscheldach entfernt an das Opernhaus in Sydney erinnerte, mit dem kulinarischen Angebot an mehreren Essens- und Getränkeständen und den Sitzplätzen an Bierbänken für knapp 1000 Besucher. Das Festival wäre allerdings nicht möglich gewesen, ohne die ehrenamtliche Mithilfe zahlreicher Vereine aus Degerfelden und Herten, allen voran des Musikvereins Herten.

Die Zeitung ist stets angehalten, mit Superlativen vorsichtig zu sein – der Vorsitzende des Musikvereins Christian Häßler nicht: „Utopisch, krass“, nennt er die Erfahrung des Wochenendes auf Nachfrage, besonders die des Höhepunkts am Freitagabend, als die 56 Musiker des Musikvereins unter dem Titel „Playlist 100“ ihr eigenes Konzert aufführten. Durch die Erfahrungen von Großprojekten wie der Musical Night und Symphonic Rock unter der Leitung des Dirigenten Gordon Hein in den vergangenen zehn Jahren, war es dem Musikverein Degerfelden möglich, die geschätzten 800 Zuschauer auf eine musikalische Reise durch die zehn Jahrzehnte seiner Existenz mitzunehmen. Sie begann bei der Dreigroschenoper und endete bei den Backstreet Boys mit Let‘s Have a Party. Wichtiger Teil des Konzerts war die Band Six 2 Seven mit ihren Sängern Kim Vanessa Schmidt und Markus Oschwald, die einzeln schon bei den vorherigen Projekten mitgewirkt hatten.

Durchs Programm führte Günther Häßler, der in seinen Ansagen stets das damalige Zeitgeschehen, die Entwicklung des Musikvereins und die musikalischen Höhepunkte des Jahrzehnts gekonnt miteinander verknüpfte. Kim Vanessa Schmidt sang etwa im weiß-glitzernden Abendkleid den Swing-Klassiker Diamonds Are a Girl‘s Best Friend aus der Nachkriegszeit; bei Dusty Springfields Son of a Preacher Man von 1968 ermahnte sie das Publikum erstmals: „Ich möchte euch nicht lange auf diesen Sitzen sitzen sehen!“

Als nach der Pause die Lichtanlage im Dunkeln ihre volle Wirkung entfalten konnte, verwandelte sich das Vorfeld der Bühne in eine Disco; das Publikum hielt bei Roxettes The Look, Bon Jovis It‘s My Life und Michael Jacksons Thriller trotz der einbrechenden Nachtkälte nicht mehr an sich. Einziger Wermutstropfen bei diesem Spektakel: Die Musiker waren so gut aufeinander abgestimmt, dass man bei den modernen Liedern das Orchester neben E-Gitarre und Schlagzeug der Band kaum noch wahrnahm – das berichteten mehrere Zuhörer Christian Häßler.

Der Samstagmittag gehörte den Kindern: Nach dem erfolgreichen Projekt 2024, hatte der Musikverein Degerfelden erneut auf eigene Kosten rund 70 Kinder zwischen acht und 14 Jahren aus dem ganzen Landkreis zum Musizieren im eigenen Orchester eingeladen. Musiker der Musikvereine Degerfelden und Herten leiteten an einem Wochenende vor dem Festival Registerproben; Generalprobe und Konzert fanden dann am Samstag auf der Bühne vor Eltern und Großeltern statt. Am Sonntag standen neben der aus Tirol kommenden Band Viera Blech auch regionale Musikvereine und Blasmusikensembles auf der Bühne. Zudem versuchten 300 Musiker, gemeinsam zu musizieren.