Rheinfelden Tamika Kunz und Maron Gyurov lesen im Familienzentrum Rheinfelden ein Dutzend Fragen und Aussagen vor, mit denen sie konfrontiert werden: „Woher kommst du?“, „Ihr seid immer so laut und temperamentvoll“, „Du bist aber gut integriert“. Beispiele für Rassismus im Alltag, die den beiden Müttern immer wieder begegnen. Sie wollen sensibilisieren und ins Gespräch gehen. Zehn Besucher des Familientreffs Rheinfelden haben diese Einladung am Montagvormittag angenommen. Die Veranstaltung eröffnet die Internationalen Wochen gegen Rassismus.
Tamika Kunz und Maron Gyurov leben und arbeiten in Rheinfelden. Sie sind in Deutschland geboren. Trotzdem kennen sie das Gefühl, nicht dazuzugehören. Sie bezeichnen sich selbst als PoC, als Abkürzung für das englische People of Color, oder als mixed. Dabei handelt es sich um eine Selbstbeschreibung von Menschen, die sowohl weiße als auch schwarze Eltern oder Großeltern haben. „In Afrika bin ich weiß, in Deutschland bin ich schwarz. Wir sind nirgends wirklich zu Hause“, sagt Kunz nachdenklich. Mit fester Stimme spricht sie über die verschiedenen Spielarten von Rassismus, darüber etwa, dass er in Institutionen wie der Polizei verankert sei: „Von 100 Leuten werde ich gezielt kontrolliert, ob ich Gras dabeihabe.“ Maron Gyurov nickt wissend.
Die beiden jungen Mütter wollen einen Einblick in ihren Alltag geben und zeigen, wie sehr Rassismuserfahrungen diesen und ihr Verhalten prägen. „Ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich zum Beispiel darauf achte, Hochdeutsch zu sprechen. Nur um zu sagen, guckt mal, ich gehöre hier her“, sagt die 31-jährige Gyurov. Witze über schwarze Menschen, Spitznamen, die sie aufgrund der Hautfarbe verpasst bekommt, Menschen, die ungefragt die eigenen Haare anfassen – all das seien alltägliche Grenzüberschreitungen. Aber solche, die nicht von allen als rassistisches Verhalten wahrgenommen würden.
„Wenn ich jemanden frage, wo er herkommt, meine ich das ja nicht rassistisch“, kommt prompt die Aussage aus dem Publikum. „Auch ohne böse Absichten macht es aber etwas mit uns“, antwortet Kunz. Denn implizit schwinge in der Frage mit „Woher kommst du wirklich?“ – als könne sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht geborene Deutsche sein. Vielen Menschen sei nicht bewusst, wie sehr solche Fragen verletzen können. „Unser Ziel ist es, das zu ändern“, sagt die Heilerziehungspflegerin.
Intensiv ist in solchen Momenten das Gespräch, immer wieder sprechen die Referentinnen und ihr Publikum gleichzeitig. Was darf man noch sagen? Wie lautet denn die korrekte Bezeichnung für die Schokoschaumküsse? Und wer hat eigentlich die Deutungshoheit über solche Fragen? Nicht auf alles können die Teilnehmer definitive Antworten finden. Schlimmer sei es geworden mit den rassistischen Bemerkungen, antworten Kunz und Gyurov einhellig auf eine entsprechende Frage. Mit dem Aufstieg der AfD und Debatten um Flucht und Migration habe sich etwas verändert. „Die Leute denken, wir kommen alle aus Booten“, sagt Maron Gyurov. „Als ich im Supermarkt angeschrien wurde, ich solle in mein Land zurückgehen, da habe ich mich geschämt“, erzählt Tamika Kunz.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtete im vergangenen Jahr von rund 3400 Anfragen nach rassistischen Diskriminierungen, die sie 2023 erreicht hatten – ein Rekordhoch. „Mehr Menschen als je zuvor bekommen die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und Radikalisierung unmittelbar zu spüren. ‚Ausländer-Raus‘-Stimmung und Menschenverachtung sind heutzutage normal geworden“, wird die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman im Jahresbericht zitiert.
Als Tamika Kunz auf ihre Schulzeit zurückblickt, wird sie emotional. Sie selbst habe dumme Sprüche gemacht, über rassistische Witze auf ihre Kosten gelacht. „Lieber war es mir, dass alle mit mir lachen, als dass ich ausgeschlossen werde“, sagt sie und kämpft sichtlich mit den Tränen. Lehrer müssten geschult werden zum Thema Rassismus. „Ich wünsche mir ein soziales Fach in den Schulen, wo Kinder lernen, respektvoll miteinander umzugehen und Diversität und Inklusion erleben“, sagt die 23-Jährige. „Unsere Eltern hatten damals keine Zeit, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Sie mussten arbeiten und die Sprache lernen. Wir, die hier geboren sind, vernetzen uns, bauen Gemeinschaft und wollen Gehör finden“, bekräftigt Maron Gyurov.