Weihnachten steht vor der Tür. Ein gutes halbes Dutzend Ehrenamtlicher sitzt kurz vor den Festtagen an einem kleinen Tisch, genau dort, wo früher Videokassetten verliehen wurden. Heute ist hier, in der Waldshuter Bergstraße, der Tafelladen. Die Stimmung in der Gruppe ist gut. Es wird gequatscht – über die nahenden Festtage, über die Familie, die Gesundheit.

Man kennt sich, trifft sich und trinkt gemeinsam Kaffee, nachdem die Vorbereitungen für den Verkauf abgeschlossen sind. Gerade heute gibt es viel zu tun, denn zweieinhalb Autoladungen an Spenden der Aktion „Verena teilt“ sind gerade zusätzlich zu den üblichen Spenden der Lebensmittelgeschäfte eingetroffen und müssen noch eingeräumt werden.
Eine der Helferinnen ist Benedetta Müller-Meier aus Waldshut. Die 75-jährige Witwe hilft schon seit über zehn Jahren im Laden aus. „Es macht Spaß“, fasst sie ihre Motivation für die unentgeltliche Arbeit zusammen. „Es ist gut für mich und gut für andere“, sagt sie. In Eritrea geboren, auf Sardinien aufgewachsen und in Waldshut-Tiengen geheiratet, hat die heute energetische Seniorin mit der selbstbewussten Ausstrahlung im Laufe ihres Lebens fünf Kinder großgezogen. Mittlerweile zählt die Familie auch neun Enkel und einen Urenkel. Nachdem ihr Mann verstorben war, sehnte sie sich nach Gesellschaft – und einer Aufgabe.
Gefunden hat sie sie im Waldshuter Tafelladen. Hier kümmert sie sich vor allem um die Backwaren, aber wie alle anderen ist auch sie ein Stück weit Mädchen für alles. Sie wohnt in der Nähe und läuft den Weg zu Fuß. Bald wird sie nach Küssaberg umziehen, ab dann will sie einfach mit dem Bus kommen. Die Leidenschaft dafür, anderen helfen, teilt sie mit dem Rest der Belegschaft – ebenso wie ein dickes Fell. Denn die Arbeit hier ist nicht immer einfach.
Kommunikation mit "Mäh" und "Muh"
„Manchmal ist die Sprachbarriere eine Herausforderung“, sagt Benedetta Müller-Meier. Hände und Füße würde aber ebenso gut funktionieren, wie ein „Muh“ für Rindfleisch und Milch oder ein „Mäh“ für Ziegenkäse, lacht sie. Sie ist eine von rund 65 Ehrenamtlichen, von denen viele den anspruchsvollen Job schon seit Jahren machen. Von den neuen bleiben hingegen nur wenige.

Mit Armut und den von ihr betroffenen Menschen umzugehen ist nicht immer einfach. Die Lebensläufe der Kunden sind ebenso vielfältig wie jene der Helfer. Auch sie haben sich schon eine Stunde vor der Öffnung vor der Tür des Tafelladens eingefunden. Auch hier ist die Stimmung gelassen. Man hört arabische, russische, aber auch deutsche und andere Sprachen. Heute sind es mehr Kunden als sonst. Sie hoffen, Kaffee, Pasta oder Kosmetika kaufen zu können. Solche haltbaren Artikel gibt es hier nur selten. Sie verderben nicht und werden deshalb von Geschäften im Gegensatz zu Milchprodukten, Brot und Gemüse in der Regel nicht an den Tafelladen gespendet.
Die Ware stammt aus der Spendensammlung „Verena teilt“. In den Waldshuter, Tiengener und Lauchringer Kirchen der Seelsorgeeinheit Mittlerer HochrheinSt. Verena wurden die Spenden während der Gottesdienste in der Adventszeit gesammelt. „Die Idee wurde vor rund sieben Jahren vom Sozialausschuss der Pfarrei entwickelt und zunächst nur in der Fastenzeit durchgeführt“, erklärt Pfarrer und Leiter der Seelsorgeeinheit, Ulrich Sickinger.
Bedürftigkeit ist ein ganzjähriges Problem
Die Spendenbereitschaft sei nach wie vor gut. Der Weihnachtsgedanke stehe aber nicht direkt im Mittelpunkt, so Sickinger. Für die meisten Menschen, die einen Berechtigungsschein für den Tafelladen besitzen, ist Bedürftigkeit nämlich ein ganzjähriges Problem. Dennoch könne die Aktion vor Weihnachten helfen, Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen, die sie sonst nur wesentlich teurer erwerben könnten, sagt Bernhard Gampp, Geschäftsbereichsleiter des Caritas Sozialdiensts, zu dem auch der Waldshuter Tafelladen gehört.

In der Regel kostet hier alles nur zehn bis 15 Prozent des normalen Kaufpreises. „Damit mildern wir die Armut und es bleibt ein wenig mehr übrig für Weihnachtsgeschenke oder Familienfeste. Das spüren unsere Kunden.“ Zwar sei das Stigma, im Tafelladen einkaufen zu müssen, laut Gampp nicht mehr ganz so groß. Dennoch möchte keiner der Kunden sich heute öffentlich äußern. Zu groß ist oft die Scham über die existenzielle Notlage. Gerade hier kommt zum Tragen, was Benedetta Müller-Meier und ihre Kollegen über ihre ehrenamtliche organisatorische Arbeit hinaus leisten. Sie bilden eine Schnittstelle zur Gesellschaft und ein soziales Netz, meint Bernhard Gampp.

Die Tafel und ihre Helfer
Derzeit arbeiten 65 Ehrenamtliche im und für den Waldshuter Tafelladen. Die Altersspanne der Helfer reicht von 45 bis 80. Die meisten sind über 70 Jahre alt. Heute gibt es für den Waldshuter Tafelladen rund 600 Berechtigungskarten, damit werden rund 2700 Menschen versorgt. Lediglich in den Bereichen Migration und Altersarmut gibt es laut Caritas, dem Träger des Waldshuter Tafelladens, eine leichte Steigerung. Öffnungszeiten sind dienstags von 10 bis 11 Uhr, mittwochs von 14.30 bis 15.30 Uhr und freitags von 10 bis 11 Uhr. Wer helfen möchte, kann sich direkt an Bernhard Gampp wenden.
"Soziale Faktoren spielen eine Rolle"
Bernhard Gampp ist Geschäftsbereichsleiter des Caritas Sozialdiensts und damit auch verantwortlich für die Tafelläden in Waldshut und Bad Säckingen. Im Interview verrät er, wie man sich engagieren kann.
Herr Gampp, wie kann man im Tafelladen helfen?
Interessierte können sich gerne bei der Caritas oder direkt im Tafelladen melden. Demnächst wird dort wieder die Stelle einer festangestellten Leitung besetzt sein, die alles organisiert. Im Idealfall kann man das machen, was man gut kann, oder bereits im Berufsleben gemacht hat. Zum Beispiel haben wir ein Fahrerteam, das die Waren bei den Geschäften abholt, ein Verkaufsteam, das sich um das Einräumen und die Ordnung im Laden kümmert, und ein Kassiererteam. „Hausfrauengeschick“ ist ebenso gefragt, wie kaufmännisches Interesse.
Was muss man für die Arbeit in einem Tafelladen sonst mitbringen?
Unsere langjährigen Mitarbeiter verbindet eine ausgeprägte Empathie und Nächstenliebe sowie eine hohe Identifikation mit ihrer Aufgabe. Man sollte ein Händchen für Menschen haben, denn soziale Faktoren spielen hier eine wichtige Rolle. Interessierte sollten für Stresssituationen gewappnet sein und ein Interesse für Armut sowie die Bereitschaft für soziales Engagement mitbringen.
Fragen: Peter Rosa