Ursula Freudig

Viele Wege führen im Landkreis Waldshut zur Fachhochschulreife und zum Abitur, studieren war bislang nicht möglich. Seit Oktober 2017 ist dies anders. Der Landkreis ist im Zuge von Kooperationen mit der Fachhochschule des Mittelstandes (Bielefeld) und der Steinbeis-Hochschule (Berlin) ein Studienzentrum geworden. Angeboten werden die Studiengänge Bachelor of Arts Sozialpädagogik & Management sowie Bachelor of Arts Business Administration, Schwerpunkt Business Management (BWL). Die Besonderheit: Es wird parallel zur Ausbildung oder nach Ende der Ausbildung zur Berufstätigkeit studiert.

Auf Anhieb gleich 39 Studierende aus dem Landkreis Waldshut und einige auch aus benachbarten Landkreisen sind im Oktober ins erste Semester gestartet. Sie können während der Studienzeit in ihren Heimatorten wohnen, absolvieren aber kein klassisches Fernstudium. Die 39 „büffeln“ nicht alleine, sondern haben zwei kreiseigene Waldshuter Schulen an ihrer Seite: Die Justus-von-Liebig Schule und die Kaufmännische Schule. Dort haben sie Ansprechpartner und Betreuer. Dort finden auch die Seminare statt, in denen das zuhause Erarbeitete vertieft wird. Nur für die BWL-Studenten stehen einige wenige Seminartermine an Steinbeis-Studienorten wie Gaggenau oder Berlin auf dem Programm.

Die Prüfungen finden vor Ort in den Schulen statt. 26 der 39 sind angehende oder fertige Erzieherinnen, die in entsprechenden Einrichtungen arbeiten. Zuständig für ihren Studiengang Sozialpädagogik & Management (BA) ist die Liebig-Schule. Die verbleibenden 13 studieren größtenteils berufsbegleitend BWL, das heißt sie haben ihre kaufmännische Ausbildung bereits abgeschlossen und arbeiten in ihrem Beruf. Für ihren Studiengang Business Administration (BWL) ist die Kaufmännische Schule zuständig. Die Dauer der Studiengänge ist verkürzt, weil Inhalte der Ausbildung den Studiengängen entsprechen und angerechnet werden. Studiengebühren fallen zwar an, aber im Vergleich zu den Ausgaben, die Wohnen und Studieren in einer Universitätsstadt mit sich bringen, ist das Studieren in Waldshut günstig.

So nebenher mit links sind die beiden Studiengänge aber nicht zu bewältigen. Dies bestätigen Tatjana Schmidt (22) aus Lauchringen und Marieke Trautwein (19) aus Herrischried. Die beiden Abiturientinnen stehen im ersten Ausbildungsjahr zur Erzieherin an der Liebig-Schule. Einen Tag die Woche sind sie in einem Kindergarten. Und jetzt sind sie auch noch Studentinnen. Fleiß, die Fähigkeit, selbstständig zu arbeiten, und eine gute Selbstorganisation nennen die beiden wichtige Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium. Das Angebot kommt für Tatjana Schmidt wie gerufen: „Mein Mann macht hier eine Ausbildung, wir sind beide sehr froh, dass ich jetzt nicht fürs Studieren weggehen muss."

"Ich kann jetzt weiter zuhause wohnen, eine Wohnung in Freiburg wäre sehr teuer." Marieke Trautwein (19) aus Herrischried.
"Ich kann jetzt weiter zuhause wohnen, eine Wohnung in Freiburg wäre sehr teuer." Marieke Trautwein (19) aus Herrischried. | Bild: Ursula Freudig

Für Marieke Trautwein spielt der finanzielle Aspekt eine große Rolle: „Ich kann jetzt weiter zuhause wohnen, eine Wohnung in Freiburg wäre sehr teuer.“ Beide sind sehr zufrieden, wie das Studium sich bislang für sie gestaltet.

Dies gilt auch für Kai Würtenberger (22) aus Bannholz, der seine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann abgeschlossen hat. Der Abiturient ergriff die Chance der BWL-Studienmöglichkeit und verzichtete darauf, nach der Ausbildung erst einmal zu reisen: „Ich dachte mir, wenn das Studium nicht funktioniert, habe ich zumindest einen sicheren Arbeitsplatz.“

Berufstätigkeit und Studium in der Heimat: Der ausgebildete Groß- und Außenhandelskaufmann und BWL-Student Kai Würtenberger (22) aus ...
Berufstätigkeit und Studium in der Heimat: Der ausgebildete Groß- und Außenhandelskaufmann und BWL-Student Kai Würtenberger (22) aus Bannholz ist Mitarbeiter der Firma Kessler Präzisionswerkzeuge in Häusern. | Bild: Ursula Freudig

Kai Würtenberger hat bei der Firma Kessler Präzisionswerkzeuge in Häusern gelernt und arbeitet dort während seines BWL-Studiums weiterhin Vollzeit. Die Betriebe sind in den Studiengang einbezogen. Studierende und ihre Arbeitgeber regeln die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses während des Studiums individuell in einem Vertrag. Außerdem wird in dem Vertrag ein firmenrelevantes Thema festgelegt, das der Studierende im Rahmen der Studieninhalte erarbeitet. „Wir übernehmen für Kai die Studiengebühren, er bleibt uns die vereinbarten Jahre und hoffentlich noch viel länger erhalten und er hilft uns im Rahmen seines Themas bei der Umstellung auf ein papierloses Büro, so profitieren beide Seiten“, umreißt Geschäftsführer Armin Kessler die Vereinbarung.

"Wir übernehmen für Kai die Studiengebühren, er bleibt uns die vereinbarten Jahre und hoffentlich noch viel länger erhalten und er hilft ...
"Wir übernehmen für Kai die Studiengebühren, er bleibt uns die vereinbarten Jahre und hoffentlich noch viel länger erhalten und er hilft uns im Rahmen seines Themas bei der Umstellung auf ein papierloses Büro, so profitieren beide Seiten." Armin Kessler, Geschäftsführer Kessler Präzisionswerkzeuge Häusern. | Bild: Ursula Freudig

Die Verantwortlichen in den Schulen begrüßen die neuen Bildungsangebote ebenfalls. Sie heben die persönliche Ebene der Fernstudiengänge hervor. „Ein großer Vorteil ist der persönliche Kontakt der Studierenden zu den Lehrenden, er ist enger als an einer Hochschule“, so Thomas Gehr, Leiter der Justus-von-Liebig Schule. Im Falle des BWL-Studiums, wird auch der Nutzen für die Unternehmen gesehen. „Das BWL-Studium ist ein wichtiges Weiterqualifizierungsangebot und eröffnet den Betrieben die Möglichkeit, Mitarbeiter zu binden und zu entwickeln“, so Norbert Lüttin, stellvertretender Schulleiter Kaufmännische Schule. Rainer Reisgies, bei der IHK Hochrhein-Bodensee für die Aus- und Weiterbildung zuständig, nennt den Studiengang an der Kaufmännischen Schule ein neues Flaggschiff der dualen Ausbildung mit der Chance, Leute in der Region zu halten.

"Das BWL-Studium ist ein wichtiges Weiterqualifizierungsangebot und eröffnet den Betrieben die Möglichkeit, Mitarbeiter zu binden und zu ...
"Das BWL-Studium ist ein wichtiges Weiterqualifizierungsangebot und eröffnet den Betrieben die Möglichkeit, Mitarbeiter zu binden und zu entwickeln."Norbert Lüttin, stellvertretender Schulleiter Kaufmännische Schule Waldshut und Abteilungsleiter Kaufmännische Berufsschule. | Bild: Ursula Freudig

Studienzentrum Landkreis Waldshut

Bachelor of Arts Sozialpädagogik & Management an der Justus-von-Liebig-Schule in Waldshut: Voraussetzung Abitur oder Fachhochschulreife, die während der Ausbildung erworben werden kann. Studiengebühren monatlich 185 Euro über vier Jahre (integrativer Studiengang parallel zur Erzieher-Ausbildung), 285 Euro über zwei Jahre (konsekutiver Studiengang nach der Ausbildung) zuzüglich 150 Euro für das Aufnahmeverfahren (Bewerbung und Auswahltests) und 500 Euro für die Bachelorarbeit. Weitere Infos: www.jls-bachelor.de

Bachelor of Arts Business Administration (BWL) an der Kaufmännischen Schule Waldshut: Erforderlich sind Abitur oder Fachhochschulreife mit zweijähriger Berufserfahrung oder Mittlere Reife mit mindestens zwei-jähriger Berufsausbildung und drei-jähriger Berufserfahrung, Englisch-Kenntnisse, Ausbildungsvertrag oder abgeschlossene kaufmännische Ausbildung, bestandene Eignungsprüfung. Studiengebühren monatlich 210 Euro (42 Monatsraten) für Schüler der beruflichen Schulen des Landkreises Waldshut, für alle anderen monatlich 305 Euro (36 Monatsraten). Zusätzlich Einschreibegebühr von 540 Euro und Aufwendungen für auswärtige Seminare und die Studienreise (Teilnahme freiwillig). Weitere Infos: www.ks-wt.de

"Eine sehr gute Resonanz"

Landrat Martin Kistler spricht über die Entstehung der beiden Studiengänge und erklärt, wie der Landkreis Waldshut davon profitiert.

"Ich hätte mir gewünscht, die Bewerbungen gleich öffentlich zu machen." Martin Kistler, Landrat, über die bisher noch unbekannten ...
"Ich hätte mir gewünscht, die Bewerbungen gleich öffentlich zu machen." Martin Kistler, Landrat, über die bisher noch unbekannten Standortbewerbungen für das Zentralspital | Bild: Stefan Pichler

Herr Kistler, 26 Einschreibungen bei „Sozialpädagogik & Management“ und 13 für „Business Administration“. Wie bewerten Sie diese Zahlen?

39 Studierende sind eine sehr gute Resonanz, drei davon sind sogar aus einem anderen Landkreis. Es zeigt, dass wir auf die richtigen Studienangebote gesetzt haben. Die Studierenden haben vor allem die berufsbegleitende Variante gewählt, das heißt, sie möchten sich nach einer abgeschlossenen Ausbildung zur Erzieherin oder in einem kaufmännischen Beruf und einer gewissen Zeit der Berufstätigkeit weiter qualifizieren und einen staatlich anerkannten Bachelorabschluss erwerben.

Wir gehen davon aus, dass sich im kommenden Jahr wieder 30 bis 40 für die beiden Studiengänge einschreiben werden und das Angebot in den kommenden Jahren noch mehr über den Landkreis Waldshut hinaus strahlen wird.

Der Landkreis tritt bei den beiden Studiengängen als Studienzentrum Waldshut auf, was heißt das konkret?

Die Studiengänge basieren auf Kooperationsvereinbarungen des Landkreises mit der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld und der Steinbeis-Hochschule Berlin. Die Studierenden sind an den beiden staatlich anerkannten, aber privat organisierten Hochschulen immatrikuliert. Der Landkreis stellt den organisatorischen Rahmen und die Räumlichkeiten in Waldshut in den landkreiseigenen Schulen Justus-von-Liebig und Kaufmännische Schule zur Verfügung. Durch die umfangreiche Begleitung und Betreuung durch Dozenten in Seminaren und Vorlesungen hier vor Ort und einen großen Praxis- und Projektbezug unterscheiden sich diese Studienangebote ganz wesentlich von herkömmlichen Fernstudiengängen. Da das Land nicht Träger dieser Studienangebote ist, schließt der Landkreis teilweise mit den Dozenten Honorarverträge ab, teilweise werden die Dozenten auch durch die Hochschulen bereitgestellt. Als Kostenbeitrag hierzu entrichten die Studierenden Studiengebühren, die zum überwiegenden Teil an die beiden Hochschulen gehen, einen kleineren Teil erhält der Landkreis für die Finanzierung der durch ihn zu tragenden Kosten.

Wir gehen aber davon aus, dass sich zukünftig diese Studienangebote durch die Studiengebühren überwiegend selbst finanzieren werden.

Sehen Sie die Angebote zum Studieren auch als Maßnahme, um qualifizierte Fachkräfte in der Region zu halten?

Sicher ist der Gedanke „wer nicht weggeht, muss nicht zurückkommen“ ein Aspekt für die Einführung dieser Studiengänge. Die Wahrscheinlichkeit, dass Studierende, die hier familiär, in Beruf und Vereinen verwurzelt sind, nach ihrem Studienabschluss im Kreis verbleiben, ist groß. Darüber hinaus machen die Studienangebote den Landkreis für Bürger und Fachkräfte, die hierher kommen möchten, attraktiver.

Die beiden Fernstudiengänge sind Alternativlösungen, weil es nicht geklappt hat, eine Fachhochschule in Waldshut zu etablieren, richtig?

Der Landkreis Waldshut besitzt besondere Stärken als Standort der dualen beruflichen Ausbildung, ein Defizit besteht aber im Bereich der akademischen Ausbildung. Entsprechende Bemühungen des Kreistages und der Landräte fanden aber leider keine Unterstützung auf Landesebene, auch nicht für den Ansatz, eine Außenstelle einer bestehenden Fachhochschule hierher zu holen. Das Land sieht leider keinen Bedarf für eine weitere Hochschule und verweist auf bestehende Studienangebote in Lörrach, Freiburg, Furtwangen, Villingen-Schwenningen und Konstanz.

Wie geht es weiter?

Wir beabsichtigen, bei einer nachhaltigen Etablierung der beiden Studiengänge das Angebot zu erweitern. Ich kann mir eine weitere Kooperation beispielsweise mit einer technischen Fachhochschule sehr gut vorstellen. Daneben sind wir weiterhin im Dialog mit dem Land, um bei einer sich ergebenden Gelegenheit eine Fachhochschule hier im Landkreis einrichten zu können. Allgemein wollen wir unsere vorhandenen Schul- und Ausbildungsangebote stärken und erweitern. Der Landkreis richtet derzeit eine neue Berufsschule für Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik ein, die im Herbst kommenden Jahres rund 135 Auszubildende beschulen soll. Zusätzlich haben wir im Oktober 2017 die Einrichtung eines Berufskollegs für Pharmazeutisch-technische Assistenten/Assistentinnen an der Justus-von-Liebig-Schule Waldshut beschlossen und einen entsprechenden Antrag gestellt. Hier stehen wir jedoch im Wettbewerb mit dem Landkreis Lörrach, der ein solches Berufskolleg auch an seiner Gewerbeschule in Rheinfelden einrichten möchte. (ufr)