Es ist ein markanter Bau, der ins Auge sticht, sobald man die Waldshuter Altstadt durch das Obere Tor verlässt: das Kornhaus. Seit seiner Fertigstellung 1864 war es nur für kurze Zeit Getreide-Speicher. Ab 1880 beherbergte das Gebäude die höhere Bürgerschule, später das Hochrhein-Gymnasium und von 1963 bis 1967 sogar eine Produktions-Stätte der Textil-Firma Schiesser. Mit einem großen Saal für Musik- und Theater-Aufführungen war das Haus schon im 19. Jahrhundert so eine Art „Stadthalle“. 100 Jahre später war es mit der einstigen Pracht vorbei. Das Kornhaus war ein maroder Kasten, in den die Stadt keinen Pfennig mehr zu investieren bereit war. Es begann ein langer Streit um die Frage: abreißen oder erhalten?
Maroder Bauzustand
1972 hatte der Gemeinderat den Abriss beschlossen. Während die „Altstadt-Sanierung Nord“ zu Beginn der 1980er-Jahre besiegelt wurde, gammelte das Kornhaus vor sich hin. Das Dach war löchrig, der Verputz bröckelte großflächig, und vielfach wurden nicht einmal kaputte Fensterscheiben ersetzt.
Günter Heinrich (83) war von 1980 bis 2014 für die SPD im Gemeinderat und erinnert sich noch gut an die damaligen Debatten. „1979 hatte der CDU vorgeschwebt, direkt hinter dem Kornhaus ein offenes Parkhaus als reine Stahlkonstruktion zu realisieren. Dagegen hat die SPD eine Unterschriften-Aktion gestartet – mit riesiger Resonanz!“

SPD gespalten
Heinrich räumt ein, dass er damals noch gar nicht für den Erhalt des Kornhauses gewesen ist. Vielmehr habe seiner Partei eine Überplanung des gesamten Areals an der Bogenstraße bis zur Brücken-Auffahrt vorgeschwebt, was durchaus auch auf den Abriss des Kornhauses hätte hinauslaufen können. „Auch innerhalb der SPD gab es etliche – mich eingeschlossen – die nichts gegen den Kornhaus-Abriss hatten. Was wir aber nicht wollten, war ein Abriss, ohne dass klar war, was dort neu gebaut werden soll.“
Hotel-Träume
Der damalige Oberbürgermeister Franz Josef Dresen habe von einem Hotel-Projekt anstelle des Kornhauses geträumt. „Aber SPD, FWV und auch Teile der CDU waren der Ansicht, dass die die Altstadt-Sanierung als Aufgabe groß genug war. Deshalb hat man das Kornhaus-Areal erst einmal ruhen lassen“, so Heinrich.
Im März 1985 kam das Kornhaus dann wieder auf die Tagesordnung des Gemeinderates. Das Gebäude beherbergte damals mehrere Vereine, darunter die Stadtmusik, Alt-Waldshut, die Pfadfinder, den Modell-Eisenbahn-Club sowie den Chor „Frohsinn“.
Erster Schritt zum Erhalt
Es ging um 60.000 Mark, die im städtischen Haushalt für Reparaturen eingestellt werden sollten und einen Architekten-Wettbewerb zur Überplanung des gesamten Kornhaus-Areals. Im Fokus stand die Schaffung vor Parkplätzen. „Mit Ausnahme der Grünen hat sich damals keine Partei grundsätzlich gegen den Abriss des Kornhauses ausgesprochen“, so die Erinnerung von Günter Heinrich. Die Freien Wähler hatten 1984 in ihr Wahlprogramm geschrieben, das Kornhaus erhalten zu wollen, sofern die Kosten der Sanierung jene eines Neubaus nicht übersteigen sollten.
Grünes Licht für Parkhaus
Die schließlich am 25. März 1985 bewilligten 60.000 Mark für einfache Reparaturen am Kornhaus waren nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die CDU-Mehrheit im Gemeinderat sah den Bau eines Parkhauses auf dem Kornhaus-Platz für absolut dringlich. Der Neubau wurde aber schließlich an die Nordost-Ecke des Areals verschoben, wo bis dahin das Bahnhof-Hotel und die alte Turnhalle gestanden hatten.

1,1 Millionen Mark für Erhalt
Es dauerte dann noch einmal neuen Jahre, bis erstmals richtig Geld, nämlich etappenweise insgesamt 1,1 Millionen Mark in die Erhaltung des Kornhauses investiert wurden. In allen Parteien – vorne weg die CDU – hatte sich ein Meinungswandel vollzogen, wonach „der alte Kasten“ wenigstens für die Dauer von zehn Jahren als Domizil für Vereine und kulturelle Gruppen erhalten werden sollte. 1994 hat der Gemeinderat offiziell den Abriss-Beschluss von 1972 aufgehoben. „Wir können froh sein, dass das Kornhaus stehen geblieben ist, denn damals wie heute ist es für Vereine wie die Stadtmusik, den Tanzsportclub und den BUND unverzichtbar“, sagt Günter Heinrich im Rückblick auf die Jahrzehnte lange Kontroverse im Gemeinderat.
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Günter Heinrich hat auch gute Erinnerungen an die eigene Pennäler-Zeit im Kornhaus. Das Waldshuter Gymnasium war dort bis 1958 untergebracht. „Ich war beim letzten Abitur-Jahrgang dabei und kann sogar sagen, dass ich als letzter Abiturient das Kornhaus verlassen habe“, erzählt Günter Heinrich. Er habe damals so viele mündliche Prüfungen durchstehen müssen, dass er als Letzter von der Prüfungs-Komission entlassen worden sei. „Meine Schulfreunde haben da schon lange feixend in der Bismarckstraße auf mich gewartet...“
Das Kornhaus war nach Ansicht des Kunsthistorikers Jakob Wörner von Anfang an nicht nur als Getreide-Speicher geplant, sondern sollte mit dem „großen Saal“ auch repräsentative Aufgaben erfüllen. So war es bis in die 1960er-Jahre Schauplatz von Konzerten und Theateraufführungen
Aufgrund der wesentlich kürzeren Transportzeiten von Getreide auf dem florierenden Schienenweg war ein Großteil der Lagerflächen im Kornhaus schon kurz nach der Fertigstellung des Baus 1863 überflüssig geworden. So wird das Gebäude ab 1880 das Domizil der „höheren Bürgerschule“. Dort wurden ab 1901 auch Mädchen unterrichtet. 1906 erfolgte die Umstrukturierung in ein „Realprogymnasium mit Realschule“. Daraus wurde schließlich das Hochrhein-Gymnasium mit einem Einzugsbereich von Bad Säckingen bis nach Weizen. 1958 erfolgte dann der Umzug des Gymnasiums vom Kornhaus in den Neubau am heutigen Standort in der von-Kilian-Straße.