Eine Herkulesaufgabe ist erledigt: Die Aufnahmen aus dem Dialektlexikon „Wäärerdütsch – Mundart in Wehr“ von Bruno Schäuble sind „im Kasten“. Eine Heidenarbeit liegt hinter den Mundartsprechern um den Regionalhistoriker und ehemaligen Kulturamtsleiter Reinhard Valenta und seinen Projektpartner Günter Kramer. An zehn Aufnahmetagen zwischen Juli und Oktober haben sie Tausende Wörter und Hunderte Sprüche und Redewendungen ins Mikrofon gesprochen. Ging es doch darum, mit der Aktion „Rettet das Wäärerdütsch!“ ein ambitioniertes Mammutprojekt der Volkshochschule zur Bewahrung der Wehrer Mundart zu realisieren. Jetzt sind die Sprachdateien des authentischen Tonmaterials gespeichert. Das Buch wurde komplett eingelesen, mit allen Wörtern, wie sie der Wehrer Arzt und Wörtersammler Bruno Schäuble aufgeschrieben hat, von Seite 1 bis Seite 160: Die Sprecher folgen dem Wörterbuch des Dialektforschers von A bis Z.

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Schäuble hat die gängigen alemannischen Ausdrücke gesammelt, aufgeschrieben und in einem Zettelkasten aufbewahrt: eine bunte Mischung aus Sprichwörtern, Bauernweisheiten, Gedichten, Liedern, Wetterregeln, Kinder- und Erwachsenensprüchen. Als das Buch 2002 herauskam, schrieb der Mundartdichter Markus Manfred Jung in seinem Vorwort begeistert, dass hier akribisch und wissenschaftlich fundiert ein Sprachschatz zusammengetragen wurde, „dessen Wert auch ins angrenzende Hotzenwald-, Wiesental- und Hochrheingebiet, ja bis ins Markgräfler Kernland strahlen dürfte“.

Der verstorbene Arzt und Mundartforscher Bruno Schäuble.
Der verstorbene Arzt und Mundartforscher Bruno Schäuble. | Bild: privat

Nach dem Tod Schäubles im Juli 2020 fiel das längst vergriffene Lexikon Reinhard Valenta wieder in die Hände und er erkannte die Einzigartigkeit dieses Wäärerdütsch-Vokabulars. Bald war die Idee geboren, dieses gedruckte Wörterbuch zu „vertonen“ und im urtypischen Sprachklang für kommende Generationen zu konservieren. Der Aufruf an die Wehrer Bevölkerung über die Volkshochschule Anfang 2021 fand gewaltige Resonanz. An der Produktion des Hörbuchs wollten sich fast 40 Wehrer beteiligen.

Altersmäßig reichte die Teilnehmergruppe von der jüngsten, 21-jährigen Sprecherin Lorena Brigante bis zur ältesten, Johanna Sickinger, mit 91 Lenzen. Auf die „aktiven Multiplikatoren unserer Idee“ (Valenta) wurden die einzelnen Sachgebiete verteilt, so dass alle „einen ähnlichen Happen“ zu sprechen hatten: Die einen nahmen sich die Bauernsprüche und spaßigen Redewendungen vor, die anderen den Vokabelteil und die Buchstaben des Alphabets.

Sprecher bei den Tonaufnahmen des Wehrer Mundartwörterbuchs (von links): die jüngste Teilnehmerin Lorena Brigante (21).
Sprecher bei den Tonaufnahmen des Wehrer Mundartwörterbuchs (von links): die jüngste Teilnehmerin Lorena Brigante (21). | Bild: Jürgen Scharf
Die älteste Sprecherin Johanna Sickinger (91).
Die älteste Sprecherin Johanna Sickinger (91). | Bild: Jürgen Scharf

Die Sammlung der Sprüche haben erfahrene Dialektsprecher, unter ihnen Paul Erhart, Astrid Müller, Charly Senn, Veronika Matt und Bruno Griener, übernommen – alles engagierte Volksschauspieler, die zum Teil in der VHS-Theatergruppe oder bei den Freilichtspielen im Klausenhof in Herrischried Theater gespielt haben.

Astrid Müller
Astrid Müller | Bild: Jürgen Scharf
Sprecherin Andrea Marte
Sprecherin Andrea Marte | Bild: Picasa
Charly Senn
Charly Senn | Bild: Jürgen Scharf

„Die Sprüche sind das Spannendere, da kommt es darauf an, dass sie betont werden, weil sie oft humoristisch oder auch mal derb klingen und Lebensweisheiten beinhalten. Da sind auch ganz deftige Sachen dabei, nicht ganz stubenrein, so wie das Volk früher in der Kneipe gesprochen hat“, erzählt Valenta von den lebendigen Aufnahmesitzungen. Den beiden Projektleitern war es wichtig, versierte und authentische Sprecher zu haben, die schon auf Bühnen standen und den Wehrer Dialekt mit gewissem Ausdruck sprechen können. Wenn Charly Senn „O, du lieber Augustin“ singt, kommt ein Genussfaktor und eine schauspielerische Komponente hinein, ebenso, wenn Astrid Müller einen erotischen Schellsprechvers vorträgt.

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Mitgemacht haben „ganz normale Menschen wie du und ich“, wie es Valenta ausdrückt, vom Rentner über den Beamten, Fabrikarbeiter und Handwerker bis hin zum Unternehmer, quer durch das Bevölkerungsspektrum und die Berufe. Einziges Kriterium war, dass die Teilnehmer noch originales „Wäärerdütsch“ reden. Während Reinhard Valenta hinterm digitalen Aufnahmegerät saß, war die Aufgabe von Günter Kramer, die Regie zu besorgen und mit den Beteiligten an der Aussprache, dem Klang und dem Sprechrhythmus zu feilen. Als intimem Kenner der Wehrer Mundart, der in seiner Zeit als Fasnächtler so manchen Zunftabend mit Sketchen in „Wäärerdütsch“ bereicherte, oblag es Kramer, die Sprecher zu „coachen“, jeden Einzelnen zu ermuntern und einzuweisen, die Wörter so auszusprechen, wie man sich aktuell zu Hause in Wehrer Alemannisch unterhält.

Führte Regie bei den Aufnahmen der Mundartsprecher Günter Kramer.
Führte Regie bei den Aufnahmen der Mundartsprecher Günter Kramer. | Bild: Jürgen Scharf

Wie sich bei den Aufnahmen zeigte, klingt manches bei den Älteren uriger, drastischer und pointierter, während es bei den Jüngeren „abgeschliffener“ wirkt. Die Generation von Johanna Sickinger, die in den 1930er Jahren das „Wäärerdütsch“ gelernt hat, gehört hörbar zu einer viel älteren Sprachschicht. Auch unterschiedliche Aussprachen und lokale Unterschiede machen sich bemerkbar. Bewohner aus verschiedenen Ortsteilen sprechen dieselben Wörter anders aus, mit anderer Betonung, anderem Sound, anderem Akzent, anderer Melodik: Die Sprachmelodien variieren. Bei den Jüngeren taucht oft das Problem auf, dass sie manche Begriffe nicht mehr kennen, weil diese aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind oder in den Familien nicht mehr so intensiv Dialekt gepflegt wird wie früher. In diesem Fall hat Kramer die alten Ausdrücke vorgesprochen und die Mundartsprecher haben es nachgesprochen.

Cover des Dialekt-Wörterbuchs „Wäärerdütsch“.
Cover des Dialekt-Wörterbuchs „Wäärerdütsch“. | Bild: Jürgen Scharf

So ist aus dem Geflecht von Frauen- und Männerstimmen, jüngeren und älteren Stimmen eine echte Vielstimmigkeit entstanden, obwohl es ein und derselbe Wörter- und Sprüchebestand war. Die Schreibweise der alemannische Worte ist die eine Seite, das Phonetische die andere. Und wenn es ins Detail geht, wie bei den originellen Spruchweisheiten, ist mancher Ausdruck für einen Nicht-Wehrer schon „Fremdsprache“.

Wie soll es jetzt weitergehen, nachdem die akustische Dokumentation auf Tonträger abgeschlossen ist? Vorgesehen ist, aus dem Tonmaterial ein Hörbuch zu produzieren. Da es sich aber bei „Wäärerdütsch“ um ein Vokabular handelt, soll in einem weiteren Schritt das ganze Wörterbuch mit der hochdeutschen Übersetzung noch als E-Book herauskommen. Dann, so der Gedanke, ließe sich am Computer das Hörbuch anhören und gleichzeitig das E-Book lesen. Somit könnten auch „Hochdeutsche“ einen Zugang zum Wehrer Dialekt finden. Valenta ist sich indessen bewusst, dass sich eher Leute dafür interessieren werden, die mit Mundart zu tun haben, historisch und kulturell, etwa von der Muettersproch-Gsellschaft, aber „Südbadener, Alemannen, die Dialekt aus unserer Region sprechen, können das auf alle Fälle genießen“.

Die Tonaufnahmen werden dem Alemannischen Institut in Freiburg und dem Deutschen Sprachatlas in Marburg zur Verfügung gestellt, damit sie dort archiviert werden und der Sprachbestand der Wehrer Mundart gesichert ist. Auf diese Art wird das Lebenswerk von Bruno Schäuble ein Stück weiterleben. Die bemerkenswerte Initiative „Rettet das Wäärerdütsch!“ wird Reinhard Valenta in einem Beitrag für die nächste Ausgabe des Waldshuter Kreisjahrbuchs, die diesmal ganz im Zeichen der Mundart steht, als „wirklich einzigartiges Projekt“ vorstellen.