Die Wände von Waldshut klingen im Widerhall der Gelten. Tak tak tata tak schlägt es Holz auf Holz. Die Geltentrommler wandern durch die Stadt und wecken ihre Bewohner. Es ist fünf Uhr morgens, noch dunkel und es nieselt. Das Wasser sickert in die Holzgelten. Sie müssen ohnehin feucht bleiben, damit sie sich nicht verziehen. Die Trommler haben die Waschzuber umgeschnallt und schlagen mit Klöppeln auf ihren Boden. Es sind dumpfe Schläge, die wuchtig den Schmutzigen Dunschtig einläuten.

So klingen die Geltentrommler beim Stadtwecken Video: Peters, Rasmus

Mit diesem Tag beginnt die Revolution der Narren. Mit bunten Kostümen, Girlanden und Musik werden Grenzen überwunden und die Welt auf den Kopf gestellt. Ganz diesem Grundsatz entsprechend, beginnt meine erste Fasnacht in Waldshut im Häs des Zunftmeisters Stephan Vatter. Er ist dieses Jahr in Personalunion Narro und hat seine eigentliche Ausrüstung verliehen: ein langes weißes Nachthemd, hohe weiße Strümpfe, eine weiße Mütze, weiße Handschuhe und ein rotes Halstuch. Es ist ein klassisches Glunki-Kostüm – das durch den hölzernen Zuber zum Umhängen abgerundet wird. Nach einer kurzen Nacht geht es auf die Gass, wie es heißt, um mit dem ungewöhnlichen Utensil die Nacht zum Tag zu machen.

Ein Exil-Alemanne in der Heimat

Walerian Krawczyk ist an diesem Morgen nicht ganz so laut. Er hat sich spontan entschieden aus Freiburg nach Waldshut zu fahren, um mit den Narren durch die Gassen zu ziehen. Doch, um den Anforderungen Genüge zu tun, weil er auf die Schnelle keine Gelte auftreiben konnte, schnallt er sich einen Karton um und bearbeitet ihn mit einem Teppichklopfer – flock flock floflo flock, geht er im hölzernen Klöppelschlagen fast unter.

Walerian Krawzcyk ist eigens aus Freiburg nach Waldshut gefahren, um beim Stadtwecken dabei zu sein.
Walerian Krawzcyk ist eigens aus Freiburg nach Waldshut gefahren, um beim Stadtwecken dabei zu sein. | Bild: Peters, Rasmus

Fasnacht begleitet ihn schon sein ganzes Leben. „Entweder man lernt es früh oder gar nicht“, sagt er. Der Narrensamen will gesät sein. Beim 42-jährigen Krawczyk kommt er zur vollen Blüte. Er ist in Frankreich aufgewachsen, doch seine Mutter, aus Singen stammend, hat ihn jedes Jahr an eine andere Hochburgen der schwäbisch-alemannischen Fasnacht geschleppt. Als Kind und Exil-Alemanne kam er an die Fasnacht in Singen, Villingen, Gengenbach, Hausach, Haslach zählt er auf. In Waldshut ist er heute zum ersten Mal.

Die Narro-Zunft zieht früh morgens lärmend durch die Straßen von Waldshut und läutet auf diese Weise die närrische Zeit ein.
Die Narro-Zunft zieht früh morgens lärmend durch die Straßen von Waldshut und läutet auf diese Weise die närrische Zeit ein. | Bild: Peters, Rasmus

Er ist auf Anhieb begeistert: „Das Wecken hat etwas Magisches – es ist so urig. Die Fasnachtsfiguren übernehmen das Wecken und nicht die Technik“, sagt er. Auch wenn die Fasnacht im schwäbisch-alemannischen Raum im Detail unterschiedlich begangen werde, gebe es wegen der Narrenmärsche und der wiederkehrenden Bräuche doch einen festen Rahmen, und so könne die Fasnacht an jedem Ort eine Heimat werden. „Sobald er Bezug zur Fasnacht hat, kann er, egal ob reich oder arm, Teil der Fasnacht sein“, meint der Karton-Trommler. Nur auf Hochdeutsch könne es nur schwerlich Fasnacht sein, denn es sei eine letzte Bastion der alemannischen Sprache.

Warum Fasnacht?

Aber warum überhaupt Fasnacht feiern? Wo liegt die anhaltende Faszination? Andreas Laubis antwortet darauf: „Man schafft dadurch die Zusammenkunft der Menschen. Es wird die Tradition und damit das Vermächtnis der Stadt gewahrt. Für mich ist das Heimat.“

„Man schafft dadurch die Zusammenkunft der Menschen. Es wird die Tradition und damit das Vermächtnis der Stadt gewahrt. Für mich ...
„Man schafft dadurch die Zusammenkunft der Menschen. Es wird die Tradition und damit das Vermächtnis der Stadt gewahrt. Für mich ist das Heimat“, meint Andreas Laubis, Vorstand der Junggesellenschaft Waldshut und Mitglied der Narro-Zunft. | Bild: Peters, Rasmus

Zunftmeister Stephan Vatter erweitert um eine politische Dimension: „Wir entmachten die Politiker, damit die Bürger frei sein, sich verkleiden können. Sie genießen ihre Narrenfreiheit, in der sind alle gleich.“ Der Umsturz in die Gleichstellung wird auch alsbald umgesetzt – zweimal: Erst wird das Landratsamt befreit, anschließend das Rathaus besetzt.

Den Alltag hinter sich lassen

Für die fünfte Jahreszeit legen die Narren den Alltag hinter sich: Krawczyk ist studierter Ingenieur, Stephan Vatter Architekt und Andreas Laubis steht kurz vor seinem Abschluss seiner Ausbildung zum Rettungssanitäter. Aber bis Fasnacht sind sie alle Narren, denn dann geht es ums Gemeinsame, um Zusammenhalt.

Das ideale Vehikel sind die Mehlmasken. Die so einfache wie kostengünstige Maskerade soll unabhängig vom Einkommen jedem gleichermaßen die Teilnahme an der Fasnacht ermöglichen. Ursprünglich wurde dafür Tierfett verwendet, erklärt Zunftmeister Vatter, denn Holzmasken seien aufwendig herzustellen und deshalb teuer.

Anstelle des Fetts ist heute handelsübliche Haushaltscreme Haftgrund für das Mehl. Anschließend heißt es buchstäblich „Augen zu und durch“: das Gesicht über eine mehlgefüllte Schüssel halten, kräftig hineinpusten und hoffen, dass das Ergebnis überzeugt.

Zunft-Vorstand Norbert Wassmer mit frisch mehliertem Gesicht
Zunft-Vorstand Norbert Wassmer mit frisch mehliertem Gesicht | Bild: Rasmus Peters

Stück für Stück erobern die Narren die Stadt mit ihrer Freude. Im Rathaus verlangt die Narrengesellschaft nach dem Schlüssel. Das Landratsamt empfängt sie in der bereits angemessen geschmückten Kantine. Die bunte Welt der Narren breitet sich aus.

Die Stadtverwaltung Waldshut erledigt den Papierkram Video: Peters, Rasmus

Närrischer Besuch in der Redaktion

Als die schelmische Narretei nach dem Kinderumzug auch noch die Redaktion des SÜDKURIER in der Bismarckstraße heimsucht, ergibt sich auch hier ein Umsturz. Tobias Bartelmess, Gardist und Säckelmeister der Narro-Zunft, greift nach dem Telefonhörer und schickt die Mitarbeiter reihenweise in den Feierabend.

Tobias Bartelmess, Gardist und Säckelmeister der Narro-Zunft, als Übergangtelefonist und SÜDKURIER-Redakteurin Melanie Völk
Tobias Bartelmess, Gardist und Säckelmeister der Narro-Zunft, als Übergangtelefonist und SÜDKURIER-Redakteurin Melanie Völk | Bild: Rasmus Peters

Doch die müssen noch über den närrischen Spaß berichten, sodass am Ende die Verknüpfung aus Alltag und närrischer Machtergreifung stellvertretend für einen turbulenten Tag in der Waldshuter Fasnacht steht. Denn das habe ich gelernt: Die begeht man zusammen. So war auch ich als Fasnachtsanfänger am Ende einer unter Vielen. In diesem Sinne: Narri Narro!

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