Die aktuellen Anmeldezahlen für die weiterführenden Schulen im Land wurden mit Spannung erwartet – wegen des erneut neunjährigen Gymnasiums (G9) und der wiedereingeführten verbindlichen Grundschulempfehlung. Jetzt sind die Zahlen raus. Und anders als erwartet, gehen sie für die Gymnasien wohl zurück, auch im Kreis Waldshut. Ist die Zahl der Neuanmeldungen an den Gymnasien aus dem Bezirk Waldshut, also für die drei staatlichen Gymnasien in Waldshut-Tiengen und Bad Säckingen ohne das Kolleg St. Blasien, doch auf 325 gefallen. Fürs Schuljahr 2024/2025 waren es noch 355.
30 weniger also für drei große Schulen – klingt erst einmal wenig dramatisch. Wie lassen sie sich deuten? Ist womöglich auch die Gesamtzahl der Grundschulabgänger gesunken? Sind es lediglich statistische Ausreißer? Fakt ist: Im Herbst wechseln mit Stand heute 325 Viertklässlerinnen und Viertklässler so wenig wie schon seit fünf Jahren nicht mehr aufs Gymnasium. Fürs Schuljahr 2022/2023 etwa hatte die Zahl der Anmeldungen im Kreis Waldshut noch bei 385 gelegen.
13 Prozent weniger Gymnasiasten
Und regional zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab: 63 Viertklässler werden laut Badischer Zeitung im Herbst aufs Georg-Büchner-Gymnasium in Rheinfelden wechseln. Auch dort der Einbruch: Seien doch in den Vorjahren 80 bis 90 Anmeldungen üblich gewesen, wie Schulleiter Volker Habermaier zitiert wird. Für Freiburg das gleiche Bild: Waren es dort laut Badischer Zeitung für 2024/2025 1016 Anmeldungen, brachen sie aktuell auf 883 ein – 13 Prozent weniger.

Wo gehen die hin, die nicht aufs Gymnasium wechseln? Auf Real-, Werkreal-, Gemeinschafts- und Gesamtschulen? Können diese jetzt höhere Anmeldezahlen verzeichnen?
Sowohl als auch. Den Zahlen des Staatlichen Schulamts Lörrach gemäß zählen vor allem die Gemeinschaftsschulen (GMS) zu den Gewinnern. Sind doch die GMS-Anmeldezahlen für die Kreise Waldshut und Lörrach auf 881 angestiegen, gegenüber 738 ein Jahr zuvor eine Steigerung um fast 20 Prozent und nur auf den Kreis Waldshut bezogen gar um 27 Prozent. Nicht profitieren können demnach Real- und Werkrealschulen. Sind doch die Anmeldezahlen für beide von 2024 auf 2025 rückläufig.
Die Rückgänge für die Gymnasien könnten mit der Grundschulempfehlung zusammenhängen, die für den Viertklässler-Jahrgang 2024/25 erstmals wieder verbindlich ist. Diese Empfehlung gab es zuvor auch, sie war aber eben unverbindlich. Das heißt, auch wenn die Grundschule der Ansicht war, ein Kind sei nicht geeignet fürs Gymnasium, konnten sich Eltern darüber hinwegsetzen und es dennoch dafür anmelden.

Mindestens 2,5 fürs Gymnasium
Jetzt muss dafür aber der Notendurchschnitt in den Fächern Deutsch und Mathematik gut genug sein – fürs Gymnasium mindestens 2,5, für die Realschule mindestens 3,0. Doch auch bei einem schlechteren Schnitt als 2,5 konnte die Gymnasialempfehlung erreicht werden – durch ein ausreichend gutes Ergebnis bei „Kompass 4“, dem landeseinheitlichen Leistungstest für Mathematik und Deutsch, den alle Viertklässler im November 2024 absolvierten, oder durch Ablegung des sogenannten Potenzialtests.
Doch die „Kompass 4“-Ergebnisse sollen verheerend gewesen sein, vor allem in Mathe. Selbst in diesem Fach gute bis sehr gute Schülerinnen und Schüler sollen den Aufgaben nicht gewachsen gewesen sein. 86 Prozent der Viertklässler erreichten demnach in Mathe nur eine Empfehlung für das Niveau G, was für „grundlegend“ steht und als Schulform Werkreal- oder Gemeinschaftsschule bedeutet.
Auch an der Hans-Thoma-Grundschule in Tiengen machte man diese Erfahrung. „Auch gute Schüler haben darin schlecht abgeschnitten“, sagt Rektor Henning Zillessen. Aber „Kompass 4“ sei ja nur ein Baustein, der gar nicht relevant wird, wenn für die Gymnasialempfehlung schon der Notenschnitt zugrunde gelegt werden kann. Auch am Potenzialtest habe an der Hans-Thoma-Schule kein Viertklässler teilgenommen, so Zillessen.
Bisher ist die Grundschulempfehlung unverbindlich gewesen. Dennoch hätten sich laut Zillessen die allermeisten Eltern auch so darangehalten. Sie haben sich also in aller Regel nicht darüber hinweggesetzt und sind dem Rat der Grundschule für die Zukunft gefolgt. Dass nach dem Elternwillen Kinder um jeden Preis aufs Gymnasium und Abitur machen sollen, könne er für seine Schule nicht bestätigen. Teils werde selbst bei Vorliegen der Gymnasialempfehlung sogar dennoch die Realschule bevorzugt, so Zillessen – teils aus ganz praktischen Gründen wie der Nähe zum Wohnort und auch im Wissen, dass es ja keine endgültige Entscheidung gegen das Abi sein muss. „Wir haben aktuell gegenüber den Vorjahren in etwa gleich viel Empfehlungen fürs Gymnasium ausgestellt“, sagt er. An der Hans-Thoma-Schule in Tiengen kann es also kaum liegen, dass die Anmeldezahlen für die Gymnasien im Kreis zurückgegangen sind.
Das schließt aber nicht aus, dass anderswo bisher Eltern das Gymnasium für ihr Kind als weiterführende Schule wählten, auch wenn die Grundschule es dafür für ungeeignet hielt. Und dass jetzt eben die Option Gymnasium weg ist, weil die Noten dafür zu schlecht sind. Kehrt jetzt also das Gymnasium zu seiner Exklusivität zurück? Es hieß ja schon länger, dort seien viele „überfordert“ und fehl am Platz. Als Beleg angeführt wurden dann die „Gescheiterten“, denen die Realschulen als Auffangbecken dienten.
Kein Geheimnis: Die Gymnasien in Baden-Württemberg begrüßen die Rückkehr zur 2011/12 von Grün-Rot abgeschafften verbindlichen Grundschulempfehlung. So zitierte diese Zeitung auch Markus T. Funck, Direktor des Waldshuter Hochrhein-Gymnasiums im Herbst 2024 mit den Worten, er halte das „für gut, weil es nicht mehr allein in der Hand der Eltern liegt, welchen Weg ihre Kinder einschlagen sollen.“ Gleichzeitig hatte vielfach die Befürchtung im Raum gestanden, mit Wiedereinführung von G9 könne das jetzt als weniger stressig geltende Gymnasium wieder vermehrt die erste Wahl sein. Das scheint sich jetzt nicht zu bewahrheiten.
Auch mit G 9 und dass damit „so vieles im Fluss und sensibel ist“ begründet Regina Goeres, Direktorin des Klettgau-Gymnasium Tiengen, warum sie und Funck Fragen dieser Zeitung zur Lage an ihren jeweiligen Schulen unbeantwortet lassen. Dazu gehört auch die, wie viele Fünfer denn im Herbst starten. Deren Zahl stehe bislang nicht fest, heißt es. Ebenso entschieden, sich nicht öffentlich zum Thema zu äußern, haben sich mit gleicher Argumentation Lisa Bosch, Leiterin der Robert-Schuman-Realschule in Waldshut, und ihr Kollege Hans-Martin Bratzel von der Realschule Tiengen.