Dass seine Vorfahren mütterlicherseits aus Oberfranken stammen, wusste Günter Kramer aus Wehr bereits als kleines Kind. Schließlich war er in den „Bayerhäusern“ in der Sternenstraße aufgewachsen. Doch als er in die Ahnenforschung einstieg, um mehr über seine Herkunft zu erfahren, war er vor riesige Probleme gestellt. Es gab niemanden mehr aus seiner Familie, der ihm etwas über die oberfränkische Herkunft hätte erzählen können. Um diese Lücke zu schließen, machte sich Kramer jetzt auf den weiten Weg nach Oberfranken. Seine Reise brachte ihm viele neue Erkenntnisse darüber, wie seine Vorfahren einst nach Wehr kamen.

Mit 15 Jahren zum Arbeiten alleine in die Fremde

Kramers Mutter Frieda war die jüngste Tochter des Webers Karl Feulner. Dieser war 1868 als Sohn des Ehepaars Georg und Elisabetha Feulner in Schwarzenstein – heute ein Ortsteil der Stadt Schwarzenbach am Wald – zur Welt gekommen. Mit gerade einmal 15 Jahren traf Karl am 11. April 1884 als auswärtige Arbeitskraft in Wehr ein. Die Gruppe der oberfränkischen Arbeitsmigranten bestand aus 38 Personen, die in der Buntweberei Baumgartner (seit 1888 MBB) arbeiten wollten. Diese versierten Handweber waren in Wehr und Öflingen begehrte Arbeitskräfte und brauchten nur auf mechanische Webstühle umgeschult zu werden.

Vor dem Rathaus der Stadt Schwarzenbach am Wald: Günter Kramer hat Bürgermeister Reiner Feulner ein Präsent des Wehrer Bürgermeisters ...
Vor dem Rathaus der Stadt Schwarzenbach am Wald: Günter Kramer hat Bürgermeister Reiner Feulner ein Präsent des Wehrer Bürgermeisters Michael Thater überreicht. Links Stadthistoriker Reinhard Valenta, der Kramer begleitete. Bilder: Christine Rittweg/Reinhard Valenta | Bild: Christine Rittweg, Tourist-Info

Von Oberfranken ins Großherzogtum Baden

Die meisten von ihnen stammten aus dem Gebiet der heutigen Stadt Schwarzenbach am Wald, heute nahe der Grenze zum Bundesland Thüringen. Eine Unterkunft fanden sie in den Arbeiterhäusern des 1860 stillgelegten Hammerwerks und der sogenannten Hammerwirtschaft auf dem Areal der Buntweberei sowie im großen Wohnhaus in der Sternenstraße 1. Die Firma hatte es im Jahr 1884 erworben und in ein Arbeiterwohnhaus umfunktioniert. Seit 1888 wurden von der MBB weitere Häuser an der Sternenstraße, an der Todtmooser Straße sowie auf der Breitmatt erbaut.

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Aus heutiger Sicht war der 15-jährige Karl Feulner ein unbegleiteter Jugendlicher. Dem Wehrer Fremdenbuch ist zu entnehmen, dass er sich zwischenzeitlich nach Freiburg abgesetzt hatte. Der Ratsschreiber notierte „unabgemeldet fort“. Es war die Abenteuerlust, die den Jugendlichen dazu antrieb. Karl Feuler kehrte jedoch am 12. März 1891 nach Wehr zurück. Auch in Freiburg hatte er weiterhin Kontakt zu den Landsleuten in der MBB gehalten. Dank der Eisenbahn waren auch schon Kurzbesuche in Wehr möglich.

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In Öflingen fand er seine große Liebe

Es war die Liebe, die den jungen Mann schließlich zur Rückkehr in das „Bayerhaus“ veranlasste. Bei einem der Besuche muss es geschehen sein. Die ledige Fabrikarbeiterin Agathe Kiefer brachte am 19. Mai 1891 den Knaben Karl Franz zur Welt. Um die damals schwere Schande einer unehelichen Geburt zu tilgen, heiratete Karl Feulner am 25. Januar 1892 seine Agathe und gründete mit ihr eine mit insgesamt sieben Kindern gesegnete Familie. Feulner war so zufrieden mit dem Leben in Wehr, dass er im Mai 1914 Bürger des Großherzogtums Baden wurde. Seine jüngste Tochter hieß Frieda und wurde Günter Kramers Mutter.

Günter Kramer im Rodachatal in Unterschwarzenstein: Die kleinen Weberhäuschen sind heute teilweise restauriert. Karl Feulners Elternhaus ...
Günter Kramer im Rodachatal in Unterschwarzenstein: Die kleinen Weberhäuschen sind heute teilweise restauriert. Karl Feulners Elternhaus brannte 1885 ab. | Bild: Reinhard Valenta

Die Familie väterlicherseits

Vor drei Jahren begann der in Wehr als Fasnachter und Feuerwehrmann bekannte Günter Kramer mit der intensiven Ahnenforschung. Die Wurzeln seiner väterlichen Vorfahren waren einfach zu finden, weil sie in der hiesigen Region liegen. Der Urgroßvater war als Martin Kromer 1820 in der Klettgaugemeinde Weisweil zur Welt gekommen. Martin ging bei seinem Vater, einem Küfermeister, in die Lehre und ließ sich in den 1830er-Jahren als Martin Kramer (nicht Kromer) in Wehr nieder, so verraten es die Einträge im Kirchenbuch. Die weitere Familiengeschichte konnte aus den Wehrer Archivalien rekonstruiert werden.

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Große Probleme gab es jedoch mit dem oberfränkischen Großvater Karl Feulner. Er war erst 1939 im Alter von 71 Jahren verrentet worden. Der stattliche und rüstige Senior ging regelmäßig zum Holzmachen ins Wehratal. Im Winter 1943 wurde er beim Holzfällen von einem Wurzelstock erdrückt. Mit ihm starb auch die mündliche Überlieferung der Familiengeschichte. Einige Anhaltspunkte fand Günter Kramer in den Akten des Wehrer Standesamts. Doch das genügte ihm nicht. Also machte er sich auf den Weg nach Schwarzenbach am Wald, in dessen Ortsteil Schwarzenstein Karl Feulner zur Welt gekommen war.

Der Bürgermeister aus dem oberfränkischen Schwarzenbach half weiter

Der Internetseite der Gemeinde Schwarzenbach hatte Kramer entnommen, dass der dortige Bürgermeister Reiner Feulner heißt. Ein entfernter Verwandter? Kramer erhielt nach einem Anruf sofort einen längeren Termin beim Schwarzenbacher Rathauschef, dem er ein Buch-Präsent seines Wehrer Amtskollegen Michael Thater sowie einen von Stephan Denk signierten Bildband der Brennet AG überreichte. Schließlich hatte Großvater Feulner mehr als 50 Jahre treu in der Buntweberei gearbeitet.

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Bürgermeister Feulner, der, wie sich herausstellte, kein Verwandter ist, ließ trotzdem sofort seine Beziehungen spielen und vermittelte geschichtskundige Kontaktpersonen. Mit Broschüren, Büchern über die Ortsgeschichte Schwarzenbachs und die dortige Hausweberei sowie mit Telefonnummern und Empfehlungen versehen, machte sich Günter Kramer nach drei Tagen auf den Rückweg nach Wehr.

Das erste Ergebnis der Recherche: Karl Feulner hatte sechs Geschwister. Das im tiefen Rodachtal in Schwarzenstein gelegene Elternhaus war 1885 abgebrannt. Was aus den Eltern und den Geschwistern seines Großvaters wurde, wird Kramer vielleicht bald schon erfahren. Auf dem dortigen Friedhof fand er jedenfalls zahlreiche Grabsteine mit der Aufschrift „Feulner“.