Reinhard Valenta

Josef Sutter ist ein wandelndes Lexikon der Öflinger Geschichte. Auch wenn der ehemalige Messner von St. Ulrich im Rollstuhl sitzt, spaziert er immer noch in Gedanken durch Öflingen. Er kennt viele Geschichten. Auch seine eigene Familiengeschichte ist typisch für Öflingen und die Region.

Josef Sutter, langjähriger Messner von St. Ulrich im Herbst 1919. Er ist an den Rollstuhl gefesselt, aber seine Gedanken schweifen immer ...
Josef Sutter, langjähriger Messner von St. Ulrich im Herbst 1919. Er ist an den Rollstuhl gefesselt, aber seine Gedanken schweifen immer noch durch das Öflingen seiner Kindheit und Jugend. | Bild: Repro: Reinhard Valenta

„Ich bin ein Abigrutschter, aber nur ein halber“, erzählt er stolz. Als „Abigrutschte“ bezeichnete man einst die armen Zuwanderer aus dem Hotzenwald. Sie „rutschten“ auf der Suche nach Arbeit und Brot runter ins Tal. „Meine Opa war ein Rickenbacher, die Oma kam aus Altenschwand“. Dass Ferdinand und Anna Sutter in Öflingen landeten, hatte eine kuriose Vorgeschichte.

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„Der Opa war gelernter Schuster und Postbote. Eines Tages gab es in einem Rickenbacher Gasthaus eine Keilerei. Der Opa hat mitgemischt und die Posttasche mit den Briefen als Schlaginstrument benutzt. Deshalb wurde er entlassen und zog, weil er keine Arbeit fand, mit seiner Frau Anfang der 1880er Jahre nach Öflingen. Hier begann er ein neues Leben.“

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Damals hatten die MBB-Gründerväter Hipp, Denk und Schenz die Buntweberei in Brennet übernommen. Die MBB war die Lokomotive des Aufschwungs, von dem auch die Öflinger Baubranche profitierte. Neue Häuser wurden hochgezogen und so fand Ferdinand Sutter Arbeit am Bau. Doch die junge Familie mit den kleinen Söhnen Emil, Martin und Josef hatte großes Pech. 1887 starb die Mutter, 1898 stürzte der Vater vom Baugerüst und verstarb ebenfalls.

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Josef Sutter sen. Ende der 1920er Jahre. Nachdem er den Ersten Weltkrieg überlebt hatte, wurde er Magaziner in der MBB.
Josef Sutter sen. Ende der 1920er Jahre. Nachdem er den Ersten Weltkrieg überlebt hatte, wurde er Magaziner in der MBB. | Bild: Repro: Reinhard Valenta

„Das Haus von der Jache Liese spielte beim Bau des neuen Schulhauses eine gewisse Rolle“, so Josef Sutter. „Es gehörte bereits meinem Vater, als die Schule geplant wurde“. Durch den Aufschwung war die Schülerzahl explodiert. Die 1831 erbaute alte Schule platzte aus allen Nähten. Auch eine größere Kirche musste her. So kam es, dass um 1900 der Öflinger Ortskern überplant wurde. Nun entstand eine Reihe moderner Bauten.

1903 wurde die Kirche St. Ulrich eingeweiht. „Eigentlich sollte sie bei der heutigen evangelischen Kirche stehen, aber die Oberdörfler legten sich wegen des weiten Fußwegs quer“, berichtet Josef Sutter.

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Neben dem alten Schulhaus sollte das neue entstehen, nachdem bereits 1901 auf der anderen Straßenseite das Lehrerhaus errichtet worden war. Nach einem Zwischenstopp („Ebbe in der Gemeindekasse“) ging aufgrund der Raumnot die Planung für die neue Schule weiter. Um sie bauen zu können, mussten zwei Häuser abgerissen werden: ein stattliches Doppelhaus etwa an der Stelle der geplanten Schule sowie das Weiß-Häuschen, in dem Josef Sutters Vater wohnte. „Mein Vater hat es für 3.500 Mark an die Gemeinde verkauft“, berichtet der 96-jährige Sutter. „Dann war er heimatlos“. Das war 1908. Ein Jahr später wurde Richtfest gefeiert und am 25.9.1910 die neue Schule eingeweiht. Die Bauleitung lag bei dem Freiburger Architekten August Rotzler aus dem großen Öflinger Rotzler-Clan, in den Josef Sutters Vater nach dem Ersten Weltkrieg einheirateten sollte.

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„Mein Vater stand auf der Straße. 1898 hat er im Magazin der MBB angefangen. Er hat nach dem Verkauf des Hauses einen Magaziner-Lehrgang in Freiburg absolviert und ist nach Singen gezogen“. Auch dieses Schicksal teilte Josef Sutters Vater mit vielen Öflingern, die auswärts gearbeitet haben. Sutter wurde 1912 Magaziner im Singener Zweigbetrieb der Georg Fischer AG („Fitting“). Von 1912 bis 1914 hat er Tagebuch geführt. Er wohnte bei der Familie Gnädig in Rielasingen: „Zimmer mit Kaffee per Monat 12 Mark (inkl. Wäsche 13 Mark). Mittagessen 60 Pf. in der Wirtschaft“. An den Wochenenden war er oft „zu Hause“.

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Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte der Kriegsversehrte in die Heimat zurück. Zuerst arbeitete er bei der Post, dann fand im Magazin der MBB und heiratete 1922 Agnes Rotzler. Aber das ist eine andere Geschichte, die sich rund um das Gasthaus „Wehratal“ dreht. Josef Sutter erzählt sie gern ein andermal.