Reinhard Valenta

Die Corona-Krise rückt unsere Gasthäuser in einen neuen Fokus. Nicht nur die Frage, wie sie wieder öffnen können, bewegt uns alle. Erst durch ihre Schließung wurde uns – wie im Falle vieler anderer Selbstverständlichkeiten – schmerzlich bewusst, welch große Bedeutung sie für das gesellschaftliche Leben haben. Aber das war schon immer so. In früheren Zeiten wurden Verträge, um nur ein Beispiel zu nennen, oft erst dann rechtskräftig, wenn die Vertragspartner in der „Trinkstube“ einander zugeprostet hatten.

Die „Kronen“-Familie Erwin und Luise Trefzger während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Kindern Rosel (1931), Rolf (1932), ...
Die „Kronen“-Familie Erwin und Luise Trefzger während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Kindern Rosel (1931), Rolf (1932), Robert (1933) und Ruth (1935). Unsere Zeitzeugin Walburga war das Nesthäkchen und kam erst nach dem Krieg zur Welt. | Bild: Archiv Reinhard Valenta

Eines unserer ältesten Gasthäuser ist die „Krone“. Vielleicht handelte es beim Vorgängerbau sogar um das „obere Wirtshaus“, das schon im 13. Jahrhundert Erwähnung fand. Das jetzige Gebäude wurde 1552 erbaut und ist älter als das Alte Schloss der Herren von Schönau. Die Lage war perfekt, weil sich der stattliche Bau in der Nähe des „Hammers“ befand. Dort wurde seit dem Mittelalter Eisen produziert. Deshalb herrschte hier ein reger Fuhrbetrieb, der Gäste brachte.

Walburga Büche mit ihrer Schwester Ruth um 1950/51 im Garten der „Alten Krone“, im Hintergrund das Café Schmidt mit ...
Walburga Büche mit ihrer Schwester Ruth um 1950/51 im Garten der „Alten Krone“, im Hintergrund das Café Schmidt mit Dachterrasse und daneben die alte Scheune, an deren Stelle später die Apotheke gebaut wurde. | Bild: Archiv Reinhard Valenta

1744 fällt erstmals der Name „Zur Krone“. 104 Jahre später war Wehr durch die „Krone“ in aller Munde. Landauf landab schmetterten die Bänkelsänger auf Jahrmärkten „Das schöne neue Lied vom weltberühmten Struwwelputsch“. Darin hieß es in Anspielung auf die Verhaftung des Freiheitskämpfers Gustav von Struve am 25.9.1848 in der „Krone“: „Ja, in Wehr ward sie gefunden, unsere ganze Republik, eingefangen und gebunden, kam sie von der Grenz´ zurück“.

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Der Wirt Ignatz Jordan hatte die Gaststätte um 1830 erworben. Sein Sohn Arnold betrieb sie weiter und nach ihm dessen Tochter Luise gemeinsam mit ihrem Ehemann Max Schnurr. Sie bauten 1918 sogar für einen Photographen ein „Atelier“ neben der alten Kegelbahn im hinteren Garten. Aber die „Krone“ war nicht mehr zu halten und kam schließlich 1922 in den Besitz der MBB. Die Firma machte aus dem Gast- ein Wohnhaus für Belegschafter. Trotzdem blieb der „Geist“, der in den alten Mauern steckte, erhalten. Und es kamen neue Geschichten hinzu.

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Walburga Büche (geb. Trefzger), die in der „Krone“ aufwuchs, erinnert sich an die besondere Wohn-Atmosphäre. „Mein Vater Erwin war Weber in der MBB und wohnte seit den 1930er Jahren hier mit seiner Ehefrau Luise. Meine Geschwister Rosel, Rolf, Robert und Ruth waren Krone-Kinder. Ich kam erst 1949 zur Welt, habe aber das Leben in der Krone noch erlebt und auch viele Geschichten von meiner Mutter gehört“. Während des Zweiten Weltkriegs war die „Krone“ von über 30 Kindern aus 14 Familien bevölkert. „Im Erdgeschoss wohnte Gustav Eller mit 8 Kindern und einer ledigen Tante mit Kind. Unsere Wohnung“, so Walburga Büche, „befand sich daneben. Im ersten Obergeschoss lebten die Familien Alois Diewald, Ferdinand Nold, Otto Fuchs und Bouné mit neun Kindern, im zweiten Obergeschoss die Familien Emil Haselwander, Strittmatter, Neukum, Baumgartner und Martha Gutmann mit zehn Kindern und schließlich im dritten Obergeschoss die Familien Gilbert Zeller und Willi Eckert mit fünf Kindern. Hinzu kamen noch etliche Kinder aus der Nachbarschaft“.

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Kein Wunder, dass im Hinterhof viel los war. „Hier stand auf dem Mättle eine Tischtennisplatte, die von meinem Bruder Rolf, Ewald Gutmann und Werner Diewald sowie Helmut Felber aus der Nachbarschaft dauerbesetzt war. Sie bildeten die erste Mannschaft des späteren Tischtennisvereins“. Auch Benno Wunsch aus dem Modehaus Bär ließ sich hier blicken. „Als 1943 Frau Wunsch 5 Kommunionsanzüge von Bleyle bekam, kriegten mein Bruder Rolf und Werner Diewald als Krone-Kinder je einen zum Vorzugspreis“. Die Kronenkinder hielten auch nach dem Krieg zusammen und gründeten einen Club. „Er nannte sich“, so Walburga Büche, „Freunde der alten Krone. Als Nesthäkchen durfte ich dabei sein. Wir haben uns noch lang getroffen. Wenn eine Beerdigung war, wurde ein Kranz gestiftet“.

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1998 endete das Kapitel „Arbeiterwohnhaus“. Stephan Denk ließ die „Krone“ für rund 3,6 Millionen DM sanieren und führte sie wieder ihrer alten Bestimmung zu. Seither ist die „Krone“ ein Schmuckstück der Wehrer Innenstadt. Sogar eine Bronzetafel erinnert an die Verhaftung Gustav von Struves. Bleibt zu hoffen, dass im Krone-Garten bald wieder reger Betrieb herrscht – mit Abstand natürlich.