Der Verkehrslärm auf der vierspurigen B33 im Westen von Allensbach ist gut zu hören, wenn man direkt vor dem dortigen Lärmschutzwall steht. Doch wenn er schon nicht zu 100 Prozent vor Lärm schützt, so liefert er künftig wenigstens zu 100 Prozent Ökostrom. Denn die Gemeinde Allensbach hat auf dem Wall auf einer Länge von 1,1 Kilometern auf eigene Kosten eine Photovoltaik-Anlage (PV-Anlage) aufbauen lassen. Die ist nun offiziell in Betrieb genommen worden.

Bürgermeister Stefan Friedrich betätigte zusammen mit Peter Unger von der Firma Solarcomplex symbolisch die nötigen Schalter. Vermarktet wird der Strom von den Stadtwerken Konstanz, die hierfür extra einen Ökostromtarif für Allensbacher eingeführt haben. Die Gemeinde könne den Strom nicht selbst verkaufen, sagte der Bürgermeister. Und die Stadtwerke hätten ein gutes Angebot unterbreitet.

Friedrich: „Mehr Bürgerbeteiligung geht nicht“

Laut Gemeinde ist es die bislang größte PV-Anlage an der B33 und die erste ihrer Art, während noch an der Straße gebaut wird. Zudem handelt es sich um die bisher größte Maßnahme der Allensbacher für den Klimaschutz. Bürgermeister Friedrich sagte bei der Inbetriebnahme, das Besondere an diesem „tollen Projekt“ sei es, dass es aus der Bürgerschaft hervorgegangen und nun für die Bürgerschaft gedacht sei.

Denn die Idee dazu sei von der Lokalen-Agenda-Gruppe Energie, Ressourcen, Klimaschutz, vor allem von Michael Seitz gekommen. „Ohne euch würden wir nicht hier stehen.“ Und da die Gemeinde die Finanzierung selbst übernommen habe, bleiben auch die Erlöse in Allensbach. Die Anlage gehöre damit sozusagen allen Bürgern, sagte Friedrich: „Mehr Bürgerbeteiligung geht nicht.“

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Auf dem Lärmschutzwall sind rund 3400 Solarmodule montiert worden, so Kämmerer Matthias Fix. Der Jahresertrag werde je nach Sonneneinstrahlung bei 2 bis 2,2 Millionen Kilowattstunden liegen. Damit könnten 600 bis 1000 Haushalte versorgt werden. Bei Zweipersonenhaushalten mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 2100 Kilowattstunden pro Jahr wären es 1040, rechnete Fix vor. Bei Vier-Personen-Haushalten (3500 kWh im Jahr) 624.

Die Gemeinde finanziert die Kosten für die Anlage in Höhe von rund 2,1 Millionen Euro über ihren Eigenbetrieb Wasserversorgung. Der Vertrag mit den Stadtwerken Konstanz habe vorerst eine Laufzeit von fünf Jahren, so Fix. Nach Ablauf des Vertrags könne der Gemeinderat neu über die weitere Vermarktung entscheiden. Bei einer geplanten Laufzeit der Anlage von 30 Jahren soll die Gemeinde am Ende einen siebenstelligen Betrag als Reingewinn machen können.

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Planung dauerte rund drei Jahre

Bürgermeister Friedrich erklärte, der Klimarat und der Gemeinderat seien schnell überzeugt gewesen, dass dies eine ideale Fläche für eine große PV-Anlage sei – wegen der Lage und weil keine Agrarflächen verloren gehen. Die Planung bis zum Spatenstich im vergangenen Oktober habe dagegen rund drei Jahre gedauert, weil es bürokratische Hürden zu überwinden gab, betonte Friedrich vor Vertretern der diversen Beteiligten wie Landratsamt (LRA), Regierungspräsidium, Stadtwerke, NetzeBW, der Lokalen Agenda, einigen Gemeinderäten und der ausführenden Firma Solarcomplex.

Zum einen, weil die Fläche verschiedenen Eigentümern gehört und die Flurneuordnung für diesen Bereich noch nicht abgeschlossen sei. Im LRA habe es zudem zunächst geheißen, wenn die Gemeinde hier was bauen wolle, brauche es ein Bau- oder Gewerbegebiet – und zwar ein interkommunales, weil ein Teil der Grundstücke der Gemeinde Reichenau gehören.

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„Ein privater Investor wäre an dieser Stelle schon ausgestiegen“, sagte Friedrich. Doch dann habe das LRA erkannt, dass man hier auch einen Präzedenzfall zulassen könne. Dafür sei die Gemeinde Landrat Zeno Danner und seiner Verwaltung dankbar. Und ebenso dem Gemeinderat Reichenau, der dem Projekt zugestimmt hat.

Doch dann habe es noch eine weitere bürokratische Hürde gegeben, die nach Meinung des Bürgermeisters unnötige Kosten von mehr als 100.000 Euro verursacht hat. Wegen der nahen Kreisstraße zwischen Allensbach und B33-Auffahrt gab es die Auflage, eine Blendschutzanlage zu errichten – aus einer vier Meter hohen, immergrünen Hecke und heimischen Gehölzen auf einer Länge von 250 Metern. Dabei gebe es bekanntlich überall Straßen, wo die Fahrer geblendet werden können, und PV-Anlagen an Autobahnen in Bayern, wo kein Blendschutz erforderlich sei.

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Danner: Blendschutz ist „ein bisschen absurd“

Bene Müller, einer der Vorstände von Solarcomplex, erklärte, die langen Vorarbeiten und Bürokratie seien in Deutschland generell ein Problem bei der angestrebten Energiewende. Auf der besagten Kreisstraße könne auch der See blenden, wenn sich dort die Sonne spiegelt. „Wir neigen aber in diesem Land dazu, Dinge überzuregulieren“, sagte Müller. „Wenn wir die Energiewende beschleunigen wollen, muss sich an den Abläufen etwas ändern. Sonst wird es nichts damit.“

Dennoch gebe es momentan in der Region eine hohe Dynamik bei Solarparks. Dass hier nun eine Fläche mit einer Photovoltaik-Anlage ausgestattet sei, die anderswo nicht genutzt werde, sollte Ansporn sein, kreativ und mit offenen Augen weitere Potenziale zu erkennen und zu heben – zum Beispiel bei großen Industriehallen.

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Landrat Zeno Danner sagte zum Projekt: „Ich finde es total beeindruckend.“ Im Landratsamt sei klar gewesen, dass man dies ermöglichen müsse, so leicht es gehe, aber leicht sei es nicht gewesen. „Wir müssen im Landkreis vorankommen. Bessere Flächen haben wir nicht.“ Und es tue sich auch etwas in etlichen Gemeinden.

Das mit dem Blendschutz sei „natürlich ein bisschen absurd“, räumte Danner selbst ein. Aber die bürokratischen Hürden hätten auch etwas mit der Gesamtgesellschaft zu tun – und damit, dass die Behörde im Falle eines Blend-Unfalls gefragt werden könnte, weshalb es da keinen Blendschutz gibt.

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Für die Stadtwerke Konstanz gratulierte Geschäftsführer Norbert Reuter der Gemeinde zu Durchhaltevermögen und Mut. Selbst bei noch mehr Auflagen wäre die Anlage lohnend und sinnvoll gewesen, meinte er, weil sie auch Akzeptanz schaffe in der Bürgerschaft.