Johannes Moser hat genug. Seit mehr als 25 Jahren ist er Bürgermeister in Engen, seine vierte Amtszeit läuft. Doch nun ist für ihn ein Niveau an Unzufriedenheit erreicht, das ihn deutlich werden lässt: „Jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht.“ Moser ist Vorsitzender des Kreisverbandes Konstanz im baden-württembergischen Gemeindetag. Mit dem Steißlinger Bürgermeister Benjamin Mors, einem seiner Stellvertreter im Gemeindetag, hat er zum Pressegespräch geladen.

Der Hintergrund ist ernst: Die Hegauer Rathauschefs reihen sich beim baden-württembergischen Gemeindetag ein, der unter dem Titel „Belastungsgrenze überschritten – es darf kein ‚Weiter so‘ geben“ ein Positionspapier herausgebracht hat.

Tenor des Papiers: Bund und Länder laden den Kommunen immer mehr Aufgaben auf, die diese mittlerweile nicht mehr bewältigen können. Angesichts mehrerer gleichzeitiger Krisenfordert der Gemeindetag eine „neue Prioritätensetzung“.

Bürger halten Staat mehrheitlich für überfordert

Im Klartext wirft das in der Formulierung von Johannes Moser diese Frage auf: Welches Leistungsversprechen kann der Staat noch geben? Laut der Bürgerbefragung 2022, die Forsa für den Deutschen Beamtenbund erhebt, halten 66 Prozent der Befragten den Staat derzeit für überfordert – ein historisch schlechter Wert.

Dabei seien die Gemeinden die Orte der Wahrheit, wenn es um Politik geht, sagt Moser. Wenn etwas nicht funktioniert, merken es die Bürger an ihren Wohnorten – und zwar egal, ob Land, Bund oder Kommune verantwortlich sind. Häufig sind in den Augen von Moser und Mors bei Vorgaben von Land und Bund die Bürger die Leidtragenden.

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Die beiden Rathauschefs, die die Gemeinden im Kreis vertreten, können eine Menge Beispiele aufzählen. Die Kinderbetreuung gehört dazu. Den Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte gibt es schon. Ab 2026 kommt schrittweise auch ein Anspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule hinzu.

Beschlossen haben das Bundestag und Bundesrat, das dazugehörige Gesetz soll die Chancengerechtigkeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, wie das Bundesfamilienministerium informiert. Bis zu 3,5 Milliarden Euro investiere der Bund über Finanzhilfen.

Doch gefordert seien ausgebildete Fachkräfte, sagt Moser: „Die gibt es schon jetzt nicht auf dem Markt und das wird bis 2026 nicht anders sein.“ Mors: „Wir möchten pragmatischer entscheiden können, was man vor Ort wirklich braucht.“ Und auch wenn man durchaus davon überzeugt sein könne, in einer Zeit des Fachkräftemangels möglichst vielen Elternteilen die Arbeit zu ermöglichen: Man könnte auch Kooperationen mit Vereinen für Nachmittagsangebote eingehen, so Mors. Vielerorts ist das heute so.

Umsatzsteuer bringt Preiserhöhung für Bürger zur Unzeit

Mitunter muss man auch ins Kleingedruckte der Verwaltungsarbeit vordringen, um die Auswirkungen auf die Bürger zu verstehen. So ein Thema ist die Neuregelung der Umsatzsteuerpflicht. Moser skizziert grob: Wenn die öffentliche Hand eine Leistung erbringt, die auch ein Privatunternehmen erbringen könnte, müssen sie dafür künftig Umsatzsteuer abführen – aufgrund einer europaweiten Regelung.

Mors: „Das ist eine Preiserhöhung für die Bürger zur Unzeit.“ Und die bisherigen Regelungen ziehen viele Unklarheiten nach sich, so Moser uns Mors. Wenn es dumm läuft, muss eine Gemeinde dann die Mehrwertsteuer einem Unternehmen zurückerstatten, das diese aber selbst schon steuerlich geltend gemacht haben könnte – eine Spirale, die sich nur mit großem Aufwand zurückdrehen lasse.

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Auch der Vorschlag für ein Transparenzgesetz vom Landesdatenschutzbeauftragten Stefan Brink gehört für Moser in die Kategorie Überforderung. Ein solches Gesetz soll den Menschen im Land ermöglichen, auf Informationen aus öffentlichen Verwaltungen einfach zuzugreifen, statt danach fragen zu müssen.

In den Augen von Johannes Moser würde es allerdings viel Arbeitskraft binden, bei jedem Dokument zu überprüfen, ob es in die Öffentlichkeit kann oder ein anderes schützenswertes Recht dem entgegensteht: „Dann wären die Verwaltungen nur noch mit sich selbst beschäftigt.“ Die Arbeit für den Bürger würde darunter leiden. Und: „Im Gemeinderat ist praktisch alles öffentlich.“

Welchen Stellenwert haben Klimaschutz oder Flüchtlingsunterbringung?

Der Beispiele gibt es noch viele: ständig verfeinerter Brandschutz zum Beispiel, der laut Moser richtig viel Geld koste, um auch kleinste Risiken auszuschließen. Oder hohe Kosten dafür, eine Konzession für das Stromnetz europaweit auszuschreiben.

Welchen Platz nimmt das ein im Vergleich zu Klimaschutz, Flüchtlingsunterbringung oder Verkehrswende, fragt Mors rhetorisch. Allesamt sind das wichtige Aufgaben, die angesichts der laufenden Krisen immer dringlicher werden. Da sollte man Ziele in Koalitionsverträgen, die vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine vereinbart wurden, überdenken, so Moser.

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Heißt diese Kritik auch, dass früher alles besser war? So möchte Moser den Vorstoß nicht verstanden wissen: „Wir haben viel aufgebaut und müssen schauen, dass es weiter funktioniert.“ Doch dafür dürfe man nicht zu viel draufpacken, sondern müsse Prioritäten setzen. Und der Gemeindetag fügt in seinem Papier noch etwas hinzu: Es gehe auch darum, das Vertrauen der Bürger in den Staat zu sichern.