Im August sind neue Regeln für kommunale Wahlen in Baden-Württemberg in Kraft getreten – mit markanten Änderungen vor allem bei Bürgermeisterwahlen. Eine der letzten Bürgermeisterwahlen nach den alten Regeln fand im Hegau statt, nämlich in Tengen. Eine der ersten Bürgermeisterwahl nach den neuen Regeln fand erst am Sonntag, 8. Oktober, in der Nachbarstadt Engen ihr Ende. Auch in Stockach lief die Bürgermeisterwahl gerade erst nach den neuen Regeln ab, die Susen Katter im ersten Wahlgang klar für sich entscheiden konnte. In Tengen und Engen waren hingegen zwei Wahlgänge nötig, um ein neues Oberhaupt zu finden. Und an den beiden Beispielen werden die Auswirkungen deutlich, die die Änderungen vor allem für die Bürger, aber auch für die Kandidaten haben. Fragen und Antworten:

Was sind die entscheidenden Änderungen?

Das neue Gesetz ändert vor allem Altersgrenzen. Seit August können schon 16-Jährige Gemeinderäte werden, die Altersgrenze lag bisher bei 18 Jahren. Und 18-Jährige können zum Bürgermeister gewählt werden, eine Altersgrenze, die bislang bei 25 Jahren lag. Doch auch am anderen Ende einer Karriere gibt es Änderungen: Die Altersgrenze für die späteste Wählbarkeit von 68 Jahren und die Regelaltersgrenze für die Ausübung des Amtes, bisher 73 Jahre, sind komplett entfallen, wie die Landesregierung informiert.

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Wer als Bürgermeister antritt, braucht außerdem seit August in Gemeinden aller Größen Unterstützerunterschriften von Wahlberechtigten. Bislang war dies laut Landesregierung nur in Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern Pflicht. Diese Änderung zielt darauf ab, chancenlose Spaß- oder Dauerkandidaten davon abzuhalten, die Wahlmaschinerie zu belasten. Und, was in Engen wohl als markanteste Neuerung aufgefallen ist: Der zweite Wahlgang wird nun als Stichwahl unter den beiden Bestplatzierten des ersten Wahlgangs abgehalten, nicht als Neuwahl, bei der neue Bewerbungen möglich sind.

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Dadurch habe man verhindern wollen, dass Kandidaten mit sehr wenigen Stimmen aus dem ersten Wahlgang auch im zweiten Wahlgang antreten, sagte die Grünen-Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger bereits im Frühjahr. In einer Mitteilung der Landesregierung wird Innenminister Thomas Strobl (CDU) dahingehend zitiert, dass ein Bürgermeister nach einer Stichwahl immer eine absolute Mehrheit und damit eine „stabile demokratische Legitimation“ habe.

Wo lagen in Engen und Tengen die Unterschiede?

In beiden Städten wurden die Möglichkeiten der Wahlordnung ziemlich gründlich genutzt. Bei beiden Bürgermeisterwahlen gab es zwei Wahlgänge. In Tengen im Frühjahr traten fünf Kandidaten im ersten Wahlgang an, im zweiten waren es dann schon acht. Dazwischen gab es ein lebhaftes Hin und Her. Zwei Kandidaten des ersten Wahlgangs haben sich zurückgezogen, fünf kamen neu hinzu.

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Vor dem Termin für den ersten Wahlgang haben sich zahlreiche Bürger, die mit dem Bewerberfeld nicht zufrieden waren, in einer Whatsapp-Gruppe organisiert. Ihr Ziel war, einen zweiten Wahlgang mit der Möglichkeit für neue Bewerbungen herbeizuführen – was am Ende auch so geschehen ist. Der jetzige Amtsinhaber Selcuk Gök ist erst zum zweiten Wahlgang ins Rennen eingestiegen und konnte die Wähler offenbar rasch überzeugen: Er erzielte mehr als 50 Prozent der Stimmen bei sieben weiteren Kandidaten.

In Engen lief das Geschehen übersichtlicher ab. Zum ersten Wahlgang sind vier Kandidaten angetreten, die sich spürbar ernsthaft mit dem Amt und der Arbeit eines Bürgermeisters auseinandergesetzt hatten. Nach dem ersten Wahlgang blieben die beiden Bestplatzierten als Kandidaten für die Stichwahl übrig, durchgesetzt hat sich am Ende mit 56,65 Prozent der Stimmen Frank Harsch, der bislang Bürgermeister von Braunsbach im Raum Hohenlohe ist.

Was wäre wenn... in Tengen schon die neuen Regeln gegolten hätten?

Vorausgesetzt, alles andere wäre genauso gelaufen, wie es lief, würde der Bürgermeister von Tengen heute mit einiger Sicherheit Sven Müller heißen. Er war am 5. März knapp an der absoluten Mehrheit gescheitert. Die braucht ein Kandidat damals wie heute, um den ersten Wahlgang für sich zu entscheiden. In einer Stichwahl hätten dann Müller und André Schmal als Bestplatzierte auf dem Stimmzettel gestanden.

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Doch Schmal hatte seine Kandidatur schon kurz vor dem ersten Wahlgang zurückgezogen und schwerwiegende gesundheitliche Schicksalsschläge in seinem persönlichen Umfeld als Begründung angeführt. Außerdem gab er bekannt, die Wahl nicht annehmen zu wollen, sollte er als Sieger aus ihr hervorgehen. Faktisch hätte es für die Wählerinnen und Wähler in Tengen also keine Wahl gegeben. Dass diese Situation eintreten könnte, war auch ein Kritikpunkt an den neuen Regeln für Bürgermeisterwahlen.

Was sind die Ergebnisse der Wahlrechtsreform für die Wähler?

Diese beiden Beispiele legen nahe: Bürgermeisterwahlen verlaufen nun um einiges geradliniger als nach den alten Regeln. Zum zweiten Wahltermin sahen sich die Bürger nicht mit neuen Kandidaten konfrontiert, die kaum Wahlkampf machen können – und die sich auch kaum bekannt machen können. Umgekehrt kann nun niemand mehr kurz vor knapp in den Wahlkampf einsteigen und die anderen Kandidaten gewissermaßen überholen.

Auch das Ziel, dass Kandidaten mit sehr wenig Zustimmung nicht weiter im Wahlapparat bleiben, ist zumindest im Fall Engen erreicht: Beide Stichwahlkandidaten waren im ersten Wahlgang auf Ergebnisse um die 40 Prozent gekommen. Und: In Engen sind nur Menschen angetreten, die das Amt auch wirklich wollten und die einige Qualifikationen mitbrachten. Wie viele Menschen nicht angetreten sind, weil sie die Unterstützerunterschriften nicht bekommen haben, wird allerdings wohl nie öffentlich werden.