Es war ein furioser Wahlsieg, den Selcuk Gök am Sonntag, 19. März, in Tengen eingefahren hat. Im zweiten Wahlgang erreichte der 26-Jährige mit 50,27 Prozent der gültigen Stimmen die absolute Mehrheit – bei sieben weiteren Kandidaten. Gök war erst zum zweiten Wahlgang ins Rennen gegangen. Doch die Bürgermeisterwahl in Tengen könnte eine der letzten sein, die nach diesem Muster abgelaufen ist.

„Richtig finde ich, dass es bei einem zweiten Wahlgang keine Möglichkeit einer Neubewerbung gibt.“ Bernd Häusler, ...
„Richtig finde ich, dass es bei einem zweiten Wahlgang keine Möglichkeit einer Neubewerbung gibt.“ Bernd Häusler, Oberbürgermeister von Singen | Bild: Freißmann, Stephan

Denn im Landtag in Stuttgart steht am Mittwoch, 29. März, ein Gesetz zur Entscheidung an, das weitreichende Folgen für Bürgermeisterwahlen hätte. Das Ganze hört auf den Namen „Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und anderer Vorschriften“. Und es beinhaltet die Abschaffung der bisherigen Neuwahl bei Bürgermeisterwahlen. Sie soll durch eine Stichwahl ersetzt werden, in der die beiden Bestplatzierten des ersten Wahlgangs antreten. Neue Kandidaten könnten sich für den zweiten Wahlgang dann nicht mehr melden.

Die Folgen bei Bürgermeisterwahlen wären groß

Das hätte weitreichende Folgen. Im Fall der Tengener Bürgermeisterwahl hätte der nun gewählte neue Bürgermeister Selcuk Gök nicht im zweiten Wahlgang antreten dürfen. In der zweiten Runde hätten die Tengener die Wahl zwischen den beiden Bestplatzierten aus dem ersten Wahlgang, Sven Müller und André Schmal, gehabt – wobei Schmal bereits zuvor seine Kandidatur aus persönlichen Gründen zurückgezogen hatte. Faktisch hätte es für die Tengener also keine Wahl gegeben.

„Die kommunalen Gremien haben ablehnend Stellung genommen.“ Johannes Moser, Bürgermeister von Engen
„Die kommunalen Gremien haben ablehnend Stellung genommen.“ Johannes Moser, Bürgermeister von Engen | Bild: Freißmann, Stephan

Auch die Bürgermeisterwahl in Gaienhofen, bei der Wahlsieger Jürgen Maas im November mit 59,4 Prozent zum Bürgermeister gewählt wurde, hätte nach den vorgesehenen neuen Regeln nicht so ablaufen können. Auch Maas war erst im zweiten Wahlgang dazugekommen, nachdem in der ersten Runde kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit erhielt.

Auch Altersgrenze steht auf der Kippe

Teil des vorgesehenen Landesgesetzes ist auch, dass künftig Menschen ab 16 Jahre in einen Gemeinderat gewählt werden können und dass schon 18-Jährige Bürgermeister werden können – bislang mussten Gemeinderäte 18 Jahre und Bürgermeister 25 Jahre alt sein.

So sehen es die Landtagsabgeordneten

„Ich habe noch keinen gehört, der sagte: Das ist voll cool, das würde ich machen.“ Alexa Stärk, Vorsitzende des ...
„Ich habe noch keinen gehört, der sagte: Das ist voll cool, das würde ich machen.“ Alexa Stärk, Vorsitzende des Jugendgemeinderats Engen | Bild: Kerle, Helene

Alexa Stärk ist Vorsitzende des Jugendgemeinderats in Engen. Sie kennt die Pläne des Landes und hält sie für einen „interessanten Ansatz“. Sie selbst würde sich mit 18 Jahren allerdings noch lange nicht bereit für das verantwortungsvolle Amt des Bürgermeisters fühlen. Das könnte auch an ihrem Vater liegen. Patrick Stärk ist seit 2021 Bürgermeister von Mühlhausen-Ehingen. An ihm kann Alexa Stärk sehen, welche Aufgaben ein Bürgermeister zu bewältigen hat.

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Ob es für einen eben erst erwachsen gewordenen Menschen überhaupt attraktiv ist, gleich diese große Verantwortung zu übernehmen, ist für Alexa Stärk ohnehin sehr fraglich. Bei vielen ihrer Mitschüler in der Engener Abi-Klasse gehe es zunächst einmal darum, in welche Richtung das eigene Leben gehen soll: „Ich habe noch keinen gehört, der sagte: Das ist voll cool, das würde ich machen.“ Jugendliche, die Lust auf politisches Engagement haben, seien in einem Jugendgemeinderat gut aufgehoben. Darin würden sich Jugendliche um Themen kümmern, die sie auch wirklich angehen. Mitglieder eines Gemeinderates müssten sich hingegen auch mit vielen anderen Themen beschäftigen – ob mit 16 oder 66 Jahren.

Amtierende Bürgermeister sind nicht begeistert

Wenn man mit Bürgermeistern in der Region ins Gespräch kommt, ist wenig Gegenliebe für die Neuerungen zu spüren. Mit 18 Jahren hätten sie sich das Amt niemals zugetraut, sagen übereinstimmend die Bürgermeister Johannes Moser aus Engen, Patrick Stärk aus Mühlhausen-Ehingen, Marcus Röwer aus Volkertshausen und Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler. Zu einer so verantwortungsvollen Stelle gehöre für ihn neben der fachlichen Qualifikation auch ein Stück Lebens- und Berufserfahrung, so Häusler weiter.

„Man braucht einiges an Kutteln, um Bürgermeister zu sein.“ Marcus Röwer, Bürgermeister von Volkertshausen
„Man braucht einiges an Kutteln, um Bürgermeister zu sein.“ Marcus Röwer, Bürgermeister von Volkertshausen | Bild: SK

Stärk sagt, er habe sich zunächst ein Fundament für die vielen Anforderungen erarbeiten wollen, die der Beruf mit sich bringt. Und nachdem er mit 33 Jahren Vater geworden sei, habe er zunächst andere Prioritäten als den Bürgermeisterposten gehabt. Mit 50 Jahren habe er dann die Zeit als reif empfunden. Auch Moser meint, dass das Mindestalter von 25 Jahren eine gewisse persönliche Reife sichere. Röwer sagt auf gut Badisch, man brauche einiges an Kutteln, um Bürgermeister zu sein.

„Ich wollte zunächst ein Fundament für die vielen Anforderungen erarbeiten, die der Beruf mit sich bringt.“ Patrick Stärk, ...
„Ich wollte zunächst ein Fundament für die vielen Anforderungen erarbeiten, die der Beruf mit sich bringt.“ Patrick Stärk, Bürgermeister von Mühlhausen-Ehingen | Bild: Holle Rauser

Dass bei der Neuwahl neue Kandidaten zugelassen werden, habe sich in Baden-Württemberg bewährt, sagt Moser, der auch Kreisvorsitzender des Gemeindetags ist: „Das ist aus demokratischer Sicht auch nicht abzulehnen.“ Und: „Die kommunalen Gremien haben ablehnend Stellung genommen.“ Röwers Wahrnehmung ist, dass man mit der Stichwahl ohne Not eine Neuregelung treffe. Und auch Stärk sieht die Stichwahl kritisch.

Einer befürwortet die Stichwahl

Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler betrachtet die Sache anders: „Richtig finde ich, dass es bei einem zweiten Wahlgang keine Möglichkeit einer Neubewerbung gibt. Wenn man sich für eine Bürgermeisterkandidatur entscheidet, dann kann die Bürgerschaft erwarten, dass man sich bei der Erstausschreibung bewirbt“, lautet seine Haltung dazu.

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Auch bei der Altersgrenze von 16 Jahren für Gemeinderäte sind die vier Bürgermeister skeptisch – und zwar nicht wegen Qualifikation oder Engagement, sondern weil Minderjährige nicht voll geschäftsfähig sind. In einen Aufsichtsrat, wie Kommunen ihn beispielsweise für Stadtwerke haben, dürfen nur Volljährige einziehen. Außerdem könnte es Konflikte mit der Schulpflicht oder bei spätabendlichen Sitzungen mit Jugendschutz und dem Erziehungsrecht der Eltern geben, zählt Marcus Röwer auf. Für diesen Punkt des Gesetzesvorhabens fällt in mehreren Gesprächen ein Wort: unausgegoren.