Noch bevor der traditionelle Neujahrsempfang der SPD in der Engener Stadthalle begann, hatten sie sich schon positioniert: Etliche Landwirte bildeten rund um die Zufahrt zur Stadthalle ein Spalier mit ihren Traktoren und Protestplakaten. Auch die Polizei war präsent. Denn mit Gastrednerin Saskia Esken war bundespolitische Prominenz in den Hegau gekommen und als SPD-Vorsitzende zugleich eine Vertreterin der zur Zeit stark in der Kritik stehenden Ampel-Koalition. Während sich zahlreiche Engener Bürger, Gemeinderäte und Vertreter der Ortsvereine im Foyer der Stadthalle versammelten, nutzte Esken die Möglichkeit, sich mit den demonstrierenden Bauern auszutauschen. Eine Geste, die gut ankam.
Was Landwirte kritisieren
Bauern-Vertreter Stefan Leichenauer konnte der SPD-Vorsitzenden die Probleme erläutern: „Diese Gegend ist eine starke Tourismusregion, wenn wir sie nicht hegen und pflegen, dann sieht es für diese Branche genauso schlecht aus“, so der Landwirt im Blick auf den Landschaftsschutz durch die Bauern. „Wir sind alles Familienbetriebe und über Generationen gewachsen. Mit noch mehr Auflagen verdienen wir kein Geld mehr“, so Leichenauer. Der Markt könne dies nicht ausgleichen. „Wir können nicht zehn Prozent mehr verlangen.“
Saskia Esken äußerste Verständnis für das Anliegen. Sie stamme selbst aus dem ländlichen Raum und einer für die Landwirtschaft topografisch schwierigen Landschaft. „Ich glaube es war gut, dass ihr laut wart, auf der Straße. Wir hoffen, dass das, was die Kommission Landwirtschaft erarbeitet, uns weiterbringt“, äußerte sie Verständnis für die Proteste.
„Wir leben in einer Zeit, die aufwühlt. Ich hätte nie gedacht, dass der Neujahrsempfang einmal unter Polizeischutz stattfinden muss“, begrüßte Engens SPD-Fraktionsvorsitzender Tim Strobel als Gastgeber. Neben Saskia Esken waren auch die Abgeordneten Lina Seitzl, Hans Peter Storz und der DGB-Kreisvorsitzende Klaus Mühlherr gekommen.
Zugleich machte Strobel deutlich, dass sich die Landwirte um den BLHV-Kreisverbandsvorsitzenden Stefan Leichenauer immer deutlich von rechten Trittbrettfahrern distanziert hätten. „Es ist schön, dass wir vorab ins Gespräch kommen konnten“, so Strobel. „Ich finde nicht alle Proteste in dieser Schärfe gut. Aber die Bedingungen für kleine Landwirtschaftsbetriebe sind schwierig und das Ergebnis einer jahrzehntelang verkorksten Landwirtschaftspolitik. Da macht es sich die Opposition einfach“, so Strobel.

Auch Engens Bürgermeister Frank Harsch fand lobende Worte: „In Zeiten der Unsicherheit ist es wichtig, ins Gespräch mit den Betroffenen zu kommen. Sie haben nicht den Hintereingang genommen, sondern sind auf die Bauern zugegangen. So muss es sein“, so Harsch zu Esken. „Man müsse die Leute mitnehmen“, sagte auch der Landtagsabgeordnete Hans Peter Storz in seinem Grußwort: Man habe gute Lösungen, dürfe aber auch nichts versprechen, was man nicht halten könne.

Gastgeber Tim Strobel warnte in seiner Ansprache davor, dem Rechtsruck im Land tatenlos zuzusehen: „In wenigen Tagen jährt sich die Befreiung Auschwitz zum 79. Mal, wir dürfen nicht vergessen, was geschehen ist. Wir sehen, was in den europäischen Nachbarländern passiert, wenn rechtspopulistische Parteien an die Macht kommen: Die Pressefreiheit wird eingeschränkt, Frauenrechte werden geschröpft und der Sozialstaat ausgehöhlt. Antidemokraten und Faschisten sind nie eine Alternative!“, so Strobel.
Warum sie die AfD so kritisch sieht
Ähnlich äußerte sich auch Esken in ihrer Ansprache: „Die AfD bespielt in all den Krisen die negativen Emotionen der Menschen: ihre Erschöpfung, ihre Angst, ihre Wut“, erklärte Esken. Die AfD sei der parlamentarische Arm des rechten Netzwerks. Und dieses Netzwerk sei extrem gefährlich. Mit ihrem menschenverachtenden Konzept zur Ausweisung von Migranten hätte es ein verheerendes Signal gesendet. „Es geht hier um unsere Mitschüler, Kollegen und Nachbarn“, so Esken. „Und es macht mich stolz, dass Hunderttausende jetzt zeigen: Wir sind ein Volk, wir sind viele, wir halten zusammen.“

Die Ausgrenzung der AfD treffe auch Kommunalpolitiker und Journalisten. „Wir werden nie zulassen, dass Nazis in die Nähe der Macht kommen, und wir sollten nicht zu lange warten, bis die AfD zu relevant geworden ist“, sagte Esken mit Verweis auf das nicht erfolgte Verbot der NPD, die als zu wenig relevant beurteilt worden war.
Im Kampf gegen rechts müsse man deutlich machen, was die Politik der AfD bedeute: Die AfD stelle sich zum Beispiel an die Seite der Landwirte. „Aber im Programm der AfD wird die Abschaffung der Subventionen verlangt. Sie stellt sich als Partei der kleinen Leute dar, aber sie ist gegen den Sozialstaat, gegen den Mindestlohn“, so Esken.
Die Forderung, die EU zu verlassen, würde für Deutschlands exportorientierte, international agierende Unternehmen und ihre Beschäftigten den Ruin bedeuten. „Ich finde gut, dass Gewerkschaften, Unternehmensspitzen und -verbände mobil machen.“
Hinter der Ampel-Regierung liege ein heftiges Jahr voller Herausforderungen und Krisen. Die Stimmung im Land könnte kaum aufgeheizter sein. „Die Menschen sind erschöpft und wütend zugleich“. Aber die Ampel-Regierung habe auch eine gute Bilanz, zählte sie auf.
Jetzt gehe es darum, ein weiteres schwieriges Jahr zu meistern. „Vor uns liegen wichtige Wahlen: Zum Europäischen Parlament, Kommunalwahlen und drei Landtagswahlen. Das ist eine Kraftanstrengung, bei der wir mit Aktionen präsent sein müssen. Ihr müsst den Menschen Zuversicht machen“, appellierte sie an die anwesenden Mitglieder. „Ein besseres Morgen ist möglich und wir wollen, dass keiner zurückbleibt.“