Haben Sie momentan auch das Gefühl, dass Werte an die Wand gefahren werden? Aus Mutwillen und Zerstörungswut, aber auch aus kühl kalkulierendem Opportunismus. Wobei es immer weniger Sinn macht, über diese Dinge zu diskutieren – zumindest in den sozialen Medien.

Früher liebte ich es, auf Facebook eine Art öffentliches Tagebuch zu führen. Ich schätzte den Austausch und die Anregungen, die ich in beruflicher Hinsicht erhielt. Ich stellte mich Diskussionen und führte harte, aber auch bereichernde Gespräche. Das ist vorbei. Irgendwann kippte es. Verwahrlosung und Verrohung der Sprache wurden unerträglich.

Mein Algorithmus war einigermaßen gut trainiert, aber auch ich hatte Mühe, aus der Flut von Absurditäten etwas Seriöses herauszufischen. Ich wurde müde. Facebook wurde zuerst uninteressant, dann zum Blick in ein Höllenloch, den ich mir nicht mehr antun wollte.

Unterhaltung mit echten Menschen gesucht

Von X hatte ich mich schon am Tag der Übernahme durch Musk abgemeldet. Ein paar digitale Räume im Universum des Mark Zuckerberg habe ich mir noch erhalten und pflege sie sorgfältig. Das meine ich wörtlich: Ich schaue, dass ich dort mit echten Menschen zu tun habe. Manche nennen es „Bubble“, aber für mich ist es eine Basis, von der aus ich mich informiere und austausche. Mit Autorinnen und Illustratoren zum Beispiel. Mit Menschen, die sich, so wie ich, für politische Gefangene einsetzen. Gartenliebhaberinnen, Radreisende und Naturfotografen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Aber auch hier wackelt es, und manchmal habe ich Lust einfach abzuschalten.

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Aber vielleicht wäre Umschalten die bessere Idee? Gruppen und Initiativen in der Region besuchen, die sich mit den angesagten Themen rund um Demokratie, Kultur und Migration vor der eigenen Haustür auseinandersetzen. Das müssen keine Parteien sein. In letzter Zeit ist hier vieles entstanden, das Hoffnung macht und echte Begegnungen ermöglicht. Umschalten ginge auch digital: Meine Hoffnung ist, dass immer mehr Menschen sich erschrocken und angewidert von den gängigen Plattformen abwenden.

Wo sind die neuen Kommunikationsräume?

Eine neue, wichtige Aufgabe erwächst den Qualitätsmedien in diesen Zeiten: Sie sollten mehr Räume anbieten für eine Kommunikation, die respektvoll und fundierter wird.

Mein Traum wäre es, dass sich auf Facebook nur noch Fake-Profile miteinander unterhalten, dass dort Bots im Minutentakt sich gegenseitig Nachrichten um die Ohren hauen, die aus Putins Trollfabriken stammen. Solange, bis die Kanäle am eigenen Mist ersticken, den sie ungebremst produzieren. Wir, die wir wirklich miteinander Ideen für eine bessere Zukunft entwickeln wollen, treffen uns dann nämlich längst ganz woanders. Nur muss dieses „ganz woanders“ erst geschaffen werden. Auch durch unser Klickverhalten.