Seit Januar 2019 ist ihr Platz freitags auf der Straße. Schüler demonstrieren in Konstanz regelmäßig für eine deutlich ambitioniertere Klimapolitik. Sie rütteln auf und kommen schließlich mit dem Konstanzer OB und Vertretern des Gemeinderats ins Gespräch. Am 2. Mai 2019 kommt es zu einem Ergebnis, das alle verwundert: Konstanz erklärt als erste deutsche Stadt den Klimanotstand. Die Medienaufmerksamkeit an diesem 2. Mai 2019 ist groß: Auch in der Tagesschau wird über die erste Klimanotstand-Stadt am Bodensee berichtet.
In den Folgemonaten macht sich die Stadt auf den Weg, mit der Klimapolitik ernst zu machen: mit dem Ziel, im Jahr 2035 klimaneutral zu werden. Was ist aus den Schülern geworden, die das Klassenzimmer gegen die Straße eintauschten? Und wie blicken sie auf die Konstanzer Klimapolitik?
Jannis Krüssmann begleitete 2019 federführend die Gespräche mit dem OB. Wie blickt er nach fünf Jahren auf die Klimapolitik seiner Heimatstadt? „In Konstanz war das damals ein Riesending“, erinnert sich der heutige Jurastudent, „der einstimmige Beschluss des Gemeinderats, der Oberbürgermeister mit an Bord, die Stimmung, dass man das endlich angehen will. Wir hatten große Hoffnungen.“
Wenn er jetzt etwa zweimal pro Jahr aus Bonn nach Konstanz kommt, fällt Jannis Krüssmann der Mangel an Veränderung auf: „Wenn ich herkomme, ist alles wie immer. Die Laube ist voller Autos. Es gibt immer noch Debatten über den autofreien Stephansplatz.“ Dass es so wenig sichtbare Veränderung geben werde, hätte er nicht gedacht. Bei der Erklärung des Klimanotstands sei die Rede davon gewesen, dass man dem Thema „höchste Priorität“ beimesse. Demgegenüber könne er nicht verstehen, wie man in Konstanz „immer noch so vor sich hintrödelt“.

Das Engagement der Fridays sieht er weiter positiv, wenn auch nicht mehr durch eine optimistische Brille. „Wir haben damals vieles angestoßen – aber die Beharrungskräfte in Politik und Wirtschaft haben wir unterschätzt.“ Für ihn bleibt der Klimaaktivismus ein bestimmendes Lebensthema, „ich kann ihn jetzt qualifizierter betreiben.“ Jannis Krüssmann ist weiter bei Fridays for Future aktiv – in der Rechtsberatung von Ortsgruppen. Was ihm heute klar ist: „Es braucht den Druck von der Straße, aber auch aus den Institutionen.“
„Wir waren total euphorisch“
Frida Mühlhoff war 15 Jahre alt und ebenfalls Schülerin, als sie die Erklärung des Klimanotstands erlebt. „Ich war dabei, habe aber wegen meines geringen Alters noch viel zugeschaut“, sagt sie rückblickend. Das hält sie aber nicht davon ab, eines der ersten Interviews für die Tagesschau zu geben.
„Wir waren total euphorisch“, erinnert sich Frida Mühlhoff, die jetzt in Berlin lebt und dort ein Freiwilliges Politisches Jahr (FPJ) bei der Klima-NGO Germanwatch absolviert. Dann erläutert sie, warum sie damals daran glaubten, dass der 2. Mai 2019 vieles ändern würde. „Wenn man so jung ist, hat man die Idee, dass Politik änderbar ist, wenn man nur die richtigen Argumente hat und die Konsequenzen offensichtlich sind.“ Logik und Vernunft als politisches Prinzip – das hat schon manchen jungen Politiker beflügelt.

Erklärt man einen Notstand, dann müssten die Veränderungen in dieser Stadt fundamental sein. „Ich dachte, dass Konstanz fünf Jahre später die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands sein werde, dass an den Straßenrändern Cafés entstünden und auf ehemaligen Parkplätzen Spielplätze.“ Diese Sichtbarkeit der Veränderung jedoch sei ausgeblieben.
Wenn es auch um ihre Zuversicht schlecht bestellt ist, aufgegeben hat Frida Mühlhoff das Engagement fürs Klima nicht. Aus einer humanitären Perspektive besteht aus ihrer Sicht sogar die Pflicht, sich weiter einzusetzen. „Ich bin resigniert und doch motiviert“, sagt sie. Schließlich sei jedes Zehntel Grad, das die Erderwärmung nicht steigere, wertvoll. Nach ihrem FPJ will sie nach Freiburg umziehen und dort eine Ausbildung auf einem Biolandhof beginnen. Ihr Engagement für die Fridays will sie fortsetzen.
Zoe Blumberg ist nicht mehr bei den Aktivisten
Auch Zoe Blumberg erinnert sich an die Tage um den 2. Mai 2019 als eine Zeit des Aufbruchs. „Ich war sehr optimistisch“, sagt sie und es habe Spaß gemacht, die Rede zum Klimanotstand zu schreiben, die damit verbundenen Gefühle an die Öffentlichkeit zu adressieren. Zugleich sei sie skeptisch gewesen und habe schon damals befürchtet, dass Kommunalpolitiker den Akt als Symbolpolitik für die Selbstdarstellung missbrauchen würden. „Der Klimanotstand war eine gute Grundlage“, sagt die heute 22-Jährige. „Aber mir war klar, dass man die Stadt damit rechtlich nicht festlegen kann.“
Zoe Blumberg studiert Germanistik in Leipzig und hat nach eigener Aussage keinen Einblick mehr darin, wo Konstanz klimapolitisch steht. Sie wisse, dass „Konstanz irgendwie am Thema dran ist“. Für sie persönlich sei das Engagement bei den Fridays eine erste Politisierung gewesen, inzwischen empfinde sie die Bewegung nicht mehr als politische Heimat. Aktuell habe sie sich dem Sozialistisch-Demokratischen Studierendenbund angeschlossen und beschäftige sich intensiv mit dem Krieg in Palästina. „Ich glaube nicht mehr daran, dass sich die Klimakrise und die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch ein Agieren innerhalb der Parlamente lösen lassen“, meint Zoe Blumberg.