Quina macht das, was ein Welpe nun mal macht, wenn er mit einem Menschen auf der anderen Seite eines Zaunes spielen möchte: Das wenige Monate junge Boxer-Weibchen versucht, sich unter der Absperrung durchzuzwängen.
Hürden? Grenzen? Sind Quina egal. Frauchen Vivienne steht auf der einen Seite des Grenzzaunes, Marc auf der anderen. Quina würde gerne rüber und sich austoben, darf aber nicht.
Lauter Pärchen – getrennt durch einen Zaun
Da geht es dem Hund so, wie derzeit vielen Menschen. An diesem herrlichen Freitagnachmittag stehen entlang der Kunstgrenze Dutzende von Menschen auf beiden Seiten des Zaunes, der zur Eindämmung des Corona-Viruses seit rund zwei Wochen hier steht. „Als ob ein Virus sich dadurch stoppen lassen würde“, sagt Kati Sallai-Balog aus Litzelstetten.

Ihr Lebensgefährte Adrian Lottenbach wohnt im schweizerischen Goldach. Heute sehen sie sich zum ersten Mal seit zwölf Tagen. „Wir saßen am Sonntagabend zusammen, als wir im Fernsehen von der Schließung der Grenze erfuhren“, erinnern sie sich.
Treffen (fast) nur in der digitalen Welt
In aller Frühe fuhr die Übersetzerin zurück nach Konstanz. Seither ist die Beziehung zu Adrian auf Telefonate, Textnachrichten und gelegentliche Treffen am Grenzzaun beschränkt.
„Ich verstehe nicht, warum es für Menschen wie uns keine Ausnahmen gibt“, erzählt sie. „Wenn wir verheiratet wären, dürften wir hin- und herpendeln. Das ist doch absurd.“ Das Paar tauscht Lebensmittel aus: Kaffee und Schokolade gehen nach Deutschland, frische Gewürze in die Schweiz.
Ein gemeinsames Bier hebt die Stimmung, auch wenn die Aussicht auf unbestimmte Zeit ohne die gewohnte Nähe zum geliebten Menschen eher frustrierend wirkt. „Aber wir müssen das Beste daraus machen“, sagt Adrian Lottenbach schließlich. „Irgendwann ist diese Zeit auch vorbei.“

Christine Schäfer kommt hinzu. Auch ihr Freund wohnt in der Schweiz. Heute aber hat er keine Zeit für die emotionale Grenzbegegnung. „Das kann mir doch keine erklären, dass das Sinn machen soll“, sagt sie und blickt über den Zaun.

„Manche dürfen über die Grenze so oft, wie sie wollen, nur weil sie einen anderen Pass oder einen anderen Wohnsitz haben. Das ist inkonsequent. Ich sehe so keinen Sinn in der Schließung der Grenze. Ich wäre dafür, sie sofort wieder zu öffnen.“
Alle paar Minuten läuft ein Mitarbeiter einer Schweizer Sicherheitsfirma mit Schäferhund entlang des Zaunes und kontrolliert die Liebenden. „Abstand, bitte“, ruft er laut. „Seid vernünftig. Nicht in größeren Ansammlungen zusammen stehen.“

Die Reaktionen? Eher zurückhaltend. Eine kleine Gruppe, drei Personen auf Deutscher, zwei auf Schweizer Seite, trinkt gemeinsam eine Flasche Sekt. Sie vergrößern den Abstand untereinander ein wenig, lassen sich aber nicht aus der Ruhe bringen.
3000 Euro bei illegaler Überschreitung der Grenze
Der Mann mit Hund weiß offenbar, dass seine Patrouillengänge eher symbolische Bedeutung haben und unerwünschte Grenzgänger abschrecken sollen. Das Überqueren des Zaunes jedenfalls ist teuer: 3000 Euro Strafe droht jedem, der sich nicht an die Regel halten möchte.
Angela Egger aus Steißlingen arbeitet in Konstanz. Eine ihrer Töchter wohnt in der Schweiz und ist dort verheiratet. Hier an der Grenze hat sie die Möglichkeit, ihre Enkel Marlon und Mateo zu sehen. Oma und Enkel nutzen den Zaun kurzerhand als Netz und spielen Fußballtennis und Volleyball.

„Das ist zwar nicht so schön wie ein richtiger Besuch“, sagt Angela Egger. „Aber besser, als meine Familie aus der Schweiz gar nicht zu sehen.“ Am 5. April wird Marlon sechs Jahre alt. „Wir werden hier feiern“, kündigt Mutter Laura Koster an.
Wohnsitz in der Schweiz, Freunde in Konstanz
Christine Egli, Leiterin Wissenschaft und Forschung am Napoleon Museum in Salenstein, wohnte lange Zeit unweit der Grenze auf Deutscher Seite. „Der Großteil meines Freundeskreises wohnt in Konstanz„, erzählt die Französin und hat auch gleich einen charmanten, aber nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, wie man mit der neuen Situation umgehen könnte: „Wieso stellen wir nicht auf beiden Seiten mit dem nötigen Abstand zueinander Stühle und Tische auf und bewirten die Menschen bei ihrer Begegnung?“

Die Historikerin lacht herzlich und sagt zum Abschied: „Diese Grenze ist wirklich sehr komisch und passt irgendwie nicht.“ Fünf Meter neben ihr sitzt Boxer-Weibchen Quina, blickt sehnsüchtig durch den Zaun. Würde sie reden können: Christine Egli könnte sich ihrer bedingungslosen Zustimmung sicher sein.