Udo Brauer ist einiges gewohnt als LKW-Fahrer. Der Mann aus Nordrhein-Westfalen steht mit seinem Lastwagen auf der Europastraße, den Rhein im Rücken, die Schweiz vor Augen. Ein Stau wie der am Dienstag vor dem Grenzübergang Autobahn kann ihn nicht aus der Ruhe bringen.

LKW-Fahrer Udo Brauer aus Krefeld konnte der lange Stau nicht aus der Ruhe bringen. „Brummi-Fahrer sind einiges gewohnt.“
LKW-Fahrer Udo Brauer aus Krefeld konnte der lange Stau nicht aus der Ruhe bringen. „Brummi-Fahrer sind einiges gewohnt.“ | Bild: Schuler, Andreas

„Ich stehe jetzt rund anderthalb Stunden in der Schlange“, erzählt er. „Alle paar Minuten geht es ein paar Meter weiter. Da vorne ist ja schon die Grenze. Alles im Normalbereich.“ Er liefert Zucker von Krefeld nach Bischofszell im Thurgau. „Das ist ja nicht weit vom Übergang entfernt. Jetzt geht‘s wieder voran. Auf Wiedersehen.“

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Bild: Schuler, Andreas

Ein paar Laster hinter ihm sitzt Sergej Klimovets aus Lettland im Führerhäuschen seines riesigen Trucks und zieht an einer Zigarette.

Seit mehr als zwei Wochen ist er auf Europas Straßen unterwegs. Zunächst brachte er ein paar hundert Autoreifen nach Frankreich.

„Wir verbringen unser halbes Leben im Stau“

Nun ist er auf den Weg ins Tessin, um von dort Gewürze und Fertiggerichte in seine Heimat zu transportieren. „LKW-Fahrer stehen ihr halbes Leben im Stau. Das macht uns nichts aus“, sagt er. „Hier in dieser Stadt habe ich schon ein paar Mal länger gewartet. Alles in Ordnung.“

Die Europastraße, ein einziger Stau. Der Dienstagmorgen nach der Grenzschließung.
Die Europastraße, ein einziger Stau. Der Dienstagmorgen nach der Grenzschließung. | Bild: Lukas Ondreka

Da die Übergänge Emmishofen und Tägerwilen geschlossen wurden, konzentriert sich der gesamte motorisierte Verkehr auf den Autobahnzoll. Weshalb auch die zweite Spur zeitweise verstopft ist mit Personenkraftwagen.

Am Dienstagmorgen stauten sich die LKWs vom Übergang Autobahn bis weit ins Industriegebiet und noch weiter.
Am Dienstagmorgen stauten sich die LKWs vom Übergang Autobahn bis weit ins Industriegebiet und noch weiter. | Bild: Scherrer, Aurelia

Der zweite, am Dienstag offene Übergang am Kreuzlinger Tor ist lediglich für Radfahrer und Fußgänger passierbar. Ein Grund, warum ab Mittwoch der Emmishofer Zoll wieder öffnet und dafür das Kreuzlinger Tor dicht gemacht wird.

Serdar Kokal. Deutscher Staatsbürger, der mit seiner Familie in der Schweiz wohnt und arbeitet.
Serdar Kokal. Deutscher Staatsbürger, der mit seiner Familie in der Schweiz wohnt und arbeitet. | Bild: Schuler, Andreas

Wir sind die Grenze abgegangen und mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen. „So muss es in Berlin gewesen sein, als die DDR noch existierte“, sagt Serdar Kokal. Der Konstanzer, der schon seit vielen Jahren in Kreuzlingen wohnt, hat das Privileg, dass er nach Belieben hin und her pendeln darf, dank seines Wohnsitzes in der Schweiz und der deutschen Staatsbürgerschaft.

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„Wir sollten auf den Staat hören“

An diesem Dienstagmorgen erledigt er ein paar Dinge in Konstanz, bevor er am Übergang Kreuzlinger Tor wieder zu seiner Familie zurückkehrt. „Wir haben eine zweieinhalbjährige Tochter und erwarten unser zweites Kind. Da macht man sich schon Gedanken“, erzählt der 37-Jährige. „Wir sollten alle auf den Staat hören und alles machen, damit sich das Virus nicht ausbreitet.“

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Das Baby kann jederzeit kommen. Eigentlich war geplant, dass Serdars Eltern auf die Tochter aufpassen, wenn die Wehen einsetzen. „Das klappt jetzt aber nicht, weil sie ja nicht einfach so rüberkommen dürfen.“

Nicht nur Toilettenpapier – auch Schmerzmittel werden gehortet

Serdar Kokal arbeitet im Kanton Thurgau bei einem Pharmaunternehmen als Projektmanager und Assistent der Geschäftsführung. „Wir versorgen Apotheken und Drogerien“, erklärt er. „Es ist wirklich extrem, was da abgeht. Die Leute decken sich mit allem ein. Nicht nur mit Toilettenpapier, sondern zum Beispiel auch mit Schmerzmitteln.“ Der in der Region bekannte, langjährige Fußballer diverser Konstanzer, Singener und Kreuzlinger Vereine versucht, die Situation pragmatisch zu sehen. „Wir müssen versuchen, das Beste daraus zu machen. Es geht uns ja allen gleich.“

Konstanz als Endstation auf dem Weg nach Zürich

Neben Serdar Kokal steht Gert Harms. Der Rechtsanwalt aus Norddeutschland, der früher in Konstanz lebte und studierte, hat einen Zwischenstopp bei Freunden gemacht, wollte eigentlich zu einem wichtigen geschäftlichen Termin nach Zürich. Die Beamten jedoch verweigern ihm den Zugang zur Schweiz. „Ein Anwaltstermin ist kein triftiger Grund“, erklärt der Beamte freundlich und ruhig.

Auf dem Weg von Norddeutschland nach Zürich in Konstanz „gestrandet“: Gert Harms.
Auf dem Weg von Norddeutschland nach Zürich in Konstanz „gestrandet“: Gert Harms. | Bild: Schuler, Andreas

Gert Harms ist zwar sichtlich frustriert, doch er hat auch Verständnis. „Das ist sehr ärgerlich, aber die Beamten machen auch nur ihren Job.“ Die Zöllner berichten ihrerseits von gelassenen und verständnisvollen Menschen: „Fast alle, die hierher kommen und die wir wegschicken müssen, gehen sehr gut mit der Situation um.“

Christina Diederich ist zur Grenze geradelt, um sich über den Stand der Dinge direkt vor Ort zu informieren.
Christina Diederich ist zur Grenze geradelt, um sich über den Stand der Dinge direkt vor Ort zu informieren. | Bild: Schuler, Andreas

Die Konstanzerin Christina Diederich arbeitet in einer Tankstelle in Kreuzlingen. hat diese Woche aber Urlaub. Sie sucht am Emmishofer Zoll den Kontakt zu den Schweizer Grenzbeamten, die hinter der Absperrung ihren Dienst schieben. „Wenn Sie eine Grenzgängerbewilligung vorlegen können, dürfen sie die offenen Übergänge passieren“, wird sie aufgeklärt.

„Ich habe viel Kundenkontakt“

„Ich bin jahrelang einfach so rüber zur Arbeit gegangen, ohne darüber nachzudenken“, erzählt Christina Diederich. „In solch einer Situation lernt man, wie angenehm offene Grenzen sind.“ An diesem Morgen hatte sie im SÜDKURIER gelesen, dass die Grenzen nun beidseitig geschlossen werden und nur noch Pendel- und Warenverkehr gestattet ist. „Ich persönlich aber habe mein Verhalten nicht grundlegend geändert. Bei der Tankstelle habe ich ja sehr viel Kundenkontakt.“

Hermann Hummel vor der verschlossenen Grenze in der Wiesenstraße. Im Hintergrund das alte Zollhäusle auf Schweizer Seite.
Hermann Hummel vor der verschlossenen Grenze in der Wiesenstraße. Im Hintergrund das alte Zollhäusle auf Schweizer Seite. | Bild: Schuler, Andreas

Hermann Hummel steht am Übergang Wiesenstraße und schüttelt den Kopf. „Ich habe schon als Kind in Stadelhofen gewohnt und alle Entwicklungen dieser Grenze erlebt.“ Zunächst war hier ein ganz regulärer Übergang mit Grenzhäusern auf beiden Seiten – das Schweizer Häuschen steht immer noch, ist mittlerweile aber ein Wohnhaus. Dann wurde der Übergang geschlossen und ein Zaun errichtet. 2009 schließlich wurde der Zaun entfernt und die Grenze geöffnet. Jetzt sind die beiden Städte wieder getrennt.

„Hype oder sinnvoll? Ich weiß es nicht“

„Ist das übertrieben? Ist das alles nur ein Hype? Ich weiß es nicht“, sagt er. „Immerhin sterben die Menschen ja tatsächlich an dem Virus. Ich kann das alles nicht wirklich einschätzen.“ Trotzdem treibt es ihn um. Daher kam der Unternehmer auch hierher, um sich persönlich ein Bild von der Schließung zu machen. „Irgendwann werden wir wissen, ob diese Maßnahmen richtig waren.“

Dienstagmittag vor dem Lago: Von Menschen keine Spur.
Dienstagmittag vor dem Lago: Von Menschen keine Spur. | Bild: Schuler, Andreas

Nebenan im Lago herrscht eine gespenstische Stille. Die Gänge sind menschenleer, obwohl die Geschäfte an diesem Mittag regulärer geöffnet sind. Zwei Verkäuferinnen sind bereit zu reden, möchten jedoch nicht mit Namen genannt werden. „Keine Schweizer, keine Kunden“, sagt die eine. „Ich stehe seit ein paar Stunden herum und habe fast nichts zu tun, gestern auch schon. Wie lange kann das noch so weitergehen? Was, wenn es monatelang so bleibt und wir unsere Jobs verlieren? Ein Albtraum.“

Konstanz, Bahnhofsplatz. Auch hier sind zur Mittagszeit kaum Menschen unterwegs.
Konstanz, Bahnhofsplatz. Auch hier sind zur Mittagszeit kaum Menschen unterwegs. | Bild: Schuler, Andreas

Zhuri Adem sitzt in seinem Taxi am Bahnhof und wartet auf Kundschaft. Die Uhr zeigt 12.30 Uhr. „Seit acht Uhr hatte ich erst zwei Kunden mit Kurzfahrten“, erzählt er. „Normal sind es an so einem Tag in diesem Zeitraum mindestens zehn.“ Nachts ist er nicht mehr unterwegs, da Discos und Kneipen dann nicht mehr geöffnet sind.

Existenzängste wegen der ausbleibenden Arbeit

„Ich habe Angst um meinen Job“, sagt Zhuri Adem. „Ich habe Familie mit drei Kindern. Seit zehn Jahre fahre ich Taxi. So etwas habe ich aber noch nie erlebt.“ Er fürchtet außerdem, sich bei Kunden anzustecken.

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„Die Menschen sitzen vorne, direkt neben mir. Ich kann ältere Herrschaften ja nicht auffordern, auf der Rückbank Platz zu nehmen.“ Der 50-jährige hat sich mittlerweile eine Flasche mit Desinfektionsmittel besorgt. „Masken oder dünne Handschuhe sind ja überall ausverkauft. Wahnsinn.“

Die Bodanstraße am Dienstagmittag. Kaum Autos, kaum Menschen.
Die Bodanstraße am Dienstagmittag. Kaum Autos, kaum Menschen. | Bild: Schuler, Andreas