Oliver Kratzer kniet vor einem dunklen Loch. Gerade hat er einen bräunlich glitzernden 200 Gramm schweren Köder mit einem Draht verbunden. Jetzt lässt er das Lockmittel den Kanalschacht hinunter. „Hier ist es vergleichsweise ruhig“, meint der Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe beim Blick in die Tiefe. „Manchmal machen wir den Kanaldeckel auf und hören es direkt schon Pfeifen und Quieken.“

An diesem Vormittag ist Oliver Kratzer mit seinem Kollegen Uwe Giermann in Litzelstetten im Einsatz. Beide sind ausgebildete Nagerbekämpfer. Zusammen mit drei Kollegen kümmern sie sich um die unterirdische Rattenbekämpfung im öffentlichen Raum. Keine leichte Aufgabe, denn rein zahlenmäßig sind die Männer in Orange ihren Gegnern hoffnungslos unterlegen. „Natürlich kann man so etwas nicht wirklich nachzählen, aber ich schätze, dass auf einen Konstanzer eine bis drei Ratten kommen“, meint Uwe Giermann.
Er muss es wissen. Seit fast 30 Jahren hat der kräftig gebaute Mann beruflich mit der Kanalisation zu tun. In dieser Zeit sei die Zahl der Ratten relativ konstant geblieben, erzählt er. Spezielle Ratten-Hotspots ließen sich auch dank des Einsatzes der Entsorgungsbetriebe nicht ausmachen. Generell gelte aber die Faustregel: „Ratten findet man dort, wo sie etwas zu fressen finden." Im Freien würden die Tiere ihre Nester mindestens einen halben Meter tief in die Erde eingraben, zum Beispiel auf Wiesen oder unter Komposthaufen. Man finde Ratten aber auch in stillgelegten Kanälen vor.
„Wir bekommen auch öfters mal Bescheid, wenn am Herosé-Park wieder fünf, sechs über die Wiese huschen“, ergänzt Oliver Kratzer. „Kein Wunder: Von Pizza- und Burgerresten bis hin zu weggeworfenen Brötchen findet man dort ja alles.“
Rattenfütterung am Sternenplatz
Einige Kilometer entfernt, im Büro der Entsorgungsbetriebe, geht Lothar Blasi sogar noch einen Schritt weiter: „Der Bürger hat selbst in der Hand, wie viele Ratten es gibt“, betont der Leiter des Konstanzer Kanalbetriebs. Warum? „Müll zieht Ratten magisch an.“ Deshalb sei es extrem wichtig, keine Speisereste im Freien liegen zu lassen. „Leider haben manche Konstanzer damit so ihre Probleme. Ich habe am Sternenplatz sogar schon eine alte Dame dabei beobachten müssen, wie sie eine Ratte gefüttert hat“, berichtet Blasi. Aus seiner Sicht genauso schlimm: Wenn Bürger ihren Gelben Sack schon mehrere Tage vor dem eigentlichen Abholungstermin auf die Straße stellen – für Ratten ein gefundenes Fressen.
Dasselbe gelte für Essensreste wie Fleisch und Nudeln auf dem Kompost. Lothar Blasi empfiehlt weiter, dass man seinen Müll nicht zu weit fernab vom Haus lagert. „Ratten sind am liebsten ungestört, deshalb ist es sinnvoll, die Mülltonnen an einen Ort zu stellen, an dem öfters Menschen vorbeikommen.“ Wichtig sei auch, dass man keine Essensreste die Toilette herunterspült. Denn auch wenn die Nager ihre Nester nicht direkt in die Kanalisation bauen, sondern diese meist eher als Wegenetz nutzen, könnten sie doch durch Speisereste im Abwasser angelockt werden.
Apropos Toilette: Was ist eigentlich dran an dem urbanen Mythos, dass sich Ratten die Rohrleitungen hoch bis ins Badezimmer vorwagen können? „Tatsächlich hatten wir einmal den Fall, dass eine Frau in ihr Bad gekommen ist und eine Ratte unter dem Klodeckel eingeklemmt war“, blickt Blasi zurück. „In den vergangenen zehn Jahren ist aber nie wieder etwas Vergleichbares vorgefallen,“ beeilt er sich zu betonen.
Lernfähige Nager
Erstaunlich trotzdem, zu was Ratten alles in der Lage sind: „Sie sehen sehr gut im Dunkeln, können schwimmen, tauchen und sogar auf dem Seegrund laufen“, zählt Blasi auf. „Außerdem haben sie einen sehr guten Geruchssinn und passen durch kleinste Löcher. Ratten können senkrecht die Wände hochklettern und mit ihren starken Zähnen sogar Zement durchbeißen.“ Einen natürlichen Fressfeind in der Tierwelt habe die Norwegische Wanderratte, die man in Konstanz vorfindet, nicht. Aber nicht nur deshalb seien die bis zu 50 Zentimeter langen Nager nicht zu unterschätzen: „Ratten sind lernfähig und in der Lage, Informationen untereinander weiterzugeben.“
Diese Ratte lebt in Konstanz
Am entscheidendsten für Menschen ist wohl die Information, dass Ratten nicht unbedrohlich sind. „In seltenen Fällen können sie Krankheiten wie die Pest und Tollwut übertragen.“ Vergleichsweise häufig komme es vor, dass sich Menschen über Rattenkot mit Salmonellen infizieren.
Es stellt sich die Frage, wie man in Konstanz gegen den gefährlichen Alleskönner vorgeht. Zur Erläuterung deutet Blasi auf eine Karte an der Wand seines Büros. Hier sind die Stadtteile mit roter Farbe markiert. Die Altstadt alleine ist in zehn Segmente unterteilt. „Gerade, weil es hier viel Gastronomie und damit verbunden Speiseabfälle gibt, sind wir in der Altstadt besonders aktiv“, erklärt Blasi.
Aktiv sein, das bedeutet für die Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe in erster Linie: Giftköder auslegen. „Das Gift wirkt so, dass die Ratte innerlich verblutet. Das passiert allerdings um mehrere Stunden zeitversetzt und schmerzfrei“, meint der Leiter des Konstanzer Kanalbetriebs. „Das Tier schläft quasi weg.“ Ob ein Ködereinsatz erfolgreich war oder nicht, werde minutiös beobachtet und protokolliert, sagt Blasi und verweist auf eine ganze Schrankwand voll mit Ordnern, in denen die Einsatzergebnisse abgeheftet werden.
Auch oberirdisch wird etwas getan
Alles was hier verzeichnet ist, hat mit der unterirdischen Bekämpfung der Nager zu tun. „Sobald es ins Oberirdische geht, kommen Köderboxen zum Einsatz“, erklärt Blasi. Zuständig ist hier Jörg Bambusch vom Amt für Stadtplanung und Umwelt, der in Absprache mit Blasi kommerzielle Schädlingsbekämpfer verständigt, sobald an öffentlichen Plätzen Ratten auftauchen. „Wir sprechen bestimmt alle zwei, drei Wochen miteinander“, bestätigt Bambusch. Die Kooperation sei wichtig, da man Ratten nicht punktuell bekämpfen könne. „Wenn es zu einem Befall im Freien kommt, werden deshalb immer auch die umliegenden Kanäle beködert“, erklärt der Mann vom Stadtplanungs- und Umweltamt.

Aber selbst, wenn Bambusch, Blasi und ihre Mitarbeiter ihre Aufgaben effektiv erledigen, bleiben den Ratten von Konstanz noch jede Menge Unterschlupfmöglichkeiten. Warum erklärt die Leiterin der Entsorgungsbetriebe Konstanz, Ulrike Hertig: „Wir betreiben zwar ein 297 Kilometer umfassendes Kanalnetz, aber zwei Drittel der Kanäle in Konstanz – unter ihnen einige stillgelegte – sind in privater Hand. Da haben wir leider keinen Zugriff.“ Umso wichtiger sei es, dass die Konstanzer die Augen offen halten und Stellen, an denen Ratten in besonders großer Zahl auftreten, melden. So könnten die Entsorgungsbetriebe die Bekämpfung der Tiere mit den Privatleuten oder -firmen, auf deren Grund die Nager aktiv sind, koordinieren.
Zumindest vorerst heißt es: Deckel zu
In Litzelstetten haben Uwe Giermann und Oliver Kratzer die Beköderung des Kanalschachts inzwischen abgeschlossen. Zusammen heben sie den massiven Kanaldeckel an, mit dem sie das Loch im Boden verschließen.
Beendet ist ihre Arbeit damit allerdings noch nicht. Bereits in wenigen Tagen werden die Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe zurückkehren, um zu kontrollieren, was ihr heutiger Einsatz gebracht hat.