„Das hat sich angefühlt wie eine Ohrfeige!“ Claudius Eisermann und seine Mitstreiter sind noch immer fassungslos. Der Bescheid des Bürgeramtes liegt vor ihnen auf dem Tisch. In dem mehrseitigen Papier steht, dass die Demonstration, die Eisermann gemeinsam mit anderen Konstanzer Klimaaktivisten auf dem Stephansplatz für vergangenen Samstag angemeldet hatte, verboten wird.
„Für uns ist diese Entscheidung unverständlich“, sagt er.
Das sah das Verwaltungsgericht Freiburg genauso: Es gab Eisermann einen Tag vor der angemeldeten Kundgebung Recht – und widersprach vehement der Begründung der Stadt Konstanz für das Verbot. Stattfinden konnte die Demonstration trotzdem nicht.
Aber zurück auf Anfang: Was genau war geschehen?
Claudius Eisermann gehört „Extinction Rebellion“ an, übersetzt „Rebellion gegen das Aussterben“. Diese lose Bewegung besteht aus Umweltaktivisten, die sich über die ganze Welt verteilen. Mittels zivilen Ungehorsams versuchen Anhänger, die Politik zu einem Kurswechsel in der Klimapolitik zu bewegen.
Bei ihren Aktionen gehen sie teilweise bewusst das Risiko ein, auch strafrechtlich belangt zu werden
In Konstanz plante Extinction Rebellion, eine Kundgebung auf dem Stephansplatz – allerdings ganz legal. Claudius Eisermann meldete seine Versammlung deshalb am 11. Juli ordnungsgemäß beim Bürgeramt an.
Das geplante Datum: der 27. Juli, ein Samstag.
Ziel der Aktivisten war es, den südlichen Teil des Parkplatzes für drei Stunden mit Stühlen, Sonnenschirmen und einem Pavillon zu besetzen und dadurch zweckzuentfremden: „Es werden Pflanzen, Kaffee und Kuchen mitgebracht, um den Menschen zu zeigen, wie Innenstädte auch ohne Autos schön gestaltet werden können“, schrieb Eisermann in seiner Anmeldung, die dem SÜDKURIER vorliegt, an die Stadtverwaltung.
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Stadtverwaltung Parkplätze wichtiger sind als unsere Grundrechte„
Sieben Tage später folgte dann die erste Reaktion. „Darin hieß es, die Stadt könne unsere Kundgebung aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht verantworten. Wir bräuchten eine Sondernutzungserlaubnis“, sagt Eisermann. Zudem, so die weitere Begründung, sei es der Stadt nicht möglich, zentrumsnahe Parkflächen an einem Samstag für mehrere Stunden für eine Demonstration zu sperren. Eisermann und seine Mitstreiter lachen, obwohl ihnen zum Lachen eigentlich nicht zumute ist.
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Stadtverwaltung Parkplätze wichtiger sind als unsere Grundrechte„, sagt Felix Müller, ebenfalls Klimaaktivist.
Die Stadt verwies die Gruppe deshalb auf alternative Versammlungsorte wie den Münsterplatz oder die Marktstätte. „Aber alle angebotenen Alternativen hätten dem Kerngedanken und damit dem Ziel unserer Demo widersprochen“, erklärt Eisermann. Die Gruppe lehnte ab – und schlug im Gegenzug vor, nur den nördlichen Teil des Stephansplatzes und mit ihm 40 öffentliche Stellplätze zu nutzen, da so kein Durchfahrtsverkehr existiere, der die Sicherheit gefährde. „Das wiederum lehnte das Bürgeramt ab“, sagt Eisermann.
Die Klimaaktivisten schalten das Verwaltungsgericht ein – das ihnen Recht gibt
„Es ist schon absurd. Die Stadt ruft einerseits öffentlichkeitswirksam den Klimanotstand aus. Andererseits wirft sie Menschen, die sich für das Klima einsetzen, Steine in den Weg“, sagt Arno Jucker, der dritte Mitstreiter im Bunde. Nicht der erste Vorfall in Konstanz.
Das endgültige Verbot in Form eines schriftlichen Bescheids des Bürgeramtes erreichte Claudius Eisermann schließlich am 25. Juli, zwei Tage vor der geplanten Demonstration.
Die Konstanzer Klimaschützer entschieden, sich per Eilantrag an das Verwaltungsgericht Freiburg zu wenden. Nur einen Tag später, am 26. Juli, folgte die Antwort, die auch dem SÜDKURIER vorliegt. Darin schreibt das Gericht: „Die vom Antragsteller beabsichtigen Aktivitäten sind vollumfänglich vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG umfasst.“ Und weiter: „Auch die Beeinträchtigung der Sicherheit und der Leichtigkeit des Straßenverkehrs rechtfertigen vorliegend kein Verbot der Versammlung.“
Außerdem verwies das Gericht darauf, dass in Bezug auf den Versammlungsort ein Selbstbestimmungsrecht existiere. Die Stadt müsse zudem für die nötige Sicherheit sorgen.
Mit diesem vorläufigen Urteil im Rücken legte Claudius Eisermann noch an diesem Freitag den nötigen Widerspruch gegen das Verbot des Bürgeramtes ein. „Gegen 15.30 Uhr ging mein Fax raus – aber da war offenbar niemand mehr da“, sagt er. Denn am kommenden Tag war der nördliche Teil des Stephansplatzes, anders als vom Verwaltungsgericht gefordert, nicht abgesperrt.
Die Kundgebung fiel aus.
Die Konstanzer Stadtverwaltung sagt: Sie hat erst am Montag vom Widerspruch erfahren
Claudius Eisermann lag mit seiner Vermutung richtig. Das zeigt die Antwort der Stadt Konstanz auf die Nachfrage dieser Zeitung, warum die Versammlung trotz der Entscheidung des Gerichts nicht stattfinden konnte:
„Die Stadtverwaltung hat erst am Montag, 29. Juli, davon Kenntnis erlangt, dass ein entsprechender Widerspruch eingelegt wurde“, heißt es vonseiten der Pressestelle.
Auch nach dem vorläufigen Urteil verteidigt die Stadt ihr Verbot: So sei es unverhältnismäßig, an einem Samstagmittag den Stephansplatz für eine Demonstration zu sperren. Grundsätzlich begrüße die Stadt Konstanz aber jegliche Aktivitäten für den Klimaschutz, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme weiter.
Wie geht es nun weiter?
Claudius Eisermann kann solche Aussagen nicht mehr ernst nehmen. Er aber will hart bleiben. Die Demonstration auf dem Stephansplatz hat er deshalb auf den 21. September verschoben. „Die entsprechende Anmeldung habe ich beim Bürgeramt eingereicht“, sagt er.
Reibungslos aber funktioniert es auch dieses Mal offenbar nicht, sagt Eisermann: „Wieder scheint es Gesprächsbedarf zu geben, diesmal wegen der Anzahl der Teilnehmer.“
Ob die Stadt das vorläufige Urteil des Verwaltungsgerichts akzeptiert, steht indes aus: „Die Einlegung eines Rechtsmittels seitens der Stadt wird aktuell noch geprüft“, so die Pressestelle auf Nachfrage. Und weiter: „Sobald das rechtliche Verfahren abgeschlossen ist, wird die Stadtverwaltung das Ergebnis bei erneuten Anträgen entsprechend zu Grunde legen.“