Nein, sagt Maia Amélie, die Mama ist hier nicht strenger als zuhause. Sylvia Seminara lächelt. "Beim ersten Generationenstück war das schwieriger, diese Trennung zwischen der Rolle als Mutter und Regisseurin. Jetzt haben wir das, glaube ich, gut hinbekommen". In der Hand hält Seminara einen Ordner, "Mama Sylvia" steht drauf, drinnen stapeln sich die Proben-Notizen der vergangenen Monate.

Bild 1: Warum Laientheater so viel Spaß macht - und so manche große Schauspielerkarriere inspiriert hat

Vincent muss das Licht in der dritten Szene noch optimieren, Luca auf seine Atmung beim Sprechen achten, und in die Gruppenszene muss mehr Dynamik rein. Außerdem stinken die Batterien der kleinen Leuchtschilds hinten im Eck, da muss noch mal jemand in den Baumarkt vor der Premiere. Theater, das ist irgendwie immer Improvisation, nichts funktioniert nach Schema F, das soll es auch nicht. Je kleiner das Theater, desto mehr sieht jeder Mitwirkende das große Ganze und was dahinter steckt, von der Idee bis zum Kartenvorverkauf, von der Technik bis zum Bühnenbild. Hier gibt es keine Nebenrollen, dafür umso mehr Herzblut. Und sichtlich Spaß, wie dieses Gruppen-Selfie, gemacht von Maia Amélie, zeigt.

Gruppen-Selfie kurz vor der Generalprobe: Wie auch in anderen kleinen Theatern spielen auch beim Hermes-Theater Dettingen ...
Gruppen-Selfie kurz vor der Generalprobe: Wie auch in anderen kleinen Theatern spielen auch beim Hermes-Theater Dettingen Familienmitglieder zusammen.

"Dieses Theater lässt einen nicht mehr los"

Vor zwei Jahren hat Sylvia Seminara die Leitung des Dettinger Hermes-Theaters übernommen. In den Probezeiten ist sie tagsüber Fremdsprachensekretärin an der Uni Konstanz, abends Regisseurin, Bühnenbildnerin, Technikerin und Kostümbildnerin in einem. "Dieses Theater lässt einen nicht mehr los, es ist eine Herzenssache, für jeden hier", sagt Seminara und holt aus ihrem Ordner den Zettel für die erste Szene. Das Oberschaf fehlt noch. "Wo ist das Oberschaf?" Réne Bach sprintet rein. "Schon da". Das Oberschaf ist im echten Leben Software-Entwickler. Inzwischen wohnt er wie die meisten Hermes-Mitglieder nicht mehr in Dettingen, wohnte zwischendurch in Tübingen, und kam doch immer wieder auf diese kleine Bühne zurück. Warum? "Ich bin irgendwie hängen geblieben", sagt Réne Bach und lächelt. Die Gründer Sandra und Jost Schneider, ergänzt er, "die haben uns mit ihrer Theaterverrücktheit infiziert. Diesen Geist wollen wir erhalten."

Auch Oliver Wnuk hat klein angefangen

Von Sandra und Jost Schneider infiziert wurde damals auch einer, den Réne Bach noch gut kennt und viele andere aus dem Fernsehen kennen: Oliver Wnuk. "Bevor die beiden das Hermes Theater gegründet haben, waren Sie als Leiter des Schultheaters maßgebliche Initialzünder für einige Karrieren im Schauspielbereich. So war das auch bei mir", schreibt Wnuk auf Anfrage per Mail. 1993 spielte er auf der Schulbühne Stücke von Brecht und Frisch, später beim Unitheater und 1993 bis 1995 hat Wnuk mit meinem besten Freund Herbert Sporn, der dann später über 15 Jahre einer seiner Agenten war, selbst Kabarett-Stücke geschrieben und auf kleinen Bühnen wie dem K9 und Schultheaterbühnen aufgeführt, wie zum Beispiel hier das Stück "2 Männer über Liebe" von 1994. 

Bild: privat/Oliver Wnuk
Bild: privat/Oliver Wnuk

Welche Chancen bieten gerade kleine Bühnen? "Die Frage ist gar nicht unbedingt, wo man beginnt, sondern wer dort die eigene Begeisterungsfähigkeit fördern kann", antwortet Wnuk. In Dettingen waren das Sandra und Jost Schneider, aber auch in anderen kleinen Theaterprojekten sind es meist ein oder zwei Leute, die die anderen teilweise seit Jahrzehnten mitreißen, an denen vieles hängt. Auf der Reichenau sind das Conni Eißer und Doris Halbherr, in Kaltbrunn Margret Schröder, bei der Theatergruppe des TSV Dettingen Joachim Görig. Im Gespräch sagt das keiner von ihnen, dafür die, die schon mit ihnen gespielt haben. Das Team ist am entscheidendsten, aber es braucht immer jemanden, der das Feuer macht.

Alle kleinen Theater haben eines gemeinsam: Da stehen Menschen teilweise schon über 40 Jahre zusammen auf der Bühne. Spieler, die als Jugendliche dort angefangen haben und jetzt mit ihren Kindern Theater machen. Wie zum Beispiel Réne Bach. Vor 21 Jahren stand er zum ersten Mal auf der Hermes-Bühne, inzwischen spielt er mit seinen beiden Söhnen Fynn und Matti. Jennifer Golbol spielt mit ihren Kinder Selim, Zacary und Jared. Sylvia Seminaras Tochter ruft: "Mama, wo ist das Gans-Kostüm?" und Manfred Knorr stellt sich als Opa der Truppe vor. Theater-Ensembles bezeichnen sich gerne als große Familie. Nach der letzten Aufführung gehen sie doch meist getrennte Wege. Hier sitzt man später zusammen am Küchentisch. Die Seele eines kleinen Theaters wie diesem sei das Intime, Persönliche, sagt Réne Bach. Die Bühne steht mitten im Raum, das Publikum umkreist die Theatergruppe. "Da gibt es keine Trennung". 

Bild 4: Warum Laientheater so viel Spaß macht - und so manche große Schauspielerkarriere inspiriert hat

Hier gibt es keine Nebenrollen

Ist denn hier keiner neidisch auf das große Konstanzer Stadttheater mit sechs Millionen Euro Förderung im Jahr? "Auf die technische Ausstattung vielleicht", antwortet Sylvia Seminara. "Ansonsten: Nein. Wir können hier frei arbeiten und müssen niemandem Rechenschaft ablegen". Hinzu komme: "Hier gibt es keine Nebenrollen." Und keinen Kulturausschuss, von dessen Budget-Freigabe man abhängig ist. Förderung gibt es allerdings auch keine, das ist die andere Seite der Medaille. "Wenn man aber sieht, welche Tiefe wir mit minimalem Budget Schritt für Schritt hinbekommen, ist das toll", sagt Sylvia Seminara.

Klein anzufangen kann auch heißen, große Karriere zu machen. Selim, Matti, Maia und Jared können sich auf jeden Fall vorstellen, später auch beruflich auf der Bühne zu stehen, sagen sie. Vorbilder gibt es genügend: Oliver Wnuk zum Beispiel. Seine Karriere, unter anderem in der Comedy-Serie "Stromberg" startete auf kleinen Bühnen in Konstanz. "Partout ist die Schauspielerei kein Beruf, den ich bedingungslos empfehlen möchte", schreibt Wnuk. Von Jahr zu Jahr werde es enger und die Aussicht irgendwann von seinem Beruf leben zu können, wechselten von "viel Glück brauchen" bis zur utopischen Wunschvorstellung. "Zur Zeit verdienen 50 Prozent aller Schauspieler weniger als 15 000 Euro brutto im Jahr. Wer jedoch weiß, dass er keine andere Wahl hat – dessen Vorstellungskraft jede Figur kreieren, doch keinen Plan B, der sollte es vielleicht versuchen. Viel Glück".