Wir blicken heute nostalgisch auf die schönen Häuserfassaden im Paradies. Doch die entstanden oft aus knallhartem Kalkül und wurden meistbietend verkauft. Das berichtet Gast-Autor Ralf Seuffert bei seinem Blick in die Vergangenheit.
Für das Wachsen von Konstanz seit dem 19. Jahrhundert steht vor allem die Veränderung des Paradieses zwischen heutiger Laube und Rheinufer als erstes gewerbliches und privates Erweiterungsgebiet. Als Beispiel genannt sei das Gewann Thalgarten zwischen Lutherplatz und Döbele, wie das ganze Paradies damals von Wiesen und Feldern geprägt.

Hier begegnen wir vor rund 200 Jahren der Familie Delisle beziehungsweise den Söhnen eines Einwanderers aus Savoyen um 1800, die wie ihr Vater versuchten, durch Gelände- und Immobilienerwerb gesellschaftlichen Status und Wohlstand zu mehren.
Während der ältere Sohn Baptist sich eine prunkvolle Villa rechts des Rheines erstellte, arrondierte der jüngere, Peter Delisle (1784-1841), ein kleines Grundstück vor dem Paradieser Tor in den Jahren 1822 bis 1824 durch Ankauf von Gartengrundstücken bis hin zum Döbele.
Peter Delisle wollte wohl seinen Bruder übertrumpfen und errichtete 1822 ein stattliches Herrenhaus mit Gärtner- und Ökonomiegebäude zwischen heutiger Lutherkirche und Talgartenstraße. Als Baumaterial benutzte er Steine der Verteidigungsanlage aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648).
Persönliches Glück scheint ihm dieser Besitz nicht gebracht zu haben: Er verkaufte das Areal und schoss sich 1841 vor dem Schottentor eine Pistolenkugel durch den Kopf. Der südliche Teil seines „Thalgarten“ genannten Besitzes ging ab 1860 an Privatleute und an die Stadt.
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts die für das Paradies typische Dynamik einsetzte: Baumeister wie Jakob Walther, Hans Dahme oder Richard Enz erwarben Gelände zwischen Unterer Laube bis zur heutigen Schützenstraße und überbauten es mit Gebäuden.
Deren schöne Fassaden betrachten wir heute mit nostalgischem Blick auf die angeblich „gute alte Zeit“, die aber mit knallhartem Kalkül, nach Musterbüchern ausgeführt und meistbietend verkauft oder vermietet wurden. Die Stadt vergab die Chance, Gelände mit öffentlichem Wohnungsbau zu gestalten, sie unterstützte diese Investoren auch noch durch günstige Kaufbedingungen.
Die nordöstliche Hälfte des ehemals Delisle‘schen Gutes kam in die Hände der evangelischen Kirchengemeinde, die von 1865 bis 1873 die Lutherkirche errichtete und 1864 den Rest des Thalgartens versteigern ließ. Das Delisle‘sche Ökonomiegebäude wich dem Neubau einer Mädchen-Lehranstalt.
Vom Thalgarten zeugt nur das ehemalige Gärtnerhaus (Lutherplatz 7), das 1874 bis in die 1960er-Jahre wieder einem Großneffen Peter Delisles gehörte. Ein Stück Paradies hatte sich vollkommen verändert!