Manche Eltern sind kurz vor dem Nervenzusammenbruch, wenn ihre Kinder nicht zielgerichtet und erfolgreich an ihrem perfekten Schulabschluss arbeiten. Für manchen bricht eine Welt zusammen, wenn der Sprössling letztlich vom Gymnasium abgeht und dann doch „nur“ den Realschul-Abschluss macht.

Abschlüsse an der Abendschule

Und doch ist es kein Weltuntergang, denn manch einen packt der Lerneifer später und er kommt über einen kleinen Umweg ans Ziel. Was viele nicht wissen: Die Volkshochschule Landkreis Konstanz bietet nicht nur Kurse bezüglich Freizeitaktivitäten und persönlicher Wissensbereicherung an, sondern auch die Abendschule zum Erlangen anerkannter Schulabschlüsse.

„Auf dem Ellenrieder-Gymnasium war ich nicht so erfolgreich“, bekennt VHS-Mitarbeiterin Tanja Brütsch. „Latein war ganz schlimm und Mathe“, das ist der 61-Jährigen unvergesslich. Sie ging vom Gymnasium ab „und wurde für ein halbes Jahr nach Bremen verschickt“, wie sie erzählt. Wieder zurück in Konstanz meldete sie sich zur Abendschule der Volkshochschule an und machte den Hauptschulabschluss.

Jeden Abend von Montag bis Freitag

„Die Prüfung ist so gut gelaufen, das hat mich zum Weitermachen motiviert“, erzählt Tanja Brütsch. Das vorläufige Zeugnis in der Hand, meldete sie sich umgehend zur Abendrealschule an. Ein Zuckerschlecken ist die Abendschule keineswegs. „Drei Jahre von Montag bis Freitag jeden Abend“, das ist Tanja Brütsch unvergessen, zumal wenn man tagsüber noch einem Beruf nachgeht. Sie war seinerzeit die Jüngste in der Klasse; der Zusammenhalt war hervorragend.

Auch Tanja Brütsch, Mitarbeiterin im Sekretariat der Geschäftsstelle Konstanz der Volkshochschule Landkreis Konstanz, hatte seinerzeit ...
Auch Tanja Brütsch, Mitarbeiterin im Sekretariat der Geschäftsstelle Konstanz der Volkshochschule Landkreis Konstanz, hatte seinerzeit die Chance ergriffen und im Rahmen der Abendschulangebote ihren Hauptschul- und ihren Realschulabschluss gemacht. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Wir haben zusammen gelernt und uns gegenseitig motiviert“, schildert sie. Nicht nur die geringere Schüleranzahl sei von Vorteil. Das Besondere an der Abendschule: „Es sind alles Leute, die mehr aus sich machen wollen und das gleiche Ziel vor Augen haben“, beschreibt Tanja Brütsch. Während ihre Mitschüler bereits mitten im Berufsleben standen, hatte sie selbst noch keine Berufsausbildung absolviert, aber sie hatte den festen Willen: „So, jetzt nehme ich mein Leben in die Hand.“ Und das tat sie.

Seit 30 Jahren bei der VHS

Zunächst arbeitete Tanja Brütsch in einer Küche, stellte dann aber fest, dass ihr das zu wenig ist, absolvierte mit Bravour die Ausbildung zur Bürokauffrau, bekam sofort eine Stelle, doch in dem Betrieb wurde sie nicht glücklich. Wie es der Zufall wollte, erfuhr sie, dass die VHS eine Praktikantin suchte und wurde sofort vorstellig. Der damalige Chef erkannte sie sofort. Ihm unvergessen war, dass Tanja Brütsch die einzige war, die hochschwanger ihren Realschulabschluss gemacht hatte.

Aus dem Praktikum wurde eine feste Stelle und für Tanja Brütsch ist die Arbeit im Sekretariat der VHS in Konstanz der Traumberuf schlechthin; seit knapp 30 Jahren ist sie mittlerweile das Gesicht der Volkshochschule Landkreis Konstanz und beliebte Ratgeberin, denn sie kennt schließlich beide Perspektiven: jene der Bildungseinrichtung und jene der Schüler.

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Tanja Brütschs Sohn ist ebenfalls ein gutes Beispiel, wie man eine Karriere etwas verspätet mit Hilfe der Volkshochschule starten kann. Nach der Hauptschule machte er die Ausbildung zum Stuckateur. Es folgte die Abendrealschule. Der Realschulabschluss war ihm nicht genug und er besuchte das Abendgymnasium bei der Volkshochschule. „Er hat dann Mediengestalter gelernt“, so Brütsch, die berichtet, dass ihr Sohn in seinem jetzigen Beruf ebenfalls aufgehe.

„Solche Karrieren haben wir öfter“, berichtet Tanja Brütsch aus ihrem VHS-Alltag. „Abendschule kann ich nur empfehlen, denn man kann stolz auf seinen Abschluss sein. Man bekommt nichts geschenkt. Wer das durchgehalten hat, der schafft alles andere auch“, ist sie überzeugt. Die Abschlüsse der Abendrealschule hätten überdies ein gutes Renommee. Mit derartigen Abschlüssen gehe der Ruf einher, dass „man sich durchgebissen hat“, so Tanja Brütsch, wohlwissend, dass Willensstärke, Durchhaltevermögen und eine Portion Ehrgeiz von Arbeitgebern geschätzt würden.

Aus Spaß an alten Sprachen

Aber auch rein aus Spaß an der Freude werden außergewöhnliche Ergebnisse erzielt. Elisa Ringendahl (30) studiert Klavier und Musikwissenschaften und befand mit Blick auf die Zukunft: „Ich dachte mir, wenn man mal den Doktortitel hat, sollte man auch Latein können.“

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Zugegebenermaßen hatte sie bereits eine gewisse Affinität für diese alte Sprache, denn sie interessiert sich sehr für die römische Kultur. Im Februar 2019 meldete sie sich bei der VHS zum Gruppenkurs Latein an. Die Teilnehmerzahl schrumpfte relativ rasch und sie entschloss sich, Einzelstunden zu nehmen.

Abschluss mit der Note 1,0

Ihre Dozentin Elke Franke war beeindruckt von dem Lerneifer, dem Interesse und der raschen Aufnahmefähigkeit der jungen Frau und regte an, sie solle doch das Latinum machen. Nach einem Jahr hatte sie diesen Abschluss in der Tasche, und zwar mit der Note 1,0. „Das hätte ich nicht gedacht“, freut sich Elisa Ringendahl.

Und was nützen ihr nun ihre Latein-Kenntnisse? Für ihre Dissertation müsse sie viel Fachliteratur lesen, wobei auch antike Philosophen, darunter Cicero, in der Originalsprache zitiert würden. „Jetzt kann ich die lateinischen Sätze übersetzen“, freut sie sich. Was hat sie als Nächstes vor? Will sie jetzt noch das Graecum draufsetzen? Die scherzhaft gestellte Frage beantwortet Elisa Ringendahl ernsthaft: „Ich habe mich schon für Altgriechisch angemeldet.“