Die Feuerwehrleute waren nach ihrem mehrtägigen Einsatz gerade erst abgerückt, da schnappte sich Markus Brenner seine Kamera und betrat die zerstörten Räume im Stadlerhaus. „Es war finster und bedrückend“, schildert der Konstanzer Foto- und Videokünstler. „In der ehemaligen Möbelausstellung von Bent Sørensen hingen Fetzen von der Decke, überall war Löschschaum. Hier wurde das Heimelige, die Hygge, zerstört, das die Möbel simulierten.“

Markus Brenner machte mit Erlaubnis des Hausbesitzers Christian Stadler und des Architekten Christoph Bauer viele Bilder. „Erst habe ich für die Versicherung fotografiert, aber es wurde schnell mehr daraus“, sagt er. „Ich habe sofort gespürt, welche künstlerische Qualität in den ausgebrannten Räumen steckt. Es sah aus wie ein Bühnenbild. Andere inszenieren sowas aufwändig.“

Wie so oft habe Zerstörung auch eine ästhetische Komponente, sagt Brenner. Aufgrund der Dunkelheit in der ehemaligen Möbelausstellung verwendete er Belichtungszeiten von bis zu neun Sekunden. Herausgekommen sind eindrucksvolle Fotos, die die Themen Zerstörung und Neubeginn, Verlust und Veränderung zeigen.
Genau deshalb sollen sie großformatig an diesem originalen Schauplatz ausgestellt werden. Das war die Idee von Markus Brenner und Architekt Christoph Bauer, die damit auf die Crescere-Stiftung Bodensee zugingen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, unter anderem Kunst und Kultur in Konstanz zu fördern.

„Wir waren sofort angetan, denn zeitgenössische Kunst ist in Konstanz unterrepräsentiert“, sagt Stiftungsvorstand Wolfgang Münst. Er und Stephan Tögel, ebenfalls Vorstand, entwickelten daraus mit der Journalistin und Kuratorin Jana Mantel weitere Ideen, wie sich das ehemalige Verlagsgebäude in eine temporäre Kunsthalle verwandeln könnte.
Während der zweijährigen Wiederaufbauzeit des Hauses werden verschiedene Räume zwischen 15 und 400 Quadratmetern zu Orten für Installationen, Performances und Veranstaltungen wie Dinner oder Diskussionen. „Die Brandruine selbst setzt die Themen für die Ausstellungen mit den Schwerpunkten Fotografie, neue Medien und Plastik“, sagt Wolfgang Münst.

Alle Künstler setzen sich auf unterschiedliche Weise mit Vertreibung, Flucht, Wohnen und Nicht-mehr-Wohnen, aber auch mit der Chance auf einen Neubeginn auseinander. Genutzt werden vor allem die ehemalige Möbelausstellung im ersten Stock sowie Räume einer nicht zerstörten, aber leerstehenden Wohnung auf derselben Ebene. Auch der Bauzaun in der Zollernstraße wird zur Projektionsfläche für Kunst.
„Am Zaun wird zunächst eine Art Wandzeitung zum Stadlerhaus aufgehängt“, sagt Christoph Bauer. Der Konstanzer Historiker Ralf Seuffert bringt dort den Passanten die Geschichte des ehemaligen Verlagshauses aus dem 19./20. Jahrhundert näher, das einen mittelalterlichen Vorgängerbau hatte. Dazu suchte er auch Fotos aus dem Stadtarchiv heraus. Außerdem werden am Bauzaun Informationen zu den jeweiligen Kunstausstellungen angebracht.

Bauzaun wird zum Ort für Straßenkunst
„So wird der schmale Durchgang in der Zollernstraße belebt. Anschließend bietet der Bauzaun einen Ort für Straßenkunst“, sagt Architekt Bauer. Der historische Abriss zum Haus macht den Anfang des zweijährigen Kunstprojekts, schon in einer bis zwei Wochen soll der Bauzaun beklebt werden.
Welche Ausstellungen im Haus wann und in welchen Räumen gezeigt werden, müssen die Kuratoren teilweise recht spontan entscheiden. „Gleichzeitig wird ambitioniert weiter saniert und gebaut“, sagt Christoph Bauer. „Es ist nicht leicht, Kunst in eine laufende Baustelle zu integrieren.“

Ende Mai oder Anfang Juni, wenn die neuen Fenster eingebaut sind, eröffnen großformatige Fotos von Markus Brenner die temporäre Kunsthalle. Seine Bilder hängen frei in dem Raum, der auf den Fotos zu sehen ist. Deshalb wird dieser Ort genauso belassen, wie er ist, mit unebenem Boden, offenen Mauern und Brandspuren. Sogar der Rauchgeruch hängt noch leicht in der Luft.
„Diese Zwiesprache zwischen Raum und Abbild ist so eindrücklich, dass man sich ihr nicht entziehen kann“, findet Wolfgang Münst. Für Markus Brenner wird der verwundete Ort ungewollt zur Metapher für die Weltlage. „Hier wurde etwas zerstört, wo sich jemand behaglich eingerichtet hatte“, begründet er.
Raus aus dem Wohnzimmer, rein ins Stadlerhaus
Zeitlich leicht versetzt eröffnen die Kuratoren ein paar Meter weiter die zweite Ausstellung, auch sie beschäftigt sich mit dem Thema Wohnen. „In einer leerstehenden Wohnung stellen wir rund 25 Bilder aus, die sonst in privaten Wohnzimmern von Konstanzerinnen und Konstanzern hängen“, sagt Jana Mantel, die auf diese Weise ihre SÜDKURIER-Serie „Kunst im Wohnzimmer“ in einen realen Raum überführt.
In vielen Zeitungsartikeln stellte sie die Besitzer und ihre Bilder vor. Im Stadlerhaus werden deshalb nicht nur die Werke selbst, sondern auch Schwarz-Weiß-Porträts ihrer Sammler in drei Räumen zu sehen sein – versehen mit Texten dazu, welche Bedeutung die Werke für die Menschen haben. „Ein wichtiger Teil des Projekts ‚Out of Wohnzimmer‘ ist es, dass die Kunstbesitzer im Stadlerhaus erstmals zusammenkommen, denn das hatten sie sich gewünscht“, erzählt Jana Mantel.

Weitere Ausstellungen und Veranstaltungen sind für die Jahre 2025 und 2026 in Planung, unter anderem mit Fotos aus dem zerstörten Friedrichshafen der Nachkriegszeit, den Werken einer Installationskünstlerin und eines Bildhauers. „Wir bieten eine Mischung aus großen Namen und solchen mit Bezug zur Region“, sagt Crescere-Vorstand Stephan Tögel. „Für das Rahmenprogramm konnten wir unter anderem die Bodensee-Philharmonie und Schauspieler gewinnen.“
Für Judith Borowski, die dem kuratorischen Beirat angehört, ist das Projekt wichtig für Konstanz: „Ähnlich große Städte wie Winterthur oder Bregenz zeigen mehr zeitgenössische Kunst“, sagt sie. „Wir starten hier einen Versuchsballon für eine mögliche spätere Kunsthalle in Konstanz.“ Aus ihrer Sicht müsste die Stadt am Bodensee „ein bisschen raus aus der Mittelalter-Ecke und mehr Geschichte von morgen schreiben“.