Es sind so gut wie alle Meinungen versammelt. Rund 200 Menschen finden sich am Freitagabend auf der Konstanzer Marktstätte ein, aber ein einheitliches Bild ergibt sich nicht. Handelt es sich um Impfgegner? Sind es Corona-Leugner? Querdenker? Kritiker des politischen Krisenmanagements? Oder einfach nur Schaulustige? Letztere kommen auf ihre Kosten. Plakativ präsentieren die Veranstalter in verordnungsunverdächtigem Abstand historische oder politische Zitate, kritische Anmerkungen, aber auch krude Botschaften. Manches ist zum Lachen – wie etwa der Sarkasmus, der sich seit etwa anderthalb Jahren weit oben auf der Hitliste der Corona-Witze hält: „Wenn Corona vorbei ist, mach‘ ich‘s mir erst einmal daheim so richtig gemütlich.“

Doch wer sind eigentlich die Veranstalter? Ein Ansprechpartner lässt sich aus der Ankündigung nicht herauslesen, und auch am Abend selbst findet sich auf Anhieb niemand, der die Aktion verantwortet. Eine zufällig beobachtete Szene sorgt dafür, dass doch jemand Auskunft geben könnte: Ein junger Mann streift sich eine Binde um den Oberarm, auf der Ordner steht.

Hinter der Veranstaltung, sagt er, stehe ein loses Netzwerk einer Initiative mit dem Namen „Studenten stehen auf“. In Konstanz belaufe sich die Zahl der Aktivisten auf etwa 20 bis 30 Studenten, die bundesweite Initiative verfüge auch an anderen Hochschulen über Anhänger. Im Internet wird sie beschrieben als „ein dezentrales Netzwerk von jungen Menschen, die den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie, allem voran die Maßnahmen zur Eindämmung und Bekämpfung des Virus, kritisch hinterfragen“. Dabei gehe es um den Erhalt der freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Grundwerte sowie des Normalbetriebs im Schul- und Lehrbereich. Die Initiative befindet sich demnach in der Phase des Aufbaus von Organisationsstrukturen, um so einen Raum für kritische Debatten zu ermöglichen. „Wir nehmen an Demos teil, kreieren Schilder und Banner oder sind an anderen Aktionen beteiligt“, heißt es auf der Web-Seite von „Studenten stehen auf“.

Die Initiative „Studenten stehen auf“ will nach ihrem Selbstverständnis das kritische Bewusstsein wach halten.
Die Initiative „Studenten stehen auf“ will nach ihrem Selbstverständnis das kritische Bewusstsein wach halten.

Inhalt und Tonlage der Präsentation sind damit weit entfernt vom Jargon von Corona-Leugnern oder Querdenkern. Das gilt auch für den Mann mit der Oberarm-Binde: Unumstritten für ihn ist die Existenz des Virus‘ ebenso wie die davon ausgehende hohe Gefahr für Leib und Leben. Aber es gebe eben auch andere Perspektiven. Er weist beispielsweise auf die Folgen von Depressionen wegen der Kontaktbeschränkungen hin, fühlt sich durch die Corona-Verordnung im freien Zugang zur Bildung eingeschränkt und kritisiert die Widersprüchlichkeit von Politikern.

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Irritierend allerdings ist seine Weigerung, mit Name und Bild hinter der Aktion zu stehen. Das gilt auch für die Redner, keiner gibt sich namentlich zu erkennen. Was sie zu sagen haben, kommt wegen technischer Mängel akustisch schlecht bei den Zuhören an, wenn‘s aber verständlich wird, dann hört sich manches sehr krude an. Vor allem eine Rednerin ist auf Krawall gebürstet. Ihre Appelle bleiben im Allgemeinen: Sie findet es „mega“, dass so viele junge Leute gekommen sind, ruft dazu auf, standhaft zu bleiben, nein zu sagen, aufzustehen und sich zu wehren. Aber gegen was? Gegen wen? Und wieso?

Bitte um Löschung von Bildern

Das lässt sich auch bei dem Gespräch nicht herausfinden, das die Frau nach ihrer Rede mit dem SÜDKURIER sucht. Sie bittet darum, dass der Fotograf ihr seine Bilder zeigt und etwaige Aufnahmen von ihr löscht. Was er nicht macht, da Berichte über das öffentliche Geschehen zur journalistischen Aufgabe gehören und sich keine ernst zu nehmende Redaktion die Freiheit der Berichterstattung nehmen lässt. Der Hinweis, dass man dieses Recht beispielsweise auch gegenüber etwaigen Aufforderungen der Polizei geltend macht, überzeugt die Frau nicht.

Sie ruft das Umfeld zur Zeugenschaft auf, dass man ihrer Bitte um Löschung von Bildern nicht nachkomme, und prompt stellt sich ein älteres Paar dafür zur Verfügung. Block und Kugelschreiber reichen dem Duo für die Diffamierung als Lügenpresse und dass man für eine angeblich systemkonforme Berichterstattung bezahlt würde. Zu diskutieren gibt es mit ihnen nichts. Als ehemalige Bürger der DDR, die mit viel Hoffnung in den Westen gekommen seien, wüssten sie Bescheid. Sie winken ab und schicken fortan von einem Stehtisch aus böse Blicke in ihre voraussichtlich nicht mehr endende Nacht.

„Mich stört die wachsende Intoleranz und Lagerbildung.“Andreas Geitner ist geimpft und hält sich an die Verordnungen zum ...
„Mich stört die wachsende Intoleranz und Lagerbildung.“Andreas Geitner ist geimpft und hält sich an die Verordnungen zum Schutz vor Corona, spricht sich aber gegen die Ausgrenzung ungeimpfter Menschen aus

Doch auf der Marktstätte finden sich nicht nur verlorene Seelen, Andreas Geitner beispielsweise ist einfach nur irritiert. Er ist geimpft, hält sich an die Regeln – aber lässt sich das Miteinander nicht anders gestalten? Ihn stört die wachsende Intoleranz beim Austausch von Argumenten, samt der damit einhergehenden Lagerbildung. Ihm passt es nicht, wie junge Menschen behandelt werden, ihn stört die zunehmend aggressive Tonlage und der von ihm verspürte Verlust eines friedlichen Umgangs. Eben deshalb ist er zu der Kundgebung auf die Marktstätte gekommen: Er sucht das Gespräch und seine grundsätzliche Skepsis hinsichtlich der Ausgewogenheit der medialen Aufarbeitung von Ereignissen will er am Beispiel der Berichterstattung über das Geschehen auf der Marktstätte überprüfen.

Kein Weihnachtsmarkt, aber volle Stadien

Jutta von Hippel und ihr Mann sind nicht irritiert wie Andreas Geitner, sondern sehr präzise in ihrer Kritik. Mit Corona-Leugner haben sie nichts gemein, Jutta von Hippel vermeidet beispielsweise tunlichst den Besuch von Restaurants. Sie hält sich an die Aufforderung zum Verzicht auf Kontakte auch im privaten Umfeld, aber die Logik der Politik erschließt sich ihr insgesamt nicht. Warum wird der Konstanzer Weihnachtsmarkt abgesagt, die Fußballstadien aber sind voll? „Mir tun die Marktbetreiber leid“, sagt sie, „und vor allem die jungen Menschen.“ Jutta Hippel und ihr Mann sprechen damit jenem Studenten mit Armbinde aus dem Herzen – und stehen dafür gerne mit ihrem Namen ein.