Andreas Zorr hat die Ruhe weg. Das mag an Beruf und Funktion des Chefarztes der Konstanzer Frauenklinik liegen. Aus dem Gleichgewicht bringen jedenfalls lässt er sich angesichts des bis auf Weiteres eingeschränkten Betriebs des Kreißsaales nicht. Er spricht von einer unglücklichen Situation, für die eine optimale Struktur der Überbrückung geschaffen wurde.

Eine Geburt anfangen, dann aber abbrechen zu müssen – das ist für Frauenklinik-Chefarzt Andreas Zorr so ziemlich das Schlimmste, ...
Eine Geburt anfangen, dann aber abbrechen zu müssen – das ist für Frauenklinik-Chefarzt Andreas Zorr so ziemlich das Schlimmste, was bei der Geburtshilfe passieren kann. Mit dem Teilbetrieb des Kreißsaals werde diesem Katastrophenszenarium vorgebeugt. | Bild: Hanser, Oliver

So sehen das auch Lisa Truppe und Mara Nikisch. Nach Darstellung der beiden Hebammen seien die Zustände vor der vor einigen Wochen getroffenen Regelung für das gesamte Team der Geburtshilfe ebenso wie für die werdenden Mütter eine Zumutung gewesen.

Laut Plan kümmerten sich neben den Ärzten 15 Hebammen sowie vier Fachkräfte im Außendienst und eine Pflegerin um die Hilfen bei den Geburten im Einzugsgebiet von Konstanz. Angesichts einer aktuellen Besetzung der Stellen von etwa 50 Prozent aber sei eine Betreuung an 365 Tagen im Jahr nicht leistbar.

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Wieso ist so wenig Personal verfügbar?

Es gibt mehrere Gründe für die knappen Personalressourcen. Neben dem deutschlandweiten Mangel an Hebammen steht die Konstanzer Geburtshilfe mit den attraktiven Angeboten in der Schweiz in einem besonderen Wettbewerb, aktuell hinzu kommen die steigende Zahl an Geburten in Konstanz und Umgebung sowie Ausfälle durch Krankheit. Zusätzlich trägt eine Besonderheit des Arbeitsrechts zur Labilität der Personalplanung bei: Wird eine Hebamme schwanger, fällt sie sofort für den Betrieb der Geburtshilfe aus.

In dieser Situation steckte man die Köpfe zusammen und entwickelte nach Angaben des Chefarztes und der beiden Hebammen-Sprecherinnen im Einvernehmen mit der Klinikleitung ein System, wie die Belastungen für die Beschäftigten auf ein erträgliches Maß reduziert werden können und gleichzeitig die Mütter beziehungsweise Eltern über die im Fall von Geburten besonders wichtige Planungssicherheit verfügen.

Die Regelung einer dreiwöchigen Auslastung des Kreißsaals und einer darauf folgenden einwöchigen Schließung sorgt ferner für die Rettungsdienste für klare Verhältnisse. Sie wissen, wohin sie die werdenden Mütter hinzufahren haben.

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„Das Gesundsparen macht uns kaputt“

Gut ist die Situation deswegen aber noch lange nicht. „Die Kalkulierbarkeit ist das geringere Katastrophenszenario“, sagt Andreas Zorr, der dabei die Gesundheitshilfe nur als Beispiel für eine verfehlte Politik im Gesundheitswesen sieht. „Das Gesundsparen macht uns kaputt“, ist er überzeugt, wobei der Druck in aller Regel über die Klinikleitungen beim medizinischen Personal ankommt.

Daran ändere sich im Kern selbst dann nichts, wenn wie in Konstanz der Dialog mit der Geschäftsführung gut sei. Diese Einordnung wird von Janine Brenke bestätigt, die früher als Hebamme am Klinikum Konstanz beschäftigt war, inzwischen in die Schweiz gewechselt und gelegentlich noch freiberuflich in der Konstanzer Geburtshilfe tätig ist. „Die Medizin wirtschaftlich machen zu wollen, ist ein Widerspruch in sich“, sagt die 36-Jährige.

Janine Brenke, Hebamme: „Früher wurden Hebammen verbrannt, heute werden sie verheizt.“
Janine Brenke, Hebamme: „Früher wurden Hebammen verbrannt, heute werden sie verheizt.“ | Bild: Lucht, Torsten

Besonders deutlich werde dies in der Geburtshilfe, da es sich um einen prinzipiell nicht lukrativen Bereich des Klinikbetriebs handle. Welche gesellschaftliche Sprengkraft dieser Widerspruch birgt, fasst Janine Brenke in einem Satz zusammen: „Geburtshilfe ist ein Grundrecht.“

Für die Umsetzung dieses Grundrechts gibt es laut Janine Brenke klare Vorgaben zum Beispiel im aktuellen Vertrag der regierenden Ampel-Koalition. Darin werde eine Eins-zu-Eins-Betreuung zugesichert, doch davon sei man zu ihrer Zeit am Klinikum Konstanz weit entfernt gewesen. Dass das seit Jahren flächendeckend bröckelnde System überhaupt noch einigermaßen funktioniere, führt die Hebamme für die Geburtshilfe in Konstanz auf den Teamgeist zurück.

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Diese solidarische Einstellung beruhe nicht zuletzt auf der Auffassung des Berufs als Berufung. Insbesondere die Hebammen verfügen nach Darstellung von Janine Brenke über keine Lobby, und dass sich dies etwa durch einen Streik oder Ähnliches ändern könnte, entlockt ihr nur ein Schmunzeln. „Dafür sind wir alle viel zu sozial engagiert.“ In der aktuellen Situation hält auch sie deshalb die Regelung des Teilzeitbetriebs im Kreißsaal für sinnvoll.

Angst erhöht die Risiken einer Geburt

Gleichwohl handle es sich um einen Plan B, und dieser müsse erst einmal funktionieren. Für die Frauen im Einzugsgebiet von Konstanz verschärfe sich die prekäre Situation durch die geografische Lage und die Besonderheiten der Verkehrsinfrastruktur. Als Beispiel nennt die Hebamme den Anfahrtsweg nach Singen: Da eine Geburt in zwei Stunden vorbei sein könne, hält sie es angesichts des B33-Nadelöhrs für möglich, dass Babys im Auto zur Welt kommen.

Das Schlimmste aber seien die gesundheitlichen Risiken, wobei die psychische Verfassung eine besondere Bedeutung spiele. „Frauen, die mit Ängsten in die Geburt gehen, haben Stress“, sagt Janine Brenke, „und am Ende kann man froh sein, wenn alle überleben.“